Eine neue große Koalition wird es nach der Bundestagswahl nicht geben. Und das ist auch gut so, findet StZ-Chefredakteur Joachim Dorfs.

Chefredaktion: Joachim Dorfs (jd)

Stuttgart - Nach einem angeblich so langweiligen Wahlkampf, in dem alles so klar schien, hat die Bundestagswahl dann doch entscheidende Weichen für die Entwicklung Deutschlands in den nächsten Jahren gestellt. Die wichtigste: Eine Fortsetzung der großen Koalition wird es nicht geben. Und das ist auch gut so.

 

Das ist vor allem gut für die erneut gebeutelten Sozialdemokraten. Immer wenn man denkt, der Tiefpunkt der SPD sei erreicht, geht es noch tiefer. Doch die Schwäche liegt nicht an einem respektablen Kanzlerkandidaten Martin Schulz. Sie liegt darin, dass sie – zumal als Juniorpartner in einer großen Koalition – keinen glaubwürdigen Gegenentwurf zur CDU anbieten kann. Es ist nur konsequent, dass die SPD wenige Minuten nach der Veröffentlichung der ersten Prognosen den Gang in die Opposition angekündigt hat.

Einen erstaunlich verlustreichen Wahlsieg hat die Union verzeichnet, was unter anderem am schwachen Abschneiden der CSU in Bayern liegt. Zwar wird Kanzlerin Angela Merkel nach menschlichem Ermessen auch die nächste Bundesregierung anführen, aber das schlechteste Ergebnis seit dem Krieg wird auch in der Union zu erheblichen Verwerfungen führen – ein Wiederaufflammen des Dauerstreits zwischen CDU und CSU ist sehr wahrscheinlich, vielleicht aber auch nötig.

Die größte Zäsur aber geht zweifellos von der AfD aus

Zur Regierungsbildung gefragt sind hingegen die wieder erstarkten Liberalen und die Grünen. Erstere waren einmal zu oft an der Regierung beteiligt und müssen ihre Lehren daraus ziehen, Letztere haben leichtfertig eine Regierungsbeteiligung nach der Wahl vor vier Jahren zurückgewiesen. Dieses Mal dürfen sie nicht so nonchalant wie 2013 der Verantwortung den Rücken kehren. Selbst wenn dieses Jamaikabündnis bis jetzt nur auf Landesebene in Schleswig-Holstein erprobt wird, wäre diese Konstellation die logische Basis für die kommende Regierung. Doch man muss kein Prophet sein, um eine schwierige und langwierige Regierungsbildung vorherzusagen – Ende offen.

Die größte Zäsur aber geht zweifellos von der AfD aus. Wer die Alternative für Deutschland in den Landtagen erlebt hat, der weiß, wie die Sitten verrohen und sich der Ton verschärft. Und ein Alexander Gauland, der als möglicher Fraktionsvorsitzender vom Stolz auf die Wehrmacht schwadroniert, ist unerträglich. Doch stehen die Rechtspopulisten für Themen, die die etablierten Parteien so nicht angenommen haben, obwohl sie großen Teilen der Bevölkerung unter den Nägeln brennen.

Es gilt, entscheidende Weichen zu stellen

Wer sich in der Welt umblickt, stellt fest, dass die Deutschen trotz des Rekordergebnisses der AfD und dem Einzug in den Bundestag als dritte Kraft verhältnismäßig populismusresistent sind. Und doch: Wenn die etablierten Parteien dem Aufstieg der Populisten etwas entgegensetzen wollen, müssen sie in der nächsten Legislaturperiode Probleme bei innerer Sicherheit, Zuwanderung und Integration der hier lebenden Flüchtlinge offener benennen und bessere Lösungen finden. Darüber hinaus müssen sie mehr Auswahl innerhalb des Spektrums der etablierten Parteien anbieten. Eine SPD beispielsweise, die wieder eine echte Alternative zur CDU ist, wird dringend gebraucht.

Zurück zu Angela Merkel: Nach menschlichem Ermessen wird sie nun ihre vierte Regierung führen. Es gilt, entscheidende Weichen zu stellen, nicht nur zur Integration, sondern vor allem zur Zukunft Europas und dem Weg Deutschlands in die digitale Welt. Hier hat sie bisher Ambitionen vermissen lassen, dabei sind große Schritte erforderlich. Und noch etwas gilt es für sie zu tun: Es wird langsam aber sicher Zeit, an ihre Nachfolge zu denken. Nach den Regierungen Merkel I (ab 2005) bis Merkel IV (ab Ende 2017) sollte es ein Kabinett Merkel V nicht geben. Demokratie lebt auch vom Wandel.