Auf die Autohersteller und auf den Verkehrsminister Alexander Dobrindt ist Umweltministerin Barbara Hendricks nicht gut zu sprechen. Die Industrie hält sie für verschlafen, den Kollegen für wirklichkeitsfremd. Wieso, erläutert sie im Interview.

Politik/Baden-Württemberg : Bärbel Krauß (luß)

Berlin - Umweltministerin Hendricks will sich nicht entmutigen lassen, weil ihre Kabinettskollegen bei vielen Öko-Fragen auf der Bremse stehen. Verkehrsminister Dobrindt bescheinigt sie allerdings, wirklichkeitsfremd und zu radikal zu sein.

 
Frau Hendricks, in neun Monaten ist Bundestagswahl, und Sie stehen als zahnloser Tiger am Start. Haben Sie in den stillen Tagen mal ans Aufgeben gedacht?
Vielleicht ist das Ihre Wahrnehmung, weil ich nicht bei jeder Gelegenheit die Reißzähne zeige und in jede Kamera brülle. Das sollen von mir aus andere machen. Ich erreiche meine Ziele lieber mit leiseren Tönen, das ist nachhaltiger. Meine Bilanz kann sich sehen lassen: Deutschland hat zum ersten Mal einen echten Klimaschutzplan, wir haben unser Engagement für den sozialen Wohnungsbau verdreifacht und einen Großangriff auf das europäische Naturschutzrecht erfolgreich abgewehrt.
Sie sind für Klimaschutz, saubere Böden und gesunde Luft zuständig. Aber die Mittel, um das zu erreichen, haben der Wirtschafts-, der Agrar- und der Verkehrsminister, und die stehen auf der Bremse: beim Kohleausstieg, bei schärferen Schadstoffgrenzen für Autos, bei Fahrverboten, bei der Begrenzung der Gülle.
Da ist mehr Bewegung drin, als Sie denken. Bei der Gülle wollen wir noch im Winter eine wichtige Reform beschließen, bei den Autos haben wir gemeinsam europaweite Schadstofftests auf der Straße durchgesetzt. Und beim Kohleausstieg haben wir im letzten Jahr eine völlig neue Art der Debatte erreicht: Alle reden über das Wie, keiner mehr über das Ob. Meine Vorgänger haben noch nicht einmal über das Ob geredet. Und inzwischen haben wir mit dem Abschalten der ersten Kohlekraftwerke begonnen.
Ihre aktuelle Bilanz ist von Stickoxiden aus Dieselfahrzeugen getrübt. Und keine Plakette wirft blaue, graue oder weiße Schatten. Was tun Sie jetzt?
Die Stickstoffproblematik betrübt mich tatsächlich, denn hier geht es um die Gesundheit der Menschen. Man kann Stickoxide zwar nicht sehen oder riechen, aber sie verursachen Herz-Kreislauf-Erkrankungen, belasten die Atemwege und quälen Asthmatiker. Besonders Senioren und Kinder leiden darunter. Das können wir doch dem Diesel zuliebe nicht einfach ignorieren!
CSU-Verkehrsminister Alexander Dobrindt hält nichts von neuen Plaketten und will lieber Taxen und Busse umrüsten, um die Luftqualität zu verbessern.
Dann soll er das endlich machen, das ist ganz in meinem Sinne. Das könnte dann einen konstruktiven Beitrag leisten. Es wird nur allein leider bei Weitem nicht reichen, um die Grenzwerte überall einzuhalten. Ich will den Kommunen ja auch nichts vorschreiben. Ich will ihnen nur Instrumente an die Hand geben, mit denen sie bei Bedarf flexibel reagieren können.
Viele Bürger haben das Warten satt. Sie wollen, dass sich etwas ändert. Kriegen Sie in der Koalition bis zur Sommerpause noch etwas hin für saubere Luft in unseren Innenstädten?
Ich hoffe das sehr. Es würde schon mal helfen, wenn die Lobbyisten sich informieren würden, statt Falschmeldungen und Horrorszenarien zu verbreiten. Um es klar zu sagen: Kein Anwohner wird mit seinem Diesel ausgesperrt werden und auch für Handwerker und den Lieferverkehr sind Ausnahmen vorgesehen. Das war von Anfang an klar.
Stuttgarts Oberbürgermeister Kuhn sagt, beim Thema Luft lässt der Bund die Kommunen allein. Ihr Kabinettskollege Dobrindt sagt, die Kommunen sollen regionale Fahrverbote erlassen. Wer hat recht?
Nicht nur Fritz Kuhn, auch der Münchner OB Dieter Reiter hat uns um Hilfe gebeten oder die grün-schwarze Landesregierung in Baden-Württemberg. Mein Vorschlag ist praktikabel, differenziert, und er würde helfen. Der Verkehrsminister sagt, die Kommunen könnten mit der bestehenden Rechtslage doch einfach alle Autos ohne Unterschied aussperren. Das ist mir viel zu radikal und wirklichkeitsfremd.
Stuttgart ist mit Daimler, Porsche und vielen Zulieferern ja auch Kernland der deutschen Autoindustrie. Hat die Autobranche aus dem Pariser Klimavertrag, dem Abgasskandal und der Schadstoffproblematik schon ausreichende Konsequenzen gezogen?
Leider nicht. Dafür, dass die Autobranche uns die hohe Stickoxidbelastung maßgeblich eingebrockt hat, trägt sie erstaunlich wenig zur Lösung bei. Und wenn sie liefert, dann immer nur unter Druck. Als wir letztes Jahr die neuen Testsysteme für reale Schadstoffemissionen eingeführt haben, hat die Automobillobby bis zum Schluss dagegen opponiert und versucht das weiter aufzuweichen. Einen Lernprozess nach dem Abgasskandal stelle ich mir anders vor.
Setzen Sie in Sachen sauberer Verkehr auf Freiwilligkeit und Selbsterkenntnis in der Branche, oder braucht es Gebote und Verbote?
Das Ende des mit fossilen Kraftstoffen betriebenen Verbrennungsmotors wird vor allem durch die Macht des Faktischen kommen. Im Jahr 2030 werden in Deutschland drei Millionen neue Fahrzeuge verkauft, in China 40 Millionen. China setzt radikal auf Elektromobilität, um seine Luftprobleme in den Griff zu bekommen. Wollen wir auf deren riesigem Markt eigentlich keine Rolle spielen? Wenn ich die deutschen Automobilmanager auffordere, sich an die Spitze dieser Bewegung zu stellen, dann dient das nicht nur dem Umweltschutz, sondern vor allem dem künftigen Automobilstandort Deutschland und den vielen damit verbundenen Jobs. Manchmal wundere ich mich wirklich darüber, dass ich das denen als Umweltministerin erklären muss. Bei deren Gehalt sollten die eigentlich selbst darauf kommen.
Müssen im nächsten Koalitionsvertrag harte Vorgaben stehen – vom Abbau des Dieselsteuerprivilegs, über Vorgaben für eine klimagerechtere Modellpalette der deutschen Hersteller samt Elektroquote bis hin zum Verbot für Verbrennungsmotoren?
Ein pauschales Verbot für Verbrennungsmotoren sehe ich nicht. Aber es ist gut möglich, dass wir eine Quote für Elektroautos brauchen werden, um den Übergang ohne Brüche zu organisieren. Und das sage ich nicht als Umweltministerin, sondern als Sozialdemokratin, die die guten Arbeitsplätze in Deutschland erhalten möchte. Eine Quote würde die Hersteller auch dazu bewegen, endlich Modelle anzubieten, die für Normalverdiener erschwinglich sind.