Bundesverfassungsgericht Polizeiaktion in Abgeordnetenbüro verfassungswidrig

Polizisten dringen in das Büro eines Bundestagsabgeordneten ein, um missliebige Fotos vom Fenster zu entfernen. Es geht um möglichen Ärger beim Besuch des türkischen Präsidenten. Damit ist die Bundestagsverwaltung zu weit gegangen, entscheidet Karlsruhe.
Karlsruhe - Das Eindringen von Polizisten in das Büro des Karlsruher Linken-Bundestagsabgeordneten Michel Brandt im September 2018 war verfassungswidrig. Das entschied das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe mit einem am Dienstag veröffentlichten Beschluss vom 9. Juni. Der Präsident des Deutschen Bundestags, Wolfgang Schäuble (CDU), habe den Abgeordneten in seinem Recht aus Artikel 38 des Grundgesetzes verletzt. (2 BvE 2/19)
An Brandts Bundestags-Bürofenstern hingen während eines Besuchs des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan DIN A4 große Ausdrucke einer Kurdistan-Flagge sowie eines Wimpels der kurdischen Verteidigungseinheiten YPG. Brandt war nicht im Büro, Polizisten gelangten mit einem Zentralschlüssel hinein und entfernten die Ausdrucke. Die Bundestagsverwaltung rechtfertigte das Eindringen auch damit, dass sich Erdogan-Anhänger durch die Plakate provozieren und zu Aktionen gegen den Bundestag hätten hinreißen lassen können.
Michel Brandt begrüßt die Entscheidung
Die Verfassungsrichter sehen in dem Handeln der Polizei beim Deutschen Bundestag einen Eingriff in den verfassungsrechtlich geschützten Abgeordnetenstatus. „Dieser Eingriff ist nicht gerechtfertigt.“ Das Vorgehen sei nicht verhältnismäßig im engeren Sinne gewesen. „Im konkreten Fall waren die Anhaltspunkte für eine Gefahrenlage nur schwach ausgeprägt.“ Zudem sei nicht ersichtlich, dass die Plakatierungen überhaupt von Passanten wahrgenommen worden oder zum Anlass von Angriffen auf das Parlamentsgebäude oder die Mitarbeiter genommen worden wären. Es habe auch keinen Versuch gegeben, den Abgeordneten zu erreichen, teilte der Zweite Senat mit.
Artikel 38 des Grundgesetzes sichere den Abgeordneten das Recht, die ihnen zugewiesenen Räume ohne Beeinträchtigungen durch Dritte nutzen zu können.
Brandt begrüßte die Entscheidung. „Mein Mandat kann ich in meinen Büroräumen ... nur vertrauenswürdig und gewissenhaft ausüben, wenn das Büro vor dem Zugang unerwünschter Personen geschützt ist. Die Beamten hatten in meinen Büroräumen schlicht nichts zu suchen“, teilte der Abgeordnete mit.
Unsere Empfehlung für Sie

Konflikt im Mittelmeer Türkei und Griechenland nehmen Gespräche auf
Vor wenigen Monaten standen die Länder vor einem militärischen Konflikt. Nun hoffen sie auf Einigung im Mittelmeer. Der türkische Präsident Recep Erdogan spricht von einer neuen Ära.

27 Jahre Haft in der Türkei Kein Anzeichen von Umdenken
Das Urteil gegen den Journalisten Dündar zeigt eines: Erdogans Reformversprechen sind wertlos, meint Susanne Güsten.

Konflikt mit der Türkei Kurdenpolitiker Demirtas bleibt in Haft
Zum wiederholten Male ignoriert die türkische Justiz ein Urteil des Europäischen Menschengerichtshofs in Straßburg. Der hat die Freilassung des inhaftierten Kurdenpolitikers Demirtas verlangt.

Nach Blockade Sachsen-Anhalts Rundfunkbeitrag kann nicht zum Jahreswechsel steigen
Die geplante Anhebung des Rundfunkbeitrags zum 1. Januar scheitert endgültig an der Blockade Sachsen-Anhalts. Verfassungsbeschwerden der Öffentlich-Rechtlichen könnten zwar 2021 erfolgreich sein. Karlsruhe lässt sich aber keinen Druck machen - und weist Eilanträge ab.

Einigung in letzter Minute Der Brexit-Rausch wird vergehen
Beide Seiten mussten in einem dramatischen Finale bei den Verhandlungen über ein Post-Brexit-Abkommen Federn lassen. Die Umsetzung des Handelsvertrages hängt vom guten Willen ab. Auf britischer Seite darf man hier keine zu hohen Erwartungen haben, meint Brüssel-Korrespondent Markus Grabitz.

Brexit-Verhandlungen Warum der Deal noch nicht in trockenen Tüchern ist
Nach der Einigung von London und Brüssel in buchstäblich letzter Minute auf ein Handelsabkommen bleibt dem Europa-Parlament wenig Zeit, den Deal zu prüfen. Schuld daran ist nur ein Mann, kommentiert Markus Grabitz.