Verteidigungsministerin von der Leyen hat sich von Experten über die Probleme in ihrem Ressort aufklären lassen. Das Ergebnis ist niederschmetternd. Jetzt soll die Beschaffung von Kriegsgerät professionalisiert werden.

Berlin - Das Gutachten, das Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen am Montag entgegennahm, markiert in der Amtszeit der Ministerin jenseits aller Details vor allem einen politischen Wendepunkt. Von der Leyen weiß, dass sie ab sofort die massiven Problem bei Rüstungsprojekten nicht mehr wie bisher ohne Weiteres auf Versäumnisse ihrer Vorgänger zurückführen kann. Mit der Übergabe des Gutachtens über Probleme im Beschaffungswesen sind die Probleme, die sich auftun, endgültig die ihren. Das liegt nicht zuletzt an der Vorgeschichte.

 

Wie kam es zu dem Gutachten?

Von der Leyen war gewarnt, als sie im Dezember das Amt von Thomas de Maizière (CDU) übernahm. Dieser wäre fast darüber gestürzt, dass ihn sein Ministerium über Kostensteigerungen im dreistelligen Millionenbereich bei der Aufklärungsdrohne Euro-Hawk im Unklaren ließ. Derart sensibilisiert, entließ von der Leyen im Februar den schon unter de Maizière für Rüstungsvorhaben zuständigen Staatssekretär Stéphane Beemelmans und den Abteilungsleiter Rüstung, Detlef Selhausen, weil diese in interner Runde nicht in der Lage waren, bei den 15 größten Rüstungsvorhaben Kostensteigerungen und Verzögerungen schlüssig zu erklären. Danach kündigte die Ministerin an, gründlich aufräumen zu wollen. Sie beauftragte die Gutachter. Im März berief sie außerdem die McKinsey-Beraterin Katrin Suder zur Rüstungsstaatssekretärin. Sie wagt damit den Bruch mit einer unausgesprochenen Tradition des Hauses, die besagt, dass der Minister zu seinem eigenen Schutz besser nicht alles wissen sollte.

Wie arbeiteten die Gutachter?

Mehr als 30 Analysten eines Konsortiums von KPMG, der Ingenieurgesellschaft P3 und der Kanzlei Tayler Wessing durchforsteten drei Monate lang mehrere Zehntausend Seiten an Projektdokumentationen und Verträgen. Befragt wurden in mehr als 100 Interviews Akteure des Verteidigungsministeriums in Bonn und Berlin sowie Mitarbeiter beim Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzug der Bundeswehr (BAAINBW). Neun Projekte mit einem Gesamtvolumen von rund 56 Milliarden Euro wurden unter die Lupe genommen. Die Projekte wurden repräsentativ ausgewählt und umfassen alle Teilstreitkräfte, alle Phasen der Beschaffung und alle Industriezweige. Das Expertenkonsortium erhält für seine Arbeit 1,15 Millionen Euro.

Die Analyse

Im Ministerium fasst man das Ergebnis wie folgt zusammen: „Zu spät, zu teuer, mit Mängeln.“ Alle neun Vorhaben verspäten sich in der Auslieferung, sieben wurden deutlich teurer. Die Gutachter monieren, dass oft bereits in der Anfangsphase der Projektplanung die gröbsten Fehler begangen werden. So werden die Kosten oft unrealistisch niedrig angesetzt, um den Haushaltsausschuss des Bundestags zu blenden, der die Vorhaben bewilligen muss. Später werden die Kosten in die Höhe getrieben, weil der Bund meist sogar bei handwerklichen Fehlern des Unternehmens hafte, nicht aber das Unternehmen selbst. Im Ministerium erzählen sie die Geschichte von der Fregatte 125, bei der ein Farbanstrich nicht lange genug trocknete, weshalb die Arbeiten später wiederholt werden mussten, was Monate an Zeit und viel Geld gekostet habe – alles zu Lasten der Staatskasse. Bei Verzögerungen seien außerdem die Vertragsstrafen viel zu niedrig. Gravierende Mängel werden auch in der internen Kommunikation ausgemacht. Es sei zwar durchaus Expertise an vielen Stellen des Ministeriums vorhanden, aber es fehle eine Instanz, die den Überblick behalte, die Informationen zusammenführe. Ein Problem sei aber auch die Politik, die über Jahre hinweg an ein und dasselben Projekt verschiedene Anforderungen stelle.

Vertragsmanagement

Die Gutachter empfehlen dringend ein besseres Vertragsmanagement. Der Dilettantismus in diesem Bereich muss den Prüfern den Atem verschlagen haben. So wurde bei der Auftragsvergabe des Schützenpanzers Puma ein Mustervertrag aus dem Intranet des Ministeriums unverändert verwandt. Panzerspezifische Risiken seien bei dem 4-Milliarden-Projekt nicht berücksichtigt worden. Das bringe den Bund in eine extrem schwache Position. Angesichts dessen will die Ministerin das Vertragsmanagement professionalisieren, um in Haftungsfragen auf Augenhöhe mit der Industrie zu agieren. Das bedeute auch eine bessere Ausbildung und eine bessere Bezahlung. Die Industrie will von der Leyen an der kurzen Leine führen. Der zuletzt gewählte Ansatz, den Unternehmen wie etwa bei zivilen Projekten mehr Freiheiten bei der Leistungserbringung zu lassen, sei „krachend gescheitert“, heißt es im Ministerium.

Politisches Management

Die größten Sorgen muss sich von der Leyen aber wegen der Kommunikation in ihrem eigenen Haus machen. Sie hat bereits erfahren, dass unangenehme Wahrheiten lange ignoriert, dann nicht oder viel zu spät an die Führung weitergegeben werden. Es wird Aufgabe der neuen Rüstungsstaatssekretärin sein, die endlos langen Meldeketten zu verkürzen. Geplant ist, dass jene, die unmittelbar in der Projektarbeit stecken, nicht mehr an die direkten Vorgesetzten über eventuelle Probleme berichten, sondern in gravierenden Fällen „Vortragsrecht und Vortragspflicht“ bei Staatssekretärin Suder besteht. Schlüsseltechnologien

Die Ministerin will künftig genau festlegen, wo aus sicherheitspolitischen Gründen in Forschung und nationale Entwicklung von Rüstungsprojekten investiert werden soll. Im Ministerium heißt es, dass zum Beispiel Verschlüsselungs- und Aufklärungstechnik in nationaler Verantwortung entwickelt werden müssten. Deshalb sei es auch notwendig, den Euro-Hawk zu Testzwecken wieder „aus der Garage zu ziehen“. Nur die Aufklärungsdrohne sei geeignet, die von EADS entwickelte Abhörtechnik ISIS in großer Höhe abschließend zu prüfen.

An der Einschätzung, wonach der Euro-Hawk abgesehen von Testzwecken keine Zulassung bekommen kann, habe sich aber nichts geändert. Später könnte stattdessen die Triton-Drohne des US-Hersteller Northrop-Grumman genutzt werden, ein Nachfolger-Modell des Global Hawk, der die Plattform für das letztlich gescheiterte Euro-Hawk-Projekt bildete. Das Ministerium ist zuversichtlich, dass man mit der Triton-Drohne mehr Erfolg haben wird. Diese sei technisch ausgereifter. Außerdem werde man eine Änderung der Zulassungsregeln anstreben, die aus einer Zeit stammen, in der es gar keine Drohnen gab.