Verteidigungsministerin Lambrecht verspricht Reformen, damit das neue Sondervermögen effizient eingesetzt wird – die Opposition hegt Zweifel. Woran es der Bundeswehr noch immer fehlt.

Berlin - Bald schwimmt die Bundeswehr im Geld. Kommende Woche wird Finanzminister Christian Lindner (FDP) mit seinem Haushaltsentwurf für das laufende Jahr nicht nur ein erneut steigendes Verteidigungsbudget präsentieren, sondern auch den Gesetzentwurf für ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro. Der russische Überfall auf die Ukraine hat eine neue Sicherheitslage geschaffen, das viele neue Geld soll Versäumnisse der Vergangenheit wettmachen. Es ist aber nicht nur ein Luxusproblem, wenn sich die zuständige Ministerin Christine Lambrecht (SPD) etwa am Montag im Verteidigungsausschusses Gedanken darüber gemacht hat, wie die neuen Mittel überhaupt eingesetzt werden können. Schließlich ging schon mit weniger Geld genug schief.

 

Der Streit über das neue Sturmgewehr und die völlig aus dem Ruder gelaufenen Kosten beim Segelschulschiff „Gorch Fock“ sind nur einige Beispiele dafür, dass sich das in Koblenz ansässige Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr nicht mit Ruhm bekleckert. „Die jetzigen dysfunktionalen Strukturen“, sagt Hans-Peter Bartels (SPD) als früherer Wehrbeauftragter des Bundestags, „werden nicht durch mehr Geld geheilt, sondern nur durch eine entschlossene Reform.“

Spezielle Wünsche von Soldaten und Abgeordneten

Die Probleme sind altbekannt und vielfältiger Natur. Das fängt schon damit an, dass die Truppe selbst statt auf schnell verfügbares Gerät „häufig auf den Goldstandard setzt“, wie ein Mitarbeiter im Verteidigungsministerium berichtet. „Spezielle deutsche Wünsche dauern zu lange und sind nicht mit dem Material unserer alliierten Partner kompatibel“, moniert auch die Verteidigungsausschussvorsitzende Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP). Aus dem Ministerium wiederum ist zu hören, dass es Beschaffungsprozesse zusätzlich verzögert, wenn Ausschussmitglieder sich noch dafür einsetzen, dass Rüstungsfirmen in ihren Wahlkreisen zum Zuge kommen können.

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Einig sind sich viele Beteiligte darin, dass der dickste Brocken das Beschaffungswesen selbst ist. Mit seinen wehrtechnischen Außenstellen beschäftigt das Koblenzer Amt 12 000 Mitarbeiter. Trotzdem fehlen etwa Juristen, die patentrechtlich wasserdichte Verträge mit Unternehmen schließen können. „Die vielen unbesetzten Stellen im Beschaffungsbereich sind ein Problem, das dringend behoben werden muss“, sagt die stellvertretende Grünen-Fraktionschefin Agnieszka Brugger: „Es braucht zudem bessere Verträge, weniger Bürokratie und eine klare sicherheitspolitische Priorisierung.“

Das zielt auf die extrem schwierigen Vergabeprozesse, die zudem kaum Unterschiede zwischen den Anschaffungsgütern machen. „Neue Sportbekleidung für unsere Soldatinnen und Soldaten wird in Koblenz fast nach denselben komplexen Regeln beschafft wie ein Kampfpanzer“, beklagt der Ex-Wehrbeauftragte Bartels. Er fordert eine Entkoppelung. Dafür sollten auch – wie schon vor 2011, als alles zentralisiert wurde – Heer, Marine und Luftwaffe wieder selbst für die Materialerhaltung zuständig werden. Als „typisch deutsch“ wird es im Ministerium zudem bezeichnet, dass das Vergaberecht teils übererfüllt wird und bestehende Ausnahmeregelungen nicht genutzt werden.

Dieselben Regeln für Klamotten und Kampfpanzer

In diese Richtung denkt auch die Ampelkoalition. Als erste Maßnahme hat Verteidigungsministerin Lambrecht angekündigt, dass Aufträge unterhalb von 5000 Euro direkt und ohne EU-Ausschreibung getätigt werden können – bisher liegt die Schwelle bei 1000 Euro. Das Koblenzer Amt müsste ein Viertel weniger Vorgänge bearbeiten. Das sei „noch nicht der ganz große Wurf“, bemängelt Florian Hahn, verteidigungspolitischer Sprecher der Unionsfraktion: „Die Ministerin muss jetzt beispielsweise an die 25-Millionen-Euro-Grenze für Parlamentsbeteiligungen ran und sie auf mindestens 50 Millionen Euro anheben.“ Er fordert zudem eine „Beschaffungsagentur“.

Nun sollen Ausnahmeregelungen genutzt werden

Einen anderen langwierigen Umweg will sich die Koalition ebenfalls ersparen. Wo immer möglich soll nun für eher klassische Rüstungsgüter eine mit nationalen Sicherheitsinteressen begründete Ausnahme von europaweiten Ausschreibungen genutzt werden, die sich in Artikel 346 der EU-Verträge findet. „Die Franzosen“, sagt Strack-Zimmermann, „machen das so gut wie immer.“

Wie ihre Ampelkollegin Brugger plädiert sie dafür, sofort und ohne Vergabe auf dem Markt etwa persönliche Ausrüstung einzukaufen: „Wir sprechen da nicht von Wäsche und Socken, sondern unter anderem von technischem Equipment.“ Dies seien, so Brugger, „Beschaffungsvorhaben, die sich schneller umsetzen lassen und direkt bei den Menschen in der Bundeswehr ankommen“. Das erhöhe deren Attraktivität, ergänzt Strack-Zimmermann: „Nur so werden wir junge Menschen finden, die bereit sind, in Zukunft den nicht gewöhnlichen Beruf des Soldaten zu ergreifen.“