Der Marienplatz hat ein weitgehend geheimes Innenleben – und ein ziemlich unheimliches. Unter der Betonplatte in Stuttgart-Süd befindet sich ein feuchter, kühler, düsterer Bunker. Wir durften hinabsteigen und zeigen, wie es dort aussieht.

Digital Desk: Jan Georg Plavec (jgp)

Stuttgart - Bewohner von Stuttgart-Süd sind sicher schon etliche Male am Eingang zum Marienplatzbunker vorbeigegangen. Ob sie es auch gemerkt haben? Gegenüber vom Supermarkt befindet sich jedenfalls ein doppelt gesichertes Gittertor, das unter die gewaltige Betonplatte führt – in ein weitgehend unbekanntes und auch unheimliches Reich. An diesem Spätnachmittag dürfen wir dort hinabsteigen.

 

Der erste Eindruck im Bunker unter dem Marienplatz: feucht ist es hier und unangenehm kühl. Zumindest beim Ortstermin, dem einige Tage mit niedrigen Temperaturen vorausgegangen sind. Wenn es oben lange genug heiß ist, staut sich die Hitze. Der Luftaustausch funktioniert nicht wirklich. Wie auch? Durch die wenigen Schächte dringt kaum frische Luft, dafür aber, gedämpft, die Geräusche, die der Marienplatz eben so macht: Gespräche von Passanten, anfahrende Autos, die Zacke.

Man kann hier aber auch ganz andere Dinge hören. Death Metal zum Beispiel. Der Besuch in dem perfekt gesicherten Bunker ist nämlich nur möglich, wenn einer der Mieter den Fremden einlässt. In dem Fall ist es die Band Exitus, die von der Stuttgarter Stadtverwaltung einen zwölf Quadratmeter großen Proberaum gemietet hat; seit 1991 lässt die Stadt Musiker in den Bunkerzellen proben. Der Exitus-Proberaum ist vollgestopft mit Schlagzeug, Verstärkern und sonstigem Equipment. Schon das Rauschen der Verstärker ist selbst für vorgeschädigte Musikerohren laut. Deshalb bleiben die Kamera und das Aufnahmegerät im Raum zurück, während die Band für uns einen Song performt:

Noch vor der Tür klingt die Band laut – oben, auf dem Marienplatz kriegt man davon aber nichts mit. Diese (im wahrsten Sinne des Wortes) Underground-Band kann ihre tiefschwarze Musik mitten in der Stadt machen. Oben „Latte-Macchiato-Muttis“, unten Death Metal: ja, das geht. Gleichzeitig.

So laut und düster die Musik ist – die Musiker von Exitus sind überaus freundliche Menschen, die dem Besucher gern alle interessanten Ecken des Marienplatzbunkers zeigen. Im gänzlich unbeleuchteten Maschinenraum zum Beispiel stehen Geräte, die eine Belüftungsanlage sein könnten oder ein Notstromaggregat.

Eine weitere Sehenswürdigkeit unter Tage ist der Riss in der Wand. In den Bombennächten im Sommer 1944 bekam der Bunker einen Volltreffer ab. 15 Menschen starben, 22 wurden verletzt. Wenn heute jemand hier körperlich leidet, dann nur für den Film: Exitus zeigen Kunstblutflecken an der Wand – vermutlich Überreste eines Horrorfilms, der hier unten gedreht wurde. Dafür ist die Location definitiv geeignet.

Nach dem Krieg richtete die Caritas in dem Schutzraum eine Herberge ein: 180 Betten, die Übernachtung zu 50 Pfennig. Nach dem Krieg musste man im ausgebombten Stuttgart jeden Raum nutzen, den man hatte. Bis heute sind die Zellennummern weitgehend erkennbar und an wenigen Stellen auch Reste von Tapeten.

Beim Bau der Stadtbahn wurde die Röhre unter dem Tunnel hindurchgeführt. Auch deshalb muss man von der U1-/U14-Haltestelle Marienplatz so weit hinaufsteigen. Auf der Website des Vereins Schutzbauten Stuttgart findet sich ein Bild der Bauarbeiten.

Mittlerweile gehört das feuchtkühle Kellerreich den Musikern allein. Meistens bleiben sie da unten, ab und zu aber steigen sie hinauf – zum Beispiel für die Aktion „Bunker-Rock“ samt Konzert am Marienplatz (2011) oder die Ausstellung „Musik im Bunker“ (2016), beide organisiert von der Forschungsgruppe Untertage.

Wer sich im Marienplatzbunker weiter umschaut, sieht irgendwo Reste eines Sofas herumstehen, daneben einen Tisch aus einer Werkstatt, irgendwo liegt ein alter Computerbildschirm herum, die Metalltüren sind rostig und an den Wäden hängen Plakate, Aufkleber und Anweisungen des Vermieters Stadt Stuttgart – sofern sie nicht wegen der Feuchtigkeit herunterfallen. Den Klang der Proberäume mit Eierkartons zu verbessen, geht just deshalb nicht, berichten Bands. Die Feuchtigkeit lässt den Boden schimmern. Spinnennetze wachsen über den Zellen, die nicht oder nur selten genutzt werden.

Als sich die Band in ihren Proberaum zurückzieht, geht das Licht im Bunker aus. Zeitschaltuhr. Man hat dann nur noch die Notbeleuchtung, den Death Metal von Exitus und die 16 Grad kalte, klamme Luft. Geht es links raus oder rechts? Sackgasse, Umdrehen, kurz ist man verwirrt.

Irgendwann taucht der Aufgang zum Marienplatz auf, von innen lassen sich die beiden Gittertüren zum Glück auch ohne Schlüssel öffnen. Und dann steht man plötzlich wieder am Marienplatz, als wäre nichts gewesen, und bestellt ein Eis oder einen Negroni und ist froh, nicht mehr da unten zu sein.


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