In den französischen Burkini-Streit schaltet sich nun auch Regierungschef Valls ein. Auch in der internationalen Presse wird hefig diskutiert – ein Überblick.

Paris - Im französischen Streit um Ganzkörper-Schwimmanzüge für Musliminnen lehnt Premierminister Manuel Valls eine nationale Gesetzgebung ab. Der Sozialist äußerte in der Regionalzeitung „La Provence“ vom Mittwoch aber Verständnis für die Bürgermeister von Cannes und anderen Kommunen, die Burkinis an ihren Stränden verboten hatten. In Cannes droht Burkini-Trägerinnen ein Bußgeld von 38 Euro.

 

Burkinis seien keine neue Mode, sagte der Regierungschef. „Es ist die Übersetzung eines politischen Vorhabens, einer Gegen-Gesellschaft, insbesondere gestützt auf der Unterwerfung der Frau.“

Valls erinnerte an die 2004 eingeführte Null-Toleranz-Linie für auffällige religiöse Symbole an französischen Schulen und das seit fünf Jahren geltende Burka-Verbot. Er kündigte eine neue Initiative an, damit das Gesetz gegen die Ganzkörper-Schleier in der Praxis auch angewendet wird.

Ausschreitungen auf Korsika

Mit Blick auf die Mittelmeerinsel Korsika rief Valls zur Ruhe auf. Im Norden der Insel war es am Wochenende zu Ausschreitungen mit fünf Verletzten gekommen, nachdem eine Einwandererfamilie und Bewohner eines Dorfes aneinandergerieten. Laut Regionalzeitung „Corse Matin“ kamen inzwischen fünf Menschen in Polizeigewahrsam.

Die Zeugenaussagen zu den Vorfällen auf der Insel weichen laut Medienberichten deutlich voneinander ab. Staatsanwalt Nicolas Bessone sagte nach Angaben von „Corse Matin“, Auslöser des Konflikts seien Mitglieder einer nordafrikanischen Familie gewesen, die den Strand für sich allein haben wollten.

Eilverfahren scheiterte

In Medienberichten hatte es zunächst geheißen, dass ein Burkini der Anlass des Konflikts gewesen sein soll. Der Bürgermeister von Sisco bei Bastia hatte die Badekleidung nach den Vorfällen ebenfalls verboten. Im Ort Borgo versammelten sich am Mittwochabend der Regionalzeitung zufolge 500 Menschen, um ihre Solidarität mit zwei Bewohnern von Sisco auszudrücken, die zu den fünf Festgenommenen zählten.

Das Kollektiv gegen die Islamfeindlichkeit in Frankreich (CCIF) will rechtlich gegen die Anti-Burkini-Erlasse in den Kommunen vorgehen, sagte ein Sprecher der Organisation der Nachrichtenagentur AFP. Das Kollektiv hatte sich bereits vor einem Gericht in Nizza in einem Eilverfahren gegen die Verordnung in Cannes gewehrt, war damit aber gescheitert.

Reaktionen in Frankreich

Die linke Pariser Tageszeitung „Libération“ kommentiert die Burkini-Verbote an französischen Stränden:

„Man müsste schon sehr verschrobene Ansichten haben, wollte man das Tragen eines Kleidungsstücks, das auch beim Baden sorgfältig alle Körperteile der Frau bedeckt, als harmlose Mode oder gar Element der weiblichen Emanzipation ansehen. In der großen Mehrheit der Fälle ist es ein zur Schau gestelltes religiöses Symbol, das auf einer strengen Auslegung der heiligen Texte basiert und den Frauen nur eine Nebenrolle einräumt (...). Aber reicht das, um ein Verbot von Burkinis oder langer Kleidung an den Stränden zu verbieten? In einer freiheitlichen Gesellschaft sicherlich nicht. Mit wenigen Ausnahmen ist die Vielfalt der Bekleidung im öffentlichen Raum ein Grundrecht.“

Auch die Regionalzeitung „Le Midi Libre“ aus Montpellier in Südfrankreich kommentiert den Streit um den muslimischen Ganzkörperanzug Burkini:

„Als Symbol eines extremistischen Islamismus wird dieses zur Schau gestellte Zeichen, das den Körper der Frau verbirgt, im Land von Chanel und Brigitte Bardot natürlich als Provokation wahrgenommen. Als Angriff auf die menschliche Würde, vor der die Republik nicht ihre Augen verschließen darf. Dieses religiöse Abgleiten in einem von terroristischen Anschlägen traumatisierten Land kann in der Tat auch eine Gefahr für die öffentliche Ordnung werden. Wie dieses Wochenende auf Korsika, an der Côte d’Azur oder in all den Badeorten, die nicht hinnehmen wollen, dass eine Parallelgesellschaft sich einen Platz unter der Sonne sichert. Denn, wie die öffentlichen Schule auch ist der Strand ein Ort der Freiheit, den es zu verteidigen gilt.“

Reaktionen in Italien

Italiens Innenminister Angelino Alfano sieht in einem Burkini-Verbot nach dem Vorbild von Cannes keine gute Lösung. Er habe nicht den Eindruck, dass das französische Modell besser funktioniere, sagte Alfano in einem Interview des „Corriere della Sera“.

Zur Möglichkeit eines Verbots von Burka oder Schleier sagte er, der Innenminister müsse die Sicherheit gewährleisten und eine angemessene Härte bei seinen Maßnahmen wählen. Sie dürften aber nicht zur Provokation werden, die potenziell zu Attentaten führen könnte.

Die Verfassung garantiere die Glaubensfreiheit. Zudem gebe es in Italien eine halbe Million Muslime, „die ich sicherlich nicht als Terroristen oder Unterstützer von Terroristen betrachten kann“. Dass er die Frage ernst nehme, zeige sich daran, dass bereits neun Imame ausgewiesen wurden. „Es gibt einen Unterschied zwischen beten - und Hass und Gewalt predigen“, sagte Alfano.

Zur Debatte in Frankreich über das Burkini-Verbot schreibt die italienische Zeitung „La Repubblica“ am Donnerstag:

„An wen kann man sich wenden? Es gibt keinen Sprecher der muslimischen Gemeinde in Frankreich. Deshalb ist es so schwer, Probleme zu lösen - so klein sie auch seien. Alles läuft über die Medien. Da sind Anfeindungen, ohne Dialog. In einem Land, das die Laizität zum unumkehrbaren Prinzip gemacht hat, ist das ein richtiges Problem. Die Religion soll im Privaten bleiben und in keinem Fall in den öffentlichen Raum eindringen, ob das eine Schule oder ein Strand ist - und manche Muslime wollen das nicht verstehen. Sie sprechen von Freiheit und dem Recht der Frau, ihren Körper nicht zu zeigen. Wenn es wenigstens eine aufrichtige Diskussion gäbe. Aber es gibt zu viele Spannungen. In Frankreich ist der Islam weit davon entfernt, einen friedvollen Raum zu haben, wo er existieren kann, ohne Polemik, Angst und Hass zu verursachen.“

Reaktionen in Großbritannien

In Großbritannien herrscht überwiegend Unverständnis für das Verbot: Im britischen „The Guardian“ nennt die muslimische Journalistin Remona Aly in einem ironischen Kommentar fünf Gründe, einen Burkini zu tragen – etwa das Sparen von Sonnencreme oder Enthaarungsprodukten. Auch werde eine Runde schwimmen im Burkini zur Twitter-Sensation und lenke von den wirklich wichtigen Problemen der Welt ab.

Kommentator Sean O’ Grady vom britischen „The Independent“ schreibt, weiße Männer mittleren Alters wie er hätten kein Recht, Frauen zu sagen, sie dürften keinen Burkini tragen. Das Verbot sei „falsch und kontraproduktiv“.

Reaktionen aus der Schweiz

Die „Neue Züricher Zeitung“ in der Schweiz betrachtet das Burkini-Verbot als Ausdruck einer zunehmend vergifteten Atmosphäre zwischen der französischstämmigen Bevölkerung und den Muslimen und spricht von einem „Kulturkampf“. „Während es etwa in Australien Rettungsschwimmerinnen im Burkini gibt und in Deutschland muslimische Schülerinnen darin zum Schwimmunterricht zugelassen werden, werden in Frankreich offenbar selbst private Schwimmanlässe im Burkini nicht mehr toleriert“, heißt es unter anderem in dem Artikel.

Reaktionen aus den USA

Und selbst jenseits des Atlantiks schlägt das Burkiniverbot an einigen französischen Badestränden Wellen. Die „New York Times“ stellt die Frage: „Sind Frankreichs Burkini-Verbote sexistisch oder befreiend?“ „Männliche Beamte schreiben vor, was Frauen an französischen Stränden tragen dürfen – und weite Teile der französischen Gesellschaft sagen, dies sei eine gute Sache“, heißt es dort.