Bund und Länder streiten um Geld für Regionalverkehr. Weil der Bund sparen will, droht eine Aüsdünnung der Fahrpläne. Verkehrsminister Hermann zetert – und schießt eigenes Geld zu.

Korrespondenten: Thomas Wüpper (wüp)

Stuttgart - Jeder dritte Bundesbürger fährt täglich Bus oder Bahn. Gerade der Regionalverkehr auf der Schiene ist vielerorts eine Erfolgsgeschichte. Weil immer mehr Fahrgäste die umweltschonenden Angebote nutzen, wuchs allein seit 2002 die Beförderungsleistung um ein Drittel. Das ist umso bemerkenswerter, als seit der Bahnreform der Bund den Regionalverkehr der Länder finanzieren muss. Die Mittel dafür werden aber nur spärlich aufgestockt, obwohl die Kosten für Betrieb und Infrastruktur viel stärker gestiegen sind.

 

Im Ergebnis steht den Bundesländern, die den Zugverkehr bei der Deutschen Bahn und ihren Wettbewerbern bestellen, jedes Jahr weniger Geld für attraktive Fahrpläne zur Verfügung. „Der derzeitige Zustand ist unhaltbar, es fehlt jede Planungssicherheit“, kritisiert Winfried Hermann (Grüne). Der baden-württembergische Verkehrsminister befürchtet, dass bundesweit das Angebot im Regionalverkehr massiv eingeschränkt werden muss, wenn die Bundesregierung und der Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) an ihrem rigiden Sparkurs festhalten. Die Leidtragenden wären am Ende viele Millionen Bahnkunden.

Die tiefere Ursache des Streits über den Nahverkehr liegt in der großen Finanzpolitik, was eine rasche Lösung erschwert. Schäuble will die zahlreichen Geldströme zwischen dem Bund und den Ländern völlig neu regeln. Die derzeit geltenden Regeln für den Länderfinanzausgleich laufen 2019 aus, ebenso wie der Solidarpakt II. Seit Jahren kommen die Verhandlungen aber nicht voran. Das gilt auch für die künftige Finanzierung des Regionalverkehrs. Der Bundeszuschuss ist zwar in Artikel 106a des Grundgesetzes festgeschrieben, die konkreten Regelungen zur Ausgestaltung sind aber Ende 2014 ausgelaufen.

Nervtötende Hängepartie

Wie der Schienenverkehr in den Regionen künftig finanziert werden soll, ist weiterhin völlig unklar. Die nervtötende Hängepartie hat inzwischen zur offenen Konfrontation zwischen Bund und Ländern geführt. Schäuble wollte im Haushalt 2015 noch nicht einmal zugestehen, dass der Bundeszuschuss von zuletzt 7,29 Milliarden Euro wie bisher um 1,5 Prozent pro Jahr erhöht wird. Damit hätten schon 2015 den Ländern, die mit den Bahnunternehmen langfristige Verträge schließen, mehr als 100 Millionen Euro für den Erhalt und den Ausbau des Zugverkehrs gefehlt.

Inzwischen hat die Bundesregierung wenigstens einen Gesetzentwurf vorgelegt, der für das neue Jahr 2015 zumindest den Status quo sichert und nochmals eine Erhöhung um 1,5 Prozent vorsieht. Das Gesetz kann aber ohne Zustimmung des Bundesrats nicht in Kraft treten. In der Länderkammer aber sind sich alle einig, dass mehr Geld und wieder eine langfristige Regelung unerlässlich sind. Einstimmig beschloss die Länderkammer Ende November einen eigenen Gesetzentwurf. Danach sollen die Regionalisierungsmittel von 7,3 auf 8,5 Milliarden Euro pro Jahr erhöht werden und jährlich um bis zu zwei Prozent wachsen, um Kostensteigerungen auszugleichen. Die Regelung soll bis 2030 gelten.

Bundesregierung unter Druck

Bemerkenswerterweise stimmten diesem Gesetzentwurf auch alle von der Union und der SPD regierten Bundesländer zu. Das bringt die Bundesregierung unter Druck, zumal in den Reihen der Berliner Koalition ebenso wie an der Parteibasis ohnehin der Unmut wächst über den sturen Konfrontationskurs des Finanzministers.

So beklagen kommunale Verkehrsunternehmen, dass bisher auch Anschlussregeln für andere bis 2019 auslaufende Finanzierungen zur Verbesserung der regionalen Infrastruktur fehlen. Projekte zur Erneuerung von Anlagen und Fahrzeugen würden aus diesem Grund schon aufgeschoben. Das kommt bei den Wählern freilich nicht gut an.

Verkehrsunternehmen und Gewerkschaften haben sich dem Länderbündnis für eine verlässliche Finanzierung des Schienenverkehrs in den Regionen angeschlossen und werfen dem Bund vor, den weiteren Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) zu gefährden. Ohne eine ausreichende Finanzierung seien auch viele Arbeitsplätze in den Verkehrsunternehmen in Gefahr, befürchtet der Vorsitzende der Eisenbahnverkehrsgewerkschaft (EVG) und stellvertretende Aufsichtsratschef der Deutschen Bahn, Alexander Kirchner.

Die Vizechefin der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, Andrea Kocsis, fordert ebenfalls klare Perspektiven für die deutschlandweit 500 000 Beschäftigten im ÖPNV und seine vielen Milliarden Fahrgäste pro Jahr. Die Verkehrsfinanzierung dürfe keine Verhandlungsmasse bei der Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen seien, sondern müsse eigenständig verhandelt werden.

Schleichende Ausdünnung der Fahrpläne

Doch bis jetzt verschließt man im Bund die Augen vor der fatalen Unterfinanzierung, die zur schleichenden Ausdünnung von Fahrplänen in den Regionen führt. Man habe als finanziell schwaches Bundesland bereits „deutliche Einschnitte“ beim Schienenverkehr vornehmen müssen, klagt etwa Christian Pegel (SPD), der Verkehrsminister von Mecklenburg-Vorpommern. Auch die teilweise Stilllegung von Strecken sei nicht zu vermeiden gewesen. Wegen der unzureichenden Bundeszuschüsse drohten nun weitere ländliche Regionen im Nordosten den Anschluss zu verlieren, so der Minister.

Im finanzstarken Baden-Württemberg verhinderte die grün-rote Landesregierung bisher ein drohendes Streichkonzert. Bereits 2014 wurden die zu knappen Bundesmittel durch 84 Millionen Euro aus dem Landesetat aufgestockt, um das Zugangebot erhalten zu können. „Für 2015 müssten wir sogar mehr als 100 Millionen Euro selbst drauflegen“, kritisiert der Verkehrsminister Hermann. Nur mit den zu knappen Bundesmitteln sei das derzeitige Angebot nicht zu erhalten, im Gegenteil: „Jeder fünfte Zug müsste nach jetzigem Stand gestrichen werden.“

Fakten des ÖPNV

Lücke: Die Ursache der immer größeren Finanzierungslücke im regionalen Bahnverkehr sind die massiven Kostensteigerungen. Besonders die Nutzung der bundeseigenen Infrastruktur, die von der ebenfalls bundeseigenen Deutschen Bahn (DB) verwaltet wird, verteuert sich seit Jahren weit stärker, als der Bund seine Zuschüsse an die Länder erhöht.

Stationskosten: In Baden-Württemberg kletterten die Stationskosten, die Bahnunternehmen für Halte am Bahnhof zahlen müssen, allein zwischen 2011 und 2014 von 49 auf 58 Millionen Euro und damit fast um ein Fünftel. Die Trassenkosten, also die Mietgebühr für die Nutzung der Gleise pro Fahrt, stiegen im gleichen Zeitraum von 266 auf 306 Millionen Euro. Bis 2016 wird ein weiterer Anstieg auf 326 Millionen erwartet.

Verkehr : Die Kosten für den Bahnverkehr steigen um ein Vielfaches mehr als die Bundeszuschüsse, die nur um 1,5 Prozent pro Jahr erhöht werden. Das zeigt auch ein bundesweiter Vergleich eindrucksvoll. So stiegen die Regionalisierungsmittel für die Schiene zwischen 2002 und 2012 nur leicht von 6,8 auf knapp 7,1 Milliarden Euro. Die Stationsentgelte an die DB Netz AG aber explodierten von 454 auf 636 Millionen, die Trassenentgelte von 2,1 auf fast 2,9 Milliarden Euro.

Züge: Für den eigentlichen Zugbetrieb bleibt deshalb immer weniger übrig. Noch 2002 standen gut 2,8 Milliarden Euro für Verbindungen zur Verfügung, das waren 42 Prozent der Bundeszuschüsse. Zehn Jahre später waren es nicht einmal mehr 2,2 Milliarden, kaum mehr als 30 Prozent der Zuschüsse. Die explodierenden Infrastrukturentgelte an die DB ließen auch kaum Spielraum für mehr Investitionen in den laufenden Betrieb