Neu-Ulm/München - Evobus in Neu-Ulm, das ist ein großes, stolzes Werk, dessen Beschäftigte in den vergangenen Jahren eigentlich nur eine Richtung kannten: aufwärts. Die Daimler-Konzerntochter entstand 1995 mit dem Zukauf von Kässbohrer. Der Markenname Setra, eine Ableitung des Worts „selbsttragend“, blieb. Im Werk Mannheim produziert Evobus Fahrzeuge für den Stadtverkehr, die in hohem Maß von Kommunen gekauft werden. In Neu-Ulm aber entstehen die wahren Luxusliner der Flotte: Noble Reisebusse der sogenannten Coach-Klasse, die leicht 500 000 Euro und mehr kosten. Jährlich bis zu 2000 solcher Fahrzeuge verließen in den vergangenen Jahren die Montage – auch im vergangenen Jahr noch.
Seit Anfang dieses Jahres aber ist alles anders. Mit jedem Monat, den die Corona-Pandemie andauerte, leerte sich der Auftragskorb am bayerischen Standort. Inzwischen ist nichts mehr übrig. „Der Auftragseingang tendiert gegen null“, sagt ein Werksprecher. Die Konsequenz ist etwas noch nie Dagewesenes: Seit Anfang Dezember ist die Montage komplett geschlossen. Von den knapp 4000 Beschäftigten vor Ort sind dem Sprecher zufolge 60 Prozent in Kurzarbeit. Ausgenommen sind Kräfte in der Entwicklung, dem Finanzbereich oder im Kundenservice. Vorerst bis Ende Februar soll dieser Zustand andauern. Weil sich aber neue Aufträge nicht andeuten, wird unter Mitarbeitern bereits über einen Werkstillstand bis in den Frühsommer hinein spekuliert. Evobus will das nicht bestätigen.
Die Busunternehmen sind schwer getroffen
Die Krise bei der Daimler-Tochter geht Hand in Hand mit der aller Reisebusunternehmer. Sie haben Neubestellungen in großem Stil storniert oder geplante Investitionen aufgeschoben. „Die Lage ist existenzbedrohend“, sagt Christian Wahl, Sprecher des Bundesverbands Deutscher Omnibusunternehmer (BDO). Mitte März sei über die Unternehmen eine „verheerende“ Stornierungswelle gekommen. Fahrverbote für Reisebusse – wie auch wieder seit November – hätten jede wirtschaftliche Erholungsmöglichkeit genommen. Wahl: „Es ist klar, dass alle Investitionen in neue Fahrzeuge aufgeschoben sind.“
Dass innerhalb des BDO mit seinen rund 3000 Mitgliedsunternehmen noch kaum Insolvenzen registriert werden, hänge auch mit dem im Juli gestarteten Rettungsprogramm des Bundes für die Bustouristik in Höhe von 170 Millionen Euro zusammen, heißt es. So könnten viele Busunternehmer zumindest die Kredite für ihre Fahrzeuge bedienen. Die meisten Firmen, so Wahl, lebten glücklicherweise nicht ausschließlich von Urlaubsreisenden, sondern daneben von Schülerbeförderungen oder kürzeren Ausflügen von Vereinen oder Chören.
MAN legt das Werk Ankara zum zweiten Mal lahm
Auch der zweite große deutsche Hersteller MAN hat, was die Coach-Klasse anbelangt, eine Vollbremsung eingeleitet. Die Luxusmarken der Firmen MAN und Neoplan werden im türkischen Werk Ankara zusammengebaut. Mit 3500 Mitarbeitern ist die Größenordnung ähnlich wie in Neu-Ulm. Dieses Frühjahr war die Fabrik schon einmal für sechs Wochen komplett zu, am Montag dieser Woche kam es laut einem Unternehmenssprecher zum zweiten internen Lockdown. Vorerst bis 15. Januar soll er andauern.
Über alle Busklassen hinweg hat es 2019 europaweit rund 34 000 Neuzulassungen gegeben, auf Deutschland entfielen gut 7000 Einheiten. Aber nur die Reisebusse hätten ein Jahresminus von 60 bis 70 Prozent der Produktion eingefahren, heißt es bei den Herstellern. Überlandbusse seien viel schwächer von der Corona-Krise betroffen, die Stadtbusse gar nicht. Sie scheinen die vorläufige Rettung der Industrie zu sein. Das sei ein stabiler Markt, der „weiter auf Hochtouren“ laufe, lässt MAN verlauten. Die Münchner bauen ihre Fahrzeuge für Stadtwerke und andere Kunden im polnischen Starachowice. Bei Evobus ist es kürzlich zu einem solidarischen Abkommen zwischen Unternehmen und Beschäftigten gekommen. Alle Mitarbeiter, auch in der Mannheimer Stadtbus-Sparte, verzichten auf Gehaltsanteile. Außerdem hat das Unternehmen die Produktion von Türen oder Karosserieteile für Stadtbusse kurzfristig nach Neu-Ulm verlegt.
Solidarität innerhalb der Daimler-Tochter
Die Gewerkschafterin Petra Wassermann, Erste Bevollmächtige der IG Metall Ulm, nennt das eine „faire Vereinbarung“, wenngleich sie „schmerzhaft für die Beschäftigten“ sei. Ab dem 1. Januar arbeitet die Belegschaft – vorerst für die Dauer eines Jahres – zwei Stunden pro Woche weniger ohne Lohnausgleich. Tarifliche Zusatzgelder werden teilweise gestrichen oder nur noch als Freizeit gewährt. Zudem fällt 2021 die jährliche Ergebnisbeteiligung aus – vergangenes Frühjahr immerhin noch 2170 Euro pro Kopf. 8,3 Millionen Euro will Evobus damit sparen.
Nur defensive Prognosen für die Zukunft
Ob das genügt, die Krise am Ende ohne massiveren Arbeitsplatzabbau zu überstehen, ist eine offene Frage. Werden sich Touristen erst wieder in Reisebusse trauen, wenn sich die Impfstoffe gegen die Corona-Krankheit verbreitet haben? Möglich, heißt es bei MAN. Aber das dauere. „Wir gehen auch für 2021 von einem erheblichen Rückgang aus.“ Schnell lasse sich das Vertrauen der Fahrgäste ins Busreisen wohl nicht wiedergewinnen.