Die Buslinie 72 soll von Dezember an in den Hauptverkehrszeiten eine Schleife durch die Siedlung in Stuttgart-Möhringen fahren. Anwohner drohen mit der Gründung einer Bürgerinitiative und einer Dauerkundgebung.
Möhringen - Es ist grotesk. Im Rahmen des „Bündnisses für Mobilität“ haben sich die Gemeinderatsfraktionen von CDU, Bündnis 90/Die Grünen und SPD darauf verständigt, einige Busverbindungen zu verbessern. Auch Vaihingen und Möhringen profitieren. Sowohl für den 72er als auch für den 82er wird es in den Hauptverkehrszeiten eine Verstärkerlinie geben, sodass ein Zehn-Minuten-Takt entsteht. Allerdings nur in bestimmten Abschnitten. Für den 82er ist das die Strecke zwischen Rohr, der Rohrer Höhe und dem Vaihinger Bahnhof. Für die Linie 72 ist das das Teilstück zwischen dem Bahnhof und der Märchensiedlung. Zudem dreht dieser sogenannte Verstärkerbus eine Runde durch die Märchensiedlung. Das soll vor allem den dortigen Familien mit ihren Kindern zugutekommen.
Anwohner kritisieren, sie seien nicht gefragt worden
Grotesk an dieser Konstellation ist nun, dass der Dachswald und der Fasanenhof zunächst einmal leer ausgehen. Sehr zum Ärger von Sigrid Beckmann, der Vorsitzenden des Bürgervereins Dachswald, und Günther Joachimsthaler, der Vorsitzenden des Bürgervereins Fasanenhof (wir berichteten). Umgedreht sollen die Menschen in der Märchensiedlung Nutznießer sein. Doch dort formiert sich Widerstand. „Ich darf mich an Sie im Auftrag der Mehrheit meiner Nachbarn wenden und der Stadtverwaltung unseren Ärger über die neu geplante Buslinie durch das Märchenviertel kundtun“, heißt es in einer Mail an unsere Zeitung. „Was hier keiner verstehen kann, ist, dass die Anwohner der betroffenen Straßen in keinster Weise in den Entscheidungsprozess eingebunden wurden.“ Der Anwohner fragt, ob es Daten gebe, die belegen, dass eine solche Buslinie wirtschaftlich ist. „Wie viele Fahrgäste gibt es, die die Linie nutzen würden? Wie viele Friedhofsgänger gibt es, die diesen Bus überhaupt nutzen würden?“, fragt der Leser. Er beschwert sich auch darüber, dass die Stadt im vergangenen Jahr mit großem Aufwand die Fahrbahnen des Rübezahl- und Dornröschenwegs verengt worden seien. „Jetzt lässt man einen Bus durchfahren“, schimpft der Anwohner.
In seiner Mail listet er zwölf Namen auf, die ebenfalls gegen die neue Buslinie seien. „Bisher habe ich niemanden von den Nachbarn gesprochen, der einen Bus in diesem Wohngebiet haben möchte“, schreibt der Leser und ergänzt: „In den Gesprächen wurde mehrfach davon gesprochen, eine Bürgerinitiative zu gründen und für die ersten drei Monate des Probelaufs gleich mal eine Dauerkundgebung abzuhalten – und dies auf der Fahrbahn.“
SSB verweisen auf den Bürgerwillen
Die Mail des Anwohners ging unter anderem auch an das Büro des Oberbürgermeisters Fritz Kuhn, an die zentrale Beschwerdestelle bei der Stadt und an den CDU-Stadtrat und SSB-Aufsichtsrat Jürgen Sauer. Für diesen war der Brief eine „Komplettüberraschung“, wie er sagt. „Dass jemand diese Linie ablehnt, wo die Vorteile klar auf der Hand liegen, hat mich sehr verwundert“, sagt Sauer. Eine Buslinie durch die Märchensiedlung sei ein großer Wunsch aus dem Stadtbezirk gewesen. Konkret aus der Märchensiedlung habe es seit Jahren immer wieder Anfragen gegeben.
Auch die SSB verweist auf den Bürgerwillen: „Im Vordergrund der Angebotserweiterung auf der Linie 72 steht, dem oft geäußerten Wunsch zu entsprechen, die Linie 72 in Möhringen im Zehn-Minuten-Takt zu führen. Dies bietet zudem die Chance, die bislang nicht angebundene Möhringer Märchensiedlung im 20-Minuten-Takt anzubinden“, so die Sprecherin Birte Schaper in einer Stellungnahme.
Stadtrat hatte mit mehr Unterstützung gerechnet
Sauer hat bereits auf die Mail des Bürgers geantwortet. „Ich habe ihm ein persönliches Gespräch angeboten“, sagt er. So könne vielleicht das ein oder andere Missverständnis ausgeräumt werden. Zudem stehe die genaue Streckenführung durch das Märchenviertel noch nicht fest. „Vielleicht ist die ein oder andere Befürchtung des Anwohners ja auch gänzlich unbegründet“, sagt Sauer.
Ein wenig gewundert habe er sich auch über die Reaktionen vom Fasanenhof und aus dem Dachswald. „Ich hatte mir da mehr Unterstützung erhofft“, sagt der Stadtrat. Er betont, dass die beschlossenen Verbesserungen ein Anfang seien. Mehr sei mit dem zur Verfügung stehenden Budget von gut einer Million Euro nicht machbar. Schließlich stehe dieses Geld nicht exklusiv für Vaihingen und Möhringen zur Verfügung, sondern für die Gesamtstadt. Zum Hintergrund: Das Bündnis Mobilität hat insgesamt sechs Vorschläge für Verbesserungen gemacht. Der Gemeinderat und der SSB-Aufsichtsrat müssen noch zustimmen. Die Zustimmung gilt aber als sicher. Die Taktverdichtungen gelten vom Fahrplanwechsel im Dezember an zunächst für zwei Jahre.