Der Prozess um den Anschlag auf den BVB-Bus wird am Donnerstag eröffnet. In 28 Prozesstagen soll auch die Psyche des mutmaßlichen Täters auf Freudenstadt beleuchtet werden.

Dortmund - Das Landgericht Dortmund verhandelt einen höchst ungewöhnlichen Fall: Jemand soll versucht haben, mit einem Attentat und einer gleichzeitigen Börsenwette das große Geld zu machen. Auf der Anklagebank des Schwurgerichts sitzt bald Sergej W., ein 28-jähriger Facharbeiter aus Freudenstadt – technisch sehr begabt, eher mittelgroß, wortkarg, menschenscheu.

 

Bei den Prozessbeteiligten stieg zuletzt die Nervosität: Das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ zitierte vorab aus der Anklageschrift und dem psychologischen Gutachten über den mutmaßlichen Täter. Der scheint die Ruhe wegzuhaben: Sergej W. schweigt zu den Vorwürfen und erklärt weiter stoisch, „nichts gemacht“ zu haben.

Im psychiatrischen Gutachten steht laut „Spiegel“, dass sich der 28-jährige Deutschrusse, seit acht Monaten in Untersuchungshaft, in „gutem Allgemeinzustand“ befinde, aber „extrem misstrauisch“ sei. In der Schule sei er öfter „Opfer von Mobbing“ gewesen. Den Umzug der Familie vor rund 14 Jahren aus einer Industriestadt im Ural in den Schwarzwald habe er „nicht als stark belastend“ empfunden. Zwei Monate vor der Tat habe sich seine Freundin von ihm getrennt.

Ein unglücklicher junger Mann

Weitere Stichworte: Schwermut, Selbstmordversuche, Angst vor Menschen, Behandlung beim Psychiater, stimmungsaufhellende Medikamente, Einsamkeitsgefühle, Sehnsucht nach Liebe. Ein unglücklicher junger Mann, der auf der Suche nach seinem Weg mal in Seilen hängt?

Das passt nicht zum anderen Bild von Sergej W. Er zeigt Ehrgeiz. Die Lehre zum Elektroniker schloss er 2015 als Bester seines Fachs ab, mit der Note 1,5 und einem Preis.

Im Dortmunder Westfalenstadion fieberten 81 360 Zuschauer dem Spiel entgegen. Wer nur auf schnelles Geld aus ist, könnte mit weniger Aufwand auch eine Spielbank überfallen.

Habgier als Motiv?

Die Staatsanwaltschaft denkt in anderen Kategorien, geht von Habgier als Motiv und einer heimtückischen Ausführung aus. Der Anklage zufolge zündete Sergej W. am 9. April ferngesteuert drei selbst gebaute und mit Stahlbolzen gefüllte Rohrbomben, als der Mannschaftsbus des BVB vom Hotel L’Arrivée zum Stadion fuhr. Die Sprengkörper waren grün lackiert und in einer Hecke versteckt. Bolzen zertrümmerten die Busscheiben. Eins der 65 Geschosse stak danach in einer Kopfstütze. Im Bus saßen 18 BVB-Spieler, der Fahrer und der achtköpfige Trainer- und Betreuerstab um Thomas Tuchel. Sie waren auf dem Weg zum Champions-League-Heimspiel gegen den AS Monaco. Verteidiger Marc Bartra erlitt einen Bruch am Unterarm, ein Polizist der Motorradeskorte ein Knalltrauma. Die Detonation war heftig. Dass es nicht mehr Verletzte oder Tote gab, war wohl Zufall.

Fingierte Bekennerschreiben sollten die Polizei auf die Fährte von islamistischen Terroristen führen. Zehn Tage später griffen Sondereinsatzkommandos der Polizei zu. Sie verhafteten den 28-Jährigen in Rottenburg. Seither sitzt W. in Untersuchungshaft. Den Anschlag bestreitet er. Er habe in Dortmund nur Urlaub gemacht.

Auf die Spur des 28-Jährigen hatte die Beamten wohl ein Börsenmakler aus Österreich geführt – wie es der Zufall wollte, ein BVB-Fan, Inhaber von Wertpapieren des Bundesliga-Vereins und Kunde derselben Bank, über die Sergej W. die ominösen Börsengeschäfte abgewickelt hatte. Ihm war laut Ermittlungsakten der Kauf der Optionsscheine im großen Stil zwar aufgefallen, aber er hatte sich zunächst nichts weiter dabei gedacht. Seine Beobachtung meldete er nach dem Anschlag der zuständigen Sonderkommission „Pott“.

Die Indizien scheinen erdrückend

Wenngleich bis zum Urteil die Unschuldsvermutung gilt, erscheinen die Indizien erdrückend. Einige Tage vor dem Anschlag hatte Sergej W. 45 000 Euro Kredit aufgenommen und für 44 300 Euro Spekulationsscheine gekauft, darunter sogenannte Put-Optionen. Das Kalkül: Wenn die BVB-Aktie an der Börse abstürzt, lässt sich mit solchen Papieren ein Vielfaches an Gewinn machen. Im besten Fall wäre eine halbe Million Euro drin gewesen, so die Staatsanwaltschaft. Tatsächlich hatte W. die Optionsscheine am Tag nach dem Anschlag verkauft und rund 5870 Euro Gewinn erzielt.

Die Beamten durchsuchten auch den Arbeitsplatz von W. im Heizkraftwerk der Uniklinik Tübingen. Sprengstoffhunde schlugen am Spind von W. an. Es fanden sich Spuren von Wasserstoffperoxid, das auch als Bestandteil des Sprengstoffgemischs am Tatort festgestellt wurde. In der Wohnung entdeckten die Beamten Notizen, gut versteckt. Sie erhärteten den Verdacht einer Anschlagsplanung.

Was erstaunt, ist das kalkulierte Vorgehen des Täters. Wie die Ermittler rekonstruierten, wurden die Bomben wohl in einem Waldstück in der Nähe des Hotels zusammengebaut und die Stelle anschließend mit Treibstoff großflächig in Brand gesetzt, um die Spuren zu verwischen.