Niemand verkörpert die Entwicklung der Borussia so gut wie Roman Weidenfeller. Im Ausland gefeiert, wird er in Deutschland indes oft übersehen.

Dortmund - Vor gut drei Wochen, als Roman Weidenfeller gerade den bisher höchsten Gipfel seiner Karriere erklommen hatte und seine jungen Dortmunder Kollegen berauscht durchs Bernabeu-Stadion hüpften, war dem Torhüter nicht nach Feiern zumute. Er war nach einigen Großtaten zum Helden des Halbfinales gegen Real Madrid geworden, aber er dachte nicht an Wembley und an den großen Pokal, den er am Samstag vielleicht überreicht bekommen wird. Seine Gedanken kreisten um einen Frühlingstag am Aachener Tivoli.

 

Damals, im April 2007, war der BVB Vorletzter der Bundesliga, ein 4:1-Sieg bei der Alemannia ebnete den Weg zur Rettung. Und aus irgendwelchen Gründen sind die Bilder dieser schweren Zeit zurückgekehrt, als Weidenfeller den Sportdirektor Michael Zorc und den Kapitän Sebastian Kehl umarmte. „Dass wir 2007 in Aachen den Abstieg verhindert haben und jetzt im Finale der Champions League stehen, ist der pure Wahnsinn“, sagt der Torhüter. Er ist stolz auf den Weg, der zwischen diesen Extremen liegt. Und wahrscheinlich verkörpert kein Spieler den schon fast sagenhaften Aufstieg von Borussia Dortmund so gut wie der Routinier.

Weidenfellers späte Blüte

Der „pure Wahnsinn“ beschreibt nämlich nicht nur die spektakuläre sportliche und finanzielle Entwicklung seines Clubs – diese Beschreibung passt auch hervorragend zu Weidenfellers Spätwerk. Das animierte den Trainer Jürgen Klopp zu der Behauptung, seine Nummer eins sei „der beste Torhüter in Deutschland“. Seit drei Jahren lässt sich diese These auch mit diversen Statistiken untermauern.

Diese späte Blüte ist sehr erstaunlich. Als die Dortmunder ihr großes Wiedergeburtsprojekt begannen, galt Weidenfeller nämlich als Schwachpunkt. Auf der Linie war er schon immer gut, aber sein Spiel galt als unmodern. Das hat sich geändert, er ist Leistungsträger und im Team hoch angesehen. Der 32-Jährige ist der Ruhepol im jugendlichen Gefüge. „Ich bin sehr offen und habe mich an das dynamische Spiel unserer Mannschaft angepasst“, sagt er.

Der Torhüter macht nur wenig Fehler

Jüngere Schlussleute wie Manuel Neuer oder Marc-André ter Stegen sind zwar die etwas besseren Fußballspieler, aber Weidenfeller hat längst gelernt, sich konstruktiv am Kombinationsspiel des Teams zu beteiligen. Und was ihn in dieser Saison von allen jüngeren Kollegen abhebt, ist die Tatsache, dass ihm weniger Fehler unterlaufen. Die internationale Presse feiert Weidenfeller als besten Torhüter der laufenden Champions-League-Saison. Ohne seine Torwartkunst in Manchester, Madrid und Malaga hätte der BVB dieses Finale wohl nicht erreicht. „Ich bedanke mich beim Team, dass wir jetzt alle öffentlich eine ganz andere Wertschätzung erfahren“, sagt Weidenfeller – und gibt das Lob damit weiter. Aber sein strahlendes Gesicht zeigt, wie sehr ihn das Lob freut.

Weidenfeller hat seine Ruhe gefunden, trotz des Grolls darüber, dass er im Nationalteam nie eine Rolle gespielt hat. Als Nachwuchsspieler beim 1. FC Kaiserslautern stand er 1997 bei der U-17-Weltmeisterschaft in Ägypten im Tor der DFB-Elf, aber zur A-Nationalmannschaft wurde er nie eingeladen. „Vielleicht passte das öffentliche Bild von mir nicht zu dem, das der eine oder andere in Deutschland vom kommenden Nationaltorhüter hatte“, hat Weidenfeller einmal in einem „Focus“-Interview gesagt. „Sein Aussehen kann man ändern, aber das, was einen Menschen ausmacht, nur sehr, sehr schwer.“

Aus Kaiserslautern Torwartschule

Der gelernte Bürokaufmann litt in den Jahren der Modernisierung des deutschen Fußballs immer unter den Assoziationen, die Kaiserslauterns Torwartschule hervorrief, der auch Tim Wiese (Hoffenheim), Florian Fromlowitz (Dresden), Kevin Trapp (Frankfurt) und Tobias Sippel (Kaiserslautern) entstammen. Spötter sagen, dass der dortige Spezialtrainer Gerry Ehrmann seinen Schützlingen neben Reaktionsschnelligkeit, Sprungkraft und Beweglichkeit vor allem die Vorzüge von Besuchen beim Friseur, im Solarium und in Muckibuden vermittelt habe.

Obwohl Weidenfeller erst 19 war, als er vom Betzenberg ins Revier wechselte, passte er lange in dieses Bild und verkörperte damit irgendwie auch jene Art des rumpelnden deutschen Fußballs in den neunziger Jahren, die der Bundestrainer Joachim Löw immer überwinden wollte. Schwer erklärbar ist jedoch, dass Tim Wiese, ein ähnlicher Torwarttyp, zur EM 2008 und zur WM 2010 reisen durfte, während Weidenfeller unbeachtet blieb. Er bekam dafür nie eine Erklärung, das hat ihn verletzt.

Schwere Vorwürfe von Asamoah

„Vielleicht muss ich mir die Haare kürzer schneiden und etwas zierlicher werden“, sagte er und brachte Schwulenverbände gegen sich auf. Außerdem erhob der ehemalige Schalker Stürmer Gerald Asamoah den Vorwurf, Weidenfeller habe ihn rassistisch beleidigt. Der Fall konnte nie eindeutig geklärt werden. Der Torhüter wurde für drei Spiele gesperrt und akzeptierte die Strafe – mit der Begründung ein Widerspruch führe zu noch mehr Ärger.

In diesen Tagen wirkt Roman Weidenfeller so, als spielte seine Vergangenheit keine Rolle mehr. Er freut sich auf die „wunderbare Gelegenheit“, in Wembley einen internationalen Titel zu gewinnen. Am Samstagabend darf entweder Manuel Neuer als einziger aktiver deutscher Torhüter einen internationalen Titel führen – oder dieser Unterschätzte aus dem Revier.