In einem Aktenordner verwahrt Klaus Markert vergilbte Seiten aus den frühen Jahren des Deponiebetriebs. In einem 1926 verfassten Schreiben unterbreitet zum Beispiel die Actien Gesellschaft für Verzinkerei und Eisenconstruction ihr Angebot für eine Mülltransportanlage mit Förderbändern und Hebevorrichtung sowie einen Kipper, der sechs Waggons pro Stunde abfertigen soll. Stattliche 120 000 Kubikmeter Abfall landeten bereits im Jahr 1934 auf der Deponie Erbachtal. Darin steckte einiges an Verwertbarem: allein 263 Tonnen Weißblech, 63 Tonnen Eisenschrott, zehn Tonnen Altgummi sowie etliche Tonnen Lumpen und Schuhe fischten die Mitarbeiter eines findigen Neustädter Unternehmers aus dem Durcheinander.

 

Ein Foto vom März 1937 zeigt vier Männer mit Schiebermützen, die an einem Förderband stehen und Müll sortieren – der Beweis dafür, dass Recycling keine Erfindung der Neuzeit, sondern ein alter Hut ist. Ein anderes Bild verdeutlicht, was während eines Arbeitstags außer Essensresten, Lumpen und Schuhen so alles an den Männern vorbeizuckelte: Wärmflaschen, Wecker und Fleischwölfe, ausgemusterte Küchenwaagen, Kerzenleuchter, Granathülsen.

Die Müllabfuhr kostete die Stadt bereits im Jahr 1934 fast eine Million Reichsmark. Und noch heute, 20 Jahre nach dem Beginn der Stilllegungsphase, muss Stuttgart für die Nachsorge der Deponie Erbachtal tief in die Tasche greifen. „Die Rechnungen liegen im Jahr bei 250 000 Euro“, sagt Klaus Markert, „die Lohnkosten kommen noch obendrauf.“ Deponiemonitoring nennt der Fachmann das umfangreiche Paket an Aufgaben, zu denen die Wartung der Zäune und Schächte, die Kontrolle der 23 Grundwassermessstellen rund ums Gelände und die Überwachung der Entgasungsanlage gehören. Letztere hat die Aufgabe, das im ältesten Teil der Deponie auftretende Gas, 15 Kubikmeter Methangas und Kohlendioxid pro Stunde, bei rund 1100 Grad Celsius schadlos zu verbrennen. Dass dort, wo 1965 letztmals Abfall eingelagert wurde, immer noch Gas austritt, sei erstaunlich, sagt Markert: „Jeder Experte sagt, dass es nach 30, 40 Jahren kein Gas mehr gibt, weil sich die organischen Stoffe zersetzt haben.“ Doch noch ist einiges in Bewegung: „Das Gelände setzt sich auch noch.“ Ein Grund, weshalb die für das Jahr 2010 geplante teilweise Öffnung verschoben werden musste.

Der Erbach muss einen Umweg nehmen

Sämtliche Bereiche der ehemaligen Deponie sind inzwischen abgedichtet – mit einer 50 Zentimeter starken Lehmschicht und einer 2,5 Millimeter dicken Kunststofffolie. Der Erbach muss seit einigen Jahren einen Umweg nehmen. „Die alte Verdolung war sehr brüchig und rissig“, sagt Klaus Markert. In der mittlerweile sanierten Röhre fließt nun das Sickerwasser der Deponie in eine Kläranlage.

Der Erbach selbst nimmt seit dem Jahr 1997 den Weg durch den Stollen, dessen Ende Klaus Markert nach einem mehrminütigen Fußmarsch erreicht hat. Ein großes, schweres Gitter sichert das Ende des Tunnels vor abenteuerlustigen Besuchern. Klaus Markert schließt auf und steht mitten im Grünen. Der Erbach plätschert, die Vögel zwitschern. Irgendwie idyllisch. Und trotzdem, sagt Klaus Markert, dass die Nachsorgephase für die Deponie sicher noch 30 Jahre dauern werde.

An diesem Nachmittag trägt Klaus Markert einen gelben Schutzhelm auf dem Kopf, einen Gasmelder am Gürtel und eine leuchtstarke LED-Lampe in der Hand. Vor wenigen Minuten hat er das auf einem grünen Hügel gelegene, kreisrunde Betriebsgebäude der Deponie Erbachtal betreten und ist dann mit einem Bauaufzug 20 Meter durch einen Schacht in die Tiefe gerattert. Einer der regelmäßigen Kontrollgänge durch den Erbachstollen steht wieder auf dem Programm. Klaus Markert knipst seine Handlampe für einen Moment aus. Absolute Finsternis. Eine leichte Brise weht durch den Stollen. „Hier unten ist die Luft besser als in Stuttgart“, scherzt Klaus Markert, schaltet seine Lampe wieder ein und lässt deren Lichtstrahl über die mit Beton verschalten, gewölbten Wände des Stollens schweifen. Blitzsauber ist es in der 820 Meter langen Röhre – so als würde eine schwäbische Hausfrau hier pflichtgemäß ihre Kehrwoche machen.

Die Stuttgarter wussten nicht mehr, wohin mit ihrem Müll

Markert marschiert los, durch den leicht abfallenden Erbachstollen in Richtung Rems. Im Jahr 1902, erzählt er, kaufte die Stadt Stuttgart ein 14 Hektar großes Areal zwischen den damals noch selbstständigen, heute zu Waiblingen gehörenden Orten Neustadt und Hohenacker. Dass die Stuttgarter ein wenig spektakuläres Tal auf fremder Markung erstanden, hatte einen simplen Grund: Sie wussten nicht mehr, wohin mit ihrem Müll. Um das Jahr 1900 zogen Pferde die mit dem stinkenden Haus- und Gewerbemüll, den Essensresten, Scherben, Flaschen, Lumpen, mit Koks und Schrott beladenen Müllkutschen an den Stadtrand, wo der Abfall auf mehreren Kleinflächen lagerte. Doch auf lange Sicht musste eine andere Lösung für die Müllmassen her.

Da traf es sich gut, dass es in Hohenacker und Neustadt genügend Platz, eine Bahnstation und Menschen gab, die Geld brauchten. Denn die aus Amerika eingeschleppte Reblaus machte den Wengertern das Leben schwer und die Ernten zunichte. Nicht wenige waren bereit, ihre Grundstücke an die Stadt Stuttgart zu verkaufen.

Auf alten Fotos, die Markert in Archiven gefunden hat, ist das Erbachtal samt dem gleichnamigen Bach zu sehen. Die Schlucht klafft wie ein tiefer Graben zwischen Neustadt und Hohenacker. Rechts oben ist das Bahnhofsgebäude zu sehen. Lange Förderbänder transportieren den Müll bis an die Kante der Schlucht. Dort angekommen plumpste der Abfall in die Tiefe: 2,2 Millionen Kubikmeter sind im Laufe der Jahrzehnte vom Stuttgarter Nordbahnhof aus per Bahnwaggons zu der Bahnstation in Neustadt verfrachtet worden. Das Tal, an dessen Sohle Bäume standen und der Erbach floss, ist heute längst verschwunden und mit einer viele Meter hohen Müllschicht verfüllt.

Sechs Zugwaggons mit Müll pro Stunde

In einem Aktenordner verwahrt Klaus Markert vergilbte Seiten aus den frühen Jahren des Deponiebetriebs. In einem 1926 verfassten Schreiben unterbreitet zum Beispiel die Actien Gesellschaft für Verzinkerei und Eisenconstruction ihr Angebot für eine Mülltransportanlage mit Förderbändern und Hebevorrichtung sowie einen Kipper, der sechs Waggons pro Stunde abfertigen soll. Stattliche 120 000 Kubikmeter Abfall landeten bereits im Jahr 1934 auf der Deponie Erbachtal. Darin steckte einiges an Verwertbarem: allein 263 Tonnen Weißblech, 63 Tonnen Eisenschrott, zehn Tonnen Altgummi sowie etliche Tonnen Lumpen und Schuhe fischten die Mitarbeiter eines findigen Neustädter Unternehmers aus dem Durcheinander.

Ein Foto vom März 1937 zeigt vier Männer mit Schiebermützen, die an einem Förderband stehen und Müll sortieren – der Beweis dafür, dass Recycling keine Erfindung der Neuzeit, sondern ein alter Hut ist. Ein anderes Bild verdeutlicht, was während eines Arbeitstags außer Essensresten, Lumpen und Schuhen so alles an den Männern vorbeizuckelte: Wärmflaschen, Wecker und Fleischwölfe, ausgemusterte Küchenwaagen, Kerzenleuchter, Granathülsen.

Die Müllabfuhr kostete die Stadt bereits im Jahr 1934 fast eine Million Reichsmark. Und noch heute, 20 Jahre nach dem Beginn der Stilllegungsphase, muss Stuttgart für die Nachsorge der Deponie Erbachtal tief in die Tasche greifen. „Die Rechnungen liegen im Jahr bei 250 000 Euro“, sagt Klaus Markert, „die Lohnkosten kommen noch obendrauf.“ Deponiemonitoring nennt der Fachmann das umfangreiche Paket an Aufgaben, zu denen die Wartung der Zäune und Schächte, die Kontrolle der 23 Grundwassermessstellen rund ums Gelände und die Überwachung der Entgasungsanlage gehören. Letztere hat die Aufgabe, das im ältesten Teil der Deponie auftretende Gas, 15 Kubikmeter Methangas und Kohlendioxid pro Stunde, bei rund 1100 Grad Celsius schadlos zu verbrennen. Dass dort, wo 1965 letztmals Abfall eingelagert wurde, immer noch Gas austritt, sei erstaunlich, sagt Markert: „Jeder Experte sagt, dass es nach 30, 40 Jahren kein Gas mehr gibt, weil sich die organischen Stoffe zersetzt haben.“ Doch noch ist einiges in Bewegung: „Das Gelände setzt sich auch noch.“ Ein Grund, weshalb die für das Jahr 2010 geplante teilweise Öffnung verschoben werden musste.

Der Erbach muss einen Umweg nehmen

Sämtliche Bereiche der ehemaligen Deponie sind inzwischen abgedichtet – mit einer 50 Zentimeter starken Lehmschicht und einer 2,5 Millimeter dicken Kunststofffolie. Der Erbach muss seit einigen Jahren einen Umweg nehmen. „Die alte Verdolung war sehr brüchig und rissig“, sagt Klaus Markert. In der mittlerweile sanierten Röhre fließt nun das Sickerwasser der Deponie in eine Kläranlage.

Der Erbach selbst nimmt seit dem Jahr 1997 den Weg durch den Stollen, dessen Ende Klaus Markert nach einem mehrminütigen Fußmarsch erreicht hat. Ein großes, schweres Gitter sichert das Ende des Tunnels vor abenteuerlustigen Besuchern. Klaus Markert schließt auf und steht mitten im Grünen. Der Erbach plätschert, die Vögel zwitschern. Irgendwie idyllisch. Und trotzdem, sagt Klaus Markert, dass die Nachsorgephase für die Deponie sicher noch 30 Jahre dauern werde.

Wie lange es bis zur vollständigen Öffnung des Geländes dauert, weiß niemand. Rund 40 Prozent dürfen seit Ende 2014 wieder von jedermann betreten werden. Quer über das Gelände führt seitdem ein Fußweg, der die einst durch ein tiefes Tal getrennten Orte verbindet. „Wir haben Neustadt und Hohenacker zusammengebracht“, sagt Klaus Markert. Auch ein Berg von Müll hat sein Gutes.