Christian O. Erbe vertritt als Präsident des Baden-Württembergischen Industrie- und Handelskammertags (BWIHK) 650 000 Unternehmen im Südwesten. Bei der Unternehmensfolge sieht er ein massives Problem – auch weil jeder dritte Unternehmer bereits 60 Jahre oder älter ist.
Herr Erbe, wie virulent ist das Thema Unternehmensnachfolge bei den IHK-Mitgliedsunternehmen?
Das ist sehr virulent. Schätzungen ergeben, dass in Deutschland in den kommenden fünf Jahren im ungünstigsten Fall rund 250 000 Unternehmen schließen müssen, wenn sie keine Nachfolge finden. Den Anteil für Baden-Württemberg wollen wir hier möglichst klein halten. Bei uns stehen bis 2026 rund 27 000 Unternehmen vor einer Nachfolge. Schon jetzt ist jeder dritte Unternehmer mindestens 60 Jahre alt.
In welchen Branchen ist die Nachfolge derzeit am schwierigsten?
Das Problem betrifft grundsätzlich alle Bereiche. Es sind allerdings Branchen darunter, die in der Coronakrise besonders gelitten haben wie die Hotellerie und Gastronomie, der Tourismus und Einzelhandel. Durch den Strukturwandel in der Automobilindustrie sind auch viele kleinere Zulieferer geschwächt. Hier ist die Frage, wie zukunftssicher diese Unternehmen für eine Übergabe aufgestellt sind. Ob sich Familienmitglieder das noch antun wollen oder überhaupt Käufer zu finden sind.
Schließen auch kerngesunde Unternehmen?
Manchmal findet auch ein wirtschaftlich florierendes Unternehmen keinen adäquaten Nachfolger. Ein Grund ist, dass Start-ups in den Medien viel präsenter und damit auch positiver dargestellt werden als Unternehmensübernahmen. Als würden Start-ups wahnsinnig schnell wachsen und bessere Chancen bieten. Dabei ist das Risiko einer Unternehmensübernahme viel geringer.
Lässt es sich nicht noch leichter und sicherer als Beschäftigter arbeiten?
Auch im Angestelltenverhältnis gibt es Risiken und auch Führungskräfte stehen unter hohem Druck. Die Chancen, Unternehmer zu sein, werden zu gering geschätzt. Man kann selbst gestalten, neue Ideen einbringen und – mit Abstrichen – seinen eigenen Arbeitsrahmen festlegen. Und man kann das Unternehmen in eine ganz eigene Richtung lenken.
Wie wichtig ist bei einer Übernahme das Emotionale, die Wertschätzung des Lebenswerks?
Der emotionale Aspekt ist sehr viel wichtiger, als er gesehen wird, vor allem von externen Interessenten. Für jene, die ein Unternehmen geführt oder gar gegründet haben, ist es wie ein Kind, das man nicht gerne weggibt. Damit muss man sehr sensibel umgehen und verstehen, dass die Übergabe auch deshalb oft länger dauert als erwartet.
Sie sind jetzt 63. Wie sieht es mit ihrem eigenen Unternehmen aus?
Ich denke noch nicht daran, in den Ruhestand zu geben, aber ich bin offen für alles. Zuerst braucht man jemanden, der das kann, der auch will – und der auch darf. Wenn es aus meiner Familie jemanden gibt, der diese drei Kriterien erfüllt, dann ist das schön. Sonst könnte man auch nach einem externen Geschäftsführer suchen, während das Unternehmen in Familienhand bleibt. All das sehe ich eher nüchtern.
Wird künftig der Mittelstand in Baden-Württemberg geschwächt, weil es weniger Unternehmen geben könnte?
Die Gefahr ist nicht zu unterschätzen, gerade weil die Wirtschaft auf den Schultern kleinerer und mittlerer Unternehmen ruht. Erfreulicherweise ist das Thema im Koalitionsvertrag verankert, stand aber infolge der Krisen und Kriege nicht mehr im Fokus. Darauf müssen wir uns jetzt wieder konzentrieren, auch deshalb fordern wir eine Nachfolgekampagne. Wir müssen Übergeber und Übernehmer von Unternehmen auch emotional abholen und verdeutlichen, dass Übernahmen und Neugründungen gleichwertig sind. Wir sollten auch Landesförderprogramme wie das „Coaching für kleinere und mittlere Betriebe“ für Betriebsübergebende neu auflegen sowie die Zielgruppe der Meistergründungsprämie auf JungmeisterInnen mit IHK-Abschluss ausdehnen. Ziel muss sein, dass möglichst viele Übergaben tatsächlich funktionieren.
Christian O. Erbe – Unternehmer und BWIHK-Präsident
Präsident
Christian O. Erbe ist Präsident des Baden-Württembergischen Industrie- und Handelskammertags (BWIHK). Als Vorstandsmitglied der DIHK vertritt er die Interessen der Südwestwirtschaft auch auf Bundesebene in Berlin. Erbe leitet in fünfter Generation die Erbe Elektromedizin GmbH in Tübingen, die weltweit rund 1000 Beschäftigte zählt.
BWIHK
Der BWIHK ist der Dachverband der zwölf IHKs im Land und versteht sich als selbst als politisches Sprachrohr für 650 000 Unternehmen im Südwesten.