Das Musical „Cabaret“ im Alten Schauspielhaus ist kurzweilig und zieht in die Musik hinein. Allerdings staunt man, wie altbacken die freie Liebe propagiert wird.

Kultur: Adrienne Braun (adr)

Stuttgart - Wäre er kein Amerikaner, wer weiß, ob etwas aus den beiden geworden wäre. So aber hat Sally Bowles sofort Feuer gefangen und bettelt, er möge etwas auf Englisch sagen, bloß, weil’s so schön klingt. Sally geht mit Max ins Bett – „in dieser Woche“. Jetzt aber hat sie es abgesehen auf den jungen Amerikaner, der in Berlin einen Roman schreiben will. „Ich habe noch nie mit einem Schriftsteller. . .“, säuselt Sally – und zieht umgehend in Cliffords Pensionszimmer ein.

 

Liza Minelli hat das Musical berühmt gemacht

Ein lüsternes Luder ist diese Sally Bowles, eine Femme fatale, die angeblich so heiß ist, dass sie schon fast ein Theater in Brand gesteckt und mit Champagner gelöscht werden musste. „Willkommen, Bienvenu“ heißt es im Alten Schauspielhaus, das „Cabaret“ neu herausgebracht - ein Musical von 1966, das seinen Durchbruch erst durch seine Verfilmung 1972 erlebte. Liza Minelli machte Sally Bowles weltberühmt.

Berlin Ende der angeblich so verruchten Zwanzigerjahre - „alle haben diese Sucht, sich zu amüsieren“, heißt es in „Cabaret“. Deshalb landet Clifford (Tilmar Kuhn), dieser talentlose Schriftsteller, schon an seinem ersten Abend in Berlin im Kitkat-Club - und kurz darauf mit Sally im Bett. Als sie schwanger wird, will er das Kind, aber nicht in Deutschland, wo die Sitten rauer werden. Sally dagegen träumt von einer Karriere im Kitkat-Club. Am Ende von „Cabaret“ übernehmen die Nationalsozialisten die Herrschaft – und Clifford geht.

Warum keine Liaison mit einem Schimpansen?

Bis dahin aber werden die Popos geschwenkt und die Beine geschwungen, sodass der Conferencier warnt: „Und jetzt, meine Damen, halten Sie Ihre Ehemänner fest.“ „Cabaret“ basiert auf einem Stück von John van Druten und Erzählungen von Christopher Isherwood, der 1930 als Englischlehrer nach Berlin zog. Aus heutiger Sicht wirkt das vehemente Pochen auf freie Liebe allerdings arg penetrant. Da propagiert man „two Ladies und nur einen Mann“ und es wird eine Liaison mit einem Schimpansen angepriesen nach dem Motto „leben und leben lassen“. Heute wirkt dieser zwanghaft zu Markte getragene Freigeist beinahe verklemmt.

Der Regisseur Ulf Dietrich scheint die programmatische Fleischbeschau nicht überstrapazieren zu wollen, aber freilich muss auch Sally Bowles (Vasiliki Roussi) die Beine provozierend spreizen, und wird schmatzend auf den Hintern geklatscht. Bei „Cabaret“ kommt man an der bemühten Frivolität kaum vorbei und so muss das Gerede über Jungfräulichkeit notgedrungen nachgeplappert werden. Man muss auch dem Conferencier ein Forum bieten, der dem Publikum Trude, Mausi, Inge und Rosi präsentiert wie Milchvieh im Stall.

Altbackene Vorstellung von Erotik, schwungvolle Musik

Vielleicht hätte der Inszenierung mehr ironisches Augenzwinkern gut getan. Ulf Dietrich bringt das Musical dagegen so auf die Bühne, wie es vermutlich viele erwarten und man es auch aus dem Film kennt. Die Ausstattung ist klar in der Zeit verortet, da wird ein altmodisches Zugabteil auf die Bühne geschoben oder ein muffiger Pensionsflur, in dem sich diverse Liebhaber auf die Füße treten. Sally Bowles tritt im Kitkat-Club als Schulmädchen auf, bettelt, dass man der Mami nichts verraten möge – und reißt sich die Klamotten runter.

Während man sich noch fragt, ob solche Stoffe in dieser Form noch etwas auf einer modernen Theaterbühne zu suchen haben, wird man doch mitgerissen von der kurzweiligen Inszenierung und vor allem der Musik. Die altbackene Vorstellung von Erotik wird wettgemacht durch die Kraft der Songs, die das kleine Orchester rund um Andrew Hannan mit Wucht und Zug präsentiert. Das Ensemble ist stimmlich und tänzerisch auf der Höhe. Vasiliki Roussi gibt die exzentrische Sally mit fast sportlicher Kraft. Harald Pilar von Pilchau ist hervorragend als Conférencier, ein dämonischer Stimmungsanheizer, der die Herren ermahnt „Wechseln Sie nicht bloß die Damen, wechseln Sie auch die Hemden.“

Eine Ananas – als Zeichen der Liebe

Der schönste Moment dieses Abends ist das Duo, nein, nicht zwischen Sally Bowles und dem Amerikaner, sondern zwischen der Pensionswirtin (Heike Schmidt) und ihrem Stammgast (Michael Hiller), dem jüdischen Besitzer eines „erstklassigen Obstgeschäfts“. Der bringt ihr, zum Zeichen seiner Liebe, eine Ananas mit, und gemeinsam singen sie „Ananas für mich“ – „von mir“. Ein rührend-komisches Duett, das viel verrät vom Leben in dieser Zeit, das sich keineswegs nur um heißblütigen Sex drehte.