Mit dem Café Kipp verliert der Stuttgarter Westen einen beliebten Treffpunkt und ein Stück Geschichte. Das Gebäude wurde an einen Investor verkauft.

S-West - Der Johannisbeerkuchen, hmm, der war ein Gedicht, den habe ich am liebsten gegessen.“ Beim Gedanken an die Backkünste der Familie Kipp seufzt Rudolf Bläser genussvoll. „Noch besser hat er mit Sahne geschmeckt, aber die habe ich nicht immer dazu bestellt, Sie wissen ja . . .“, sagt der ehemalige Bezirksvorsteher von Stuttgart-West und deutet auf seinen Bauch. Ein bisschen müsse man ja auf die Linie achten, „auch wenn ich heute eh nur noch bei Damen um die 80 Chancen habe“, sagt der 78-Jährige mit einem Schmunzeln. Seine Frau habe im Übrigen die Walnusspralinen, selbstverständlich selbst gemacht, am liebsten gehabt.

 

Mit ein paar Damen, alles ehemalige Kolleginnen aus seiner Zeit bei der Commerzbank, hat sich Rudolf Bläser stets am ersten Mittwoch im Monat im Café Kipp zum gemischten Stammtisch getroffen. „Seit ich im Jahr 2000 kein Bezirksvorsteher mehr war, haben wir das gemacht“, erzählt Bläser. Die Damen kamen aus Leinfelden, Rohr und Weilimdorf angereist. „Denen hat’s bei uns geschmeckt, sonst wären die nicht extra her gekommen.“

Gebäude wird kernsaniert

Jetzt müssen sich die rüstigen Kolleginnen und Rudolf Bläser auf einen neuen Treffpunkt einstellen. Das Café Kipp hat seit der vergangenen Woche geschlossen. Der Gebäudekomplex, den die Rentenversicherung an den Investor Ferdinand Piëch verkauft hat, wird kernsaniert. Danach soll ein Teil der Dualen Hochschule einziehen. Ein Café ist nicht mehr vorgesehen.

Schon vorigen Mittwoch traf sich die Runde deshalb im Café Stöckle am Hölderlinplatz. „Das ist unser Rettungsanker“, sagt Bläser, „das einzige richtige Café, das wir im Westen jetzt noch haben.“ Im Stöckle ging Rudolf Bläser schon mit 16 Jahren ein und aus, wenn er dort als Banklehrling das Mittagessen für seine Kollegen holte. Beide Cafés, das Stöckle und das Kipp, sind Traditionsbetriebe im Westen. Nun hat eines geschlossen und hinterlässt im Bezirk eine Lücke. „Das Café wird fehlen“, sagt Bläser. Dieser Meinung ist auch Horst Alber, ehemaliger Bezirksbeirat im Westen und Vorsitzender des SV Heslach: „Das Café Kipp war eine Institution.“

Erstes Café der Familie 1934 in Mitte

Begonnen hat die Geschichte des Familienbetriebs, der über drei Generationen geführt wurde, bereits 1934, damals noch in der Büchsenstraße in Stuttgart-Mitte. Dort führte der Bäckermeister Friedrich Kipp das Café Colmar. Als der Krieg kam, wurde der Mann aus Vöhringen eingezogen und geriet in Gefangenschaft. Nach seiner Freilassung übernahm die Familie das Café Kübler an der Elisabethenstraße 28 direkt am Bismarckplatz. An die Küblers kann sich Rudolf Bläser noch gut erinnern. Als Kind beobachtete er mit Vorliebe die stämmigen Pferde der Brauerei Dinkelacker, welche die Kutschen mit den Fässern und den Eisstangen vor das Café zogen. Die Tage, an denen er dann noch ein Himbeereis für zehn Pfennig kaufen durfte, wird der 78-Jährige nie vergessen.

Von 1947 an führte Friedrich Kipp das Café und benannte es nach seinem Namen um. Als die Landesversicherungsanstalt 1954 an der Rotebühlstraße ihren Neubau fertigstellte und einen gastronomischen Betrieb suchte, zog das Café an den Standort um, an dem es die letzten 58 Jahre seine Gäste bewirtet hat. In dieser Zeit holte Friedrich Kipp auch seinen Sohn Manfred zurück, der seine Wanderjahre in der Schweiz und in England zugebracht hatte. 1963 wurde der Konditormeister Teilhaber des Cafés und führte es bis vor sechs Jahren. „Ich bin mit meinen Gästen alt geworden“, sagt der 72-jährige Manfred Kipp. Fast sein ganzes Berufsleben hat er in diesem Café verbracht.

Die Ausweitung des Angebots auf ein warmes Mittagessen, entpuppte sich vor 35 Jahren als erfolgreicher Einschnitt in der Firmengeschichte. „Das war bürgerlich, schwäbische Küche“, erinnert sich Bläser. Die Geschäftsleute verbrachten gerne ihre Mittagspause dort. Zwischen 80 und 100 Essen gingen täglich über die Theke, erzählt Manfred Kipp. Rudolf Bläser bevorzugte bei seinen Besuchen die kleineren Knabbereien. „Ich habe dort immer gern die Kümmelbrezeln und Käsestangen gegessen und dazu ein Viertele getrunken“, sagt er.

Familiäre Atmosphäre bei Kaffee und Kuchen

Es war die gute, bodenständige Qualität, die das Café Kipp bei den Leuten beliebt gemacht hat. Die Kuchen und Torten sowie das Mittagessen kamen aus der eigenen Küche. Mit Manfred Kipp und in den letzten sechs Jahren dessen Sohn Thomas und seiner Frau standen gelernte Konditormeister in der Backstube und hinter der Theke, die ihr Handwerk verstanden.

„Es war aber auch die Atmosphäre, die das Café ausgezeichnet hat“, sagt der ehemalige Bezirksvorsteher. Als „volkstümlich“ umschreibt er es. „Ein echtes Café mit West-Flair, nicht nur, aber vor allem für die älteren Leute.“ So hat es auch Horst Alber empfunden, der am Abschiedsabend des Cafés auf der Trompete „Tränen lügen nie“ und „Lili Marleen“ gespielt hat.

„Bei den Kipps war es gemütlich, und man fühlte sich wie zuhause“, so Alber. Die Einrichtung aus bequemen Polsterstühlen, schnörkeligen Lampen und der mit vergoldeten Leisten verzierten Theke, die durchaus als etwas altmodisch bezeichnet werden darf, hat das heimelige Gefühl unterstrichen. Vor allem lag es aber an den Kipps und an den Gästen, die sich teils untereinander kannten. „Viele Westler, die seit Jahrzehnten hier im Stadtbezirk leben, hat man dort treffen können“, erzählt Bläser.

„Die Leute müssen jetzt eine Alternative suchen, und das ist nicht einfach“, sagt Bläser. „Das Café Kipp war ein beliebter Treffpunkt“, sagt er. Und er geht sogar noch ein Stück weiter: „Das ist eine Legende, die verloren geht.“ Horst Alber nickt zustimmend: „Absolut“, sagt er, „es wird fehlen.“