Sie lebt in einer lesbischen Beziehung, tritt für Pornografie und Abtreibung ein. Wie kommt es, dass das neue Buch der umstrittenen amerikanischen Intellektuellen Camille Paglia im rechten Antaios Verlag erscheint?

Kultur: Stefan Kister (kir)

Stuttgart - Als Sensation feiert der neurechte Antaios Verlag in seinem Frühjahrsprospekt, mit einer Publikation der amerikanischen Intellektuellen Camille Paglia aufwarten zu können. Unter dem Titel „Frauen bleiben, Männer werden“ erscheinen 34 Aufsätze der streitbaren Feministin, die zugleich, wie es im Verlagsprogramm heißt, die weltweit wohl berühmteste Feminismuskritikerin sei, die „am akademischen Gesinnungsfeminismus“ kein gutes Haar lasse. „Ein Kaliber, an das wir vor Jahren nicht im Traum denken konnten“, jubelt der Verleger Götz Kubitschek, der schon mit dieser Wortwahl deutlich macht, Paglia von seinem Rittergut in Schnellroda aus als Sturmgeschütz in Stellung bringen zu wollen, gegen „Genderwahn, feministische Verantwortungslosigkeit und metoo-Geschwätz“.

 

In der Tat hätte man Camille Paglia auf der publizistischen Plattform der Neuen Rechten nicht gesucht. Die offen lesbisch lebende, in Philadelphia lehrende Kulturwissenschaftlerin wurde mit ihrem Werk „Die Masken der Sexualität“ bekannt, in dem sie die menschliche Kulturgeschichte als ein Bollwerk gegen das unerbittliche Gesetz der Natur deutet. Männer und Frauen sind ihrer Auffassung nach von Natur aus verschieden, und nicht erst aufgrund der gesellschaftlichen Konditionierungen, die festlegen, was als männlich und weiblich zu gelten hat. Just dieser Punkt ließ sie zur Dissidentin der Frauenbewegung werden, und genau dies macht sie offenbar attraktiv für Kreise, die ein traditionelles Rollenbild propagieren und den Kampf für Gleichheit und Geschlechtergerechtigkeit als Genderwahn begreifen.

Lümmelhafte Vergnügungen

Mit illustren Namen arbeitet Götz Kubitschek daran, den rechtsintellektuellen Diskurs salonfähig zu machen. Im letzten Jahr konnte er bereits einen Coup landen, als es das bei Antaios erschienene Buch „Finis Germania“ von Rolf Peter Sieferle auf die renommierte SachbuchBestenliste der „Süddeutschen Zeitung“ geschafft hatte.

In den Miszellen aus dem Nachlass des verstorbenen Heidelberger Historikers wurde Auschwitz, immer in Anführungszeichen geschrieben, zum letzten Mythos einer durchrationalisierten Welt erklärt, die ethnische und kulturelle Auslöschung des deutschen Volkes prognostiziert und ein „nationaler Sozialismus“ als Zukunftsweg empfohlen. Die Reputation der Bestenliste wurde durch die Nennung schwer erschüttert, doch die Verkaufszahlen des Buches schossen in die Höhe, so dass der „Spiegel“ glaubte, in einer höchst umstrittenen Aktion den Titel aus seiner eigenen Bestsellerliste tilgen zu müssen.

Nun also Camille Paglia, eine gerne provozierende Intellektuelle, die zuletzt in der Debatte um Vergewaltigungen an amerikanischen Universitäten Anstoß erregte: Junge Studentinnen, die unfähig seien, die lümmelhaften Vergnügungen und Gefahren von Männerpartys zu meistern, würden kaum darauf vorbereitet sein, in Zukunft Führungspositionen in Politik und Wirtschaft zu erringen. Solche Einlassungen haben sie zum roten Tuch der Frauenbewegung werden lassen.

Doch anders als der in seinen letzten Jahren offen rechtsextreme Neigungen auslebende Sieferle versteht sich Paglia nach wie vor als libertäre Linke, die für Pornografie, Abtreibung und die Freigabe von Drogen eintritt. Alles Dinge, die auf dem Rittergut in Schnellroda nicht gerne gesehen werden – vermutlich ebenso wenig wie ihre jüngst im „Time“-Magazin geäußerte Empfehlung an aufstrebende Politikerinnen, sich Angela Merkel zum Vorbild zu nehmen. Wie also hat es sie dahin verschlagen?

Polemik gegen den modernen Feminismus

In ihrem aktuellen siebten Buch „Free Women, Free Men“ polemisiert Paglia gegen den modernen Feminismus: Er würde Frauen bevormunden, überbehüten und sie daran hindern, Verantwortung für ihr Sexleben zu übernehmen. Um für den Antaios Verlag passend zu werden, bedurfte es jedoch offenbar einschneidender Eingriffe durch die Übersetzerin Ellen Kositza, der Ehefrau Götz Kubitscheks. Dagegen setzte sich Paglia nun in einem Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“ zur Wehr.

Schon der Titel „Frauen bleiben, Männer werden“ gibt dem amerikanischen Original „Freie Frauen, freie Männer“ eine andere Drift. Sie sei schockiert und abgestoßen von dem skrupellosen Verhalten des deutschen Verlegers, der ihren Text ohne Erlaubnis verändert habe: „Es ist bizarr und unmoralisch, meine Worte und mein Werk für ideologische Zwecke in der deutschen Politik auszunutzen und zu verzerren“, sagte Paglia und distanzierte sich auf der ganzen Linie von der deutschen Ausgabe. Ihr geistiges Eigentum sei verstümmelt und verändert worden.

Die Anwälte der streitbaren Denkerin haben den Antaios-Verlag inzwischen aufgefordert, jede weitere Veröffentlichung ihres Buches zu unterlassen und unverzüglich alle vorhandenen Exemplare zu vernichten. So könnte das Kaliber, über das sich Kubitschek so freut, am Ende in eine ganze andere Richtung losgehen.