Wenn man als Student in eine andere Stadt zieht, dann wird der Zug plötzlich zum wichtigsten Verkehrsmittel. Fahrten nach Hause und zum Freund - unser Campuskind erzählt vom Leben im Zug.

In den letzten zwei Monaten des Jahres 2014 habe ich mindestens 60 Stunden meines Lebens im Zug verbracht. 60 Stunden, das sind fast drei komplette Tage. In so einer Zeit kann man viel schaffen, zum Beispiel den letzten Harry Potter Teil durchlesen oder fünf andere Bücher. Ich habe mittlerweile mehr Bahntickets in meinem E-Mail-Postfach, als alle anderen Mails. Ich habe mehr Zugabfahrtzeiten in meinem Kalender als Geburtstage. Und schon hunderten Schaffnern mein Handy zum Scannen des Tickets hingehalten. Das ist mein Leben im Zug.

 

Stunde um Stunde

Ich als gebürtige Hannoveranerin habe einen etwa viereinhalbstündigen Weg nach Hause. Diesen fahre ich etwa alle zwei Monate, dann meist für ein paar Tage. In den Semesterferien auch mal für eine oder zwei Wochen. Ich studiere mittlerweile seit 16 Monaten in Stuttgart – macht eine Gesamtzahl von 72 Stunden Zugfahrt. Und da bin ich sicherlich nicht die einzige Studentin, der es so geht. 72 Stunden – drei Tage – und das nur, um nach Hause zu fahren. Liebe Familie und Freunde, das mache ich alles nur für euch.

Seit mittlerweile vier Monaten habe ich einen Freund, der natürlich nicht in Stuttgart wohnt. Das wäre ja zu einfach. Stattdessen trennen ihn und mich etwa sechseinhalb Stunden. Das ist eine Menge Zeit und das sind eine Menge Züge. Genauso wie es eine Menge Geld ist, was Studenten ja eigentlich nicht haben. Aber für die Liebe geht das. Und man trifft eine Menge Leute. Wie zum Beispiel eine gebürtige Griechin, mit der ich früh morgens eine Stunde Wartezeit in Hamm verbringen durfte. Sie erzählte mir viel von dem Leben in Griechenland und dass dort andauernd gestreikt wird. Und dann aber nicht so pillepalle wie hier in Deutschland, sondern dann ist die Uni einfach mal zwei Monate geschlossen. Die Professoren streiken und das komplette Semester verschiebt sich um zwei Monate nach hinten. Seitdem rege ich mich weniger über kurzzeitige Streiks hierzulande auf.

Treffpunkt: Zug

Ich machte auch Bekanntschaft mit einer älteren Dame, die Mutter von drei Söhnen ist. Sie wies mich freundlich auf einen Artikel in ihrer Zeitschrift hin, der sich mit dem sogenannten „Smartphone-Nacken“ beschäftigte. Die Folgen, wenn man die ganze Zeit den Kopf hängen ließe, um auf das Handy zu gucken, seien fatal. Ich versprach ihr aufzupassen und dann gestand sie mir, sie wünschte, die Freundinnen ihrer Söhne wären doch auch mal so selbstständig wie ich. Stattdessen lungern sie immer nur bei ihnen Zuhause herum. Nunja, das tue ich ja nicht – ich bin ja immer im Zug. Zum Abschied erinnerte sie mich nochmal an die Gesundheit meines Nackens. Ich stieg aus und sie fuhr weiter nach Schweden. Dabei dachte sie wohl darüber nach, wie sie die Freundinnen ihrer Söhne höflich bitten könnte, das Haus zu verlassen. Oder aber über meinen Nacken.

Das Zugfahren ist lästig, wenn man einfach nur ankommen will. Aber wenn man nette Leute trifft, dann vergeht die Zeit doch relativ schnell – sogar wenn es über sechs Stunden sind. Der 7.37 Uhr Zug ab Stuttgart ist mittlerweile zu meinem besten Freund geworden. Ich bin mir sicher, bald werden mich auch die Schaffner wiedererkennen. Studenten, werden sie sich denken. Zu viel Zeit.

So würde ich das nicht nennen, aber ich verlagere einen großen Teil meines Lebens auf rote Wagen, auf blaue Sitze und direkt ans Fenster. Ich lebe im Zug. Um es mit dem Jugendwort des letzten Jahres zu sagen: Läuft bei mir.