Ein Groupie ist unsere Kolumnistin Wiebke Wetschera eigentlich nicht. Aber auf dem Konzert von „The 1975“ in den Wagenhallen hat sie sich in einen verwandelt – samt Tränen, Herzchen-Schild und Tuchfühlung mit dem Sänger.

Stuttgart - Das ist ja so eine Sache mit den Groupies. Bis zu einem gewissen Grad sind sie zu ertragen. Bis zu einem gewissen Grad könnte man es wohl auch aushalten, selbst einer zu sein. Ein richtiger Groupie. Ich bin’s nicht. Aber wäre ich einer – wie würde ich mich eigentlich verhalten auf diesem Konzert von „The 1975“, für das ich bereits eine Karte habe?

 

Die Band spielt in den Wagenhallen, Konzertbeginn um 21 Uhr. Ich bin um 18 Uhr da, habe deshalb meinen Job aufs Spiel gesetzt. Aber das ist mir egal, denn ich will die Allererste sein. Meine Freundin wollte noch nicht mit, soll sie doch nachkommen. Dann sehen wir uns eben nach dem Konzert. Vielleicht muss sie dann mit ansehen, wie ich Arm in Arm mit dem süßen Bassisten weggehe. Die wird Augen machen. Dieses Mal habe ich beschlossen, nicht vor dem Konzertgelände zu zelten, was ich sonst vorsichtshalber immer mache. Es gibt wenige Bands, die mich wirklich begeistern. Aber wenn ich brenne, dann richtig.

Beim Einlass bin ich die Erste. Taschenkontrolle. Aber außer meinem selbst gebastelten Plakat habe ich nichts dabei. Was brauche ich denn schon außer der Nähe zu meinen Göttern. Der Kartenabreißer scheint auch etwas nervös zu sein oder er ist für den Job einfach nicht professionell genug. Denn anstatt mein Konzert-Ticket wie vorgesehen gerade abzureißen, reißt er es schief ab. Ich gucke ihn hasserfüllt an. Und dann fange ich an zu weinen. Weil er einen Teil meiner Erinnerung an diesen Tag zerstört hat, noch bevor das Konzert überhaupt begonnen hat. Die Konzertkarte, dieses Stück Papier, das mir so viel bedeutet. Ich könnte ewig weiterheulen, aber dafür ist keine Zeit. Denn ich habe eine Mission.

Ein Wunsch wird wahr

Erste Reihe, die Bühne in greifbarer Nähe. Ein böser Blick nach rechts, ein böser Blick nach links. Ellenbogen werden ausgefahren - ich lasse mir die Tour nicht verderben. Vor allem nicht von der rechts neben mir, die wahrscheinlich nur so ein Erfolgsfan ist und höchstens ein Lied mitsingen kann. Ich kenne alle Lieder auswendig. Von vorne bis hinten und womöglich auch rückwärts. Am Tag, an dem das Album erschien, hatte ich es mir schon lange bei iTunes vorbestellt und ging dann trotzdem in den Elektromarkt, um mir die CD zu kaufen. Ein echter Groupie unterstützt seine Helden schließlich wo er nur kann.

Die Vorband ist mir egal. Nervös hüpfe ich von einem Fuß auf den anderen. Tausendmal habe ich mir den Moment ausgemalt, wenn „The 1975“ endlich vor mir steht, was ich ihnen sagen könnte. Wie ich sie allesamt abknutsche. Wie sie ganz nah bei mir sind und nur für mich singen. Die anderen Mädchen sind egal. Nur für mich, schließlich bin ich treu. Ich bin ein wahrer Fan. Ich hätte Millionen Euro für dieses Konzert ausgegeben, auch wenn ich sie nicht habe. Glück ist unbezahlbar.

„Ich will ein Kind von euch“

Und in dem Moment, als die ersten Klänge des Liedes „City“ ertönen, ist mein Glück perfekt. Sie sind da, ich bin da – wir sind uns so nah. Ich kreische so laut ich kann, hole mein Plakat aus der Tasche. „Ich will ein Kind von euch“ steht auf dem roten Herz. Von wem ist mir egal, ich liebe sie alle. Wie Matt singt, wie Adam Gitarre spielt, der Bassist Ross und wie George auf die Drumms haut. Sie sind umwerfend. Nur etwa ein Meter liegt zwischen uns, ich strecke meine Hand aus. Der Sänger berührt sie. Ich schreie, die Tränen steigen mir in die Augen vor Glück. Er hat meine Hand berührt. Von mir aus können wir sofort heiraten. Ich werde nie wieder meine Hand waschen. Alle werden mich darum beneiden, dass wir uns so nah waren.

Song für Song schreie ich lauthals mit, bin auf Wolke sieben. Als sie den letzten Song gespielt haben, bin ich traurig, dass es schon vorbei ist. Aber ich weiß, dass es perfekt war. Ich blicke auf meine Hand. Sie ist plötzlich magisch. Draußen treffe ich auf meine Freundin und erzähle ihr, dass der Sänger nur Augen für mich hatte. Dass er mich angefasst hat und wie nah wir uns waren. Denn schließlich war ich ja schon so früh da und habe mich bis in die erste Reihe gekämpft.

Und dann sagt sie: „Ich kam erst um 21.25 Uhr hier an, aber da sie ja erst um halb 10 angefangen haben zu spielen, habe ich sie vorhin im Foyer getroffen. Das sind echt coole Typen. Hätte ich nicht gedacht, aber gut ich kenne ja auch bloß ein Lied von denen.“ Ich falle in Ohnmacht.

Und dann: Das Erwachen

Alles ein Traum. Ich bin kein Groupie und werde es nie sein. Ich bin zusammen mit einer Freundin hingegangen, wir standen in der zwanzigsten Reihe. Weil es um die Musik geht und nicht darum, der Band besonders nah zu sein. Am Eingang hatte ich zuvor einen entspannten Plausch mit dem Kartenabreißer. Netter Kerl und natürlich nehme ich es ihm nicht übel, dass er meine Karte falsch abgerissen hat. Nach dem einstündigen Auftritt bin ich weder enttäuscht, dass ich kein Bandmitglied anfassen konnte, noch, dass ich nicht in der ersten Reihe stand. Ich bin glücklich über die Musik auf meinen Ohren und einen schönen Abend.

Chilliges Leben, wenn man kein Groupie ist.