Seit einiger Zeit ist in den Medien und sozialen Netzwerken immer häufiger die Rede von „Cancel Culture“. Doch was bedeutet das eigentlich? Wir geben Ihnen eine einfache Erklärung.

Katrin Jokic

Cancel Culture: Definition

Cancel Culture, manchmal auch Call-out Culture genannt, ist eine Art moderne Form des Prangers. Online, im Beruf oder privat – wer beispielsweise etwas Diskriminierendes sagt oder tut, der wird „gecancelt“, das heißt, er soll von Bühnen oder aus dem TV-Programm verschwinden, den Job verlieren oder nicht mehr Teil der Freundesgruppe sein.

 

Cancel Culture stellt also eine Form des Boykotts dar – bestimmte (oft prominente) Menschen oder Gruppen sollen gemieden werden, weil sie auf fragwürdige oder kontroverse Weise gehandelt haben. Dabei geht es meist um mehr als um harmlose Meinungsäußerungen. Es geht um Fragen sozialer Gerechtigkeit, Sexismus, Rassismus und Homophobie.

Der Begriff selbst stammt aus dem englischen Sprachraum und wurde vermutlich Mitte der 2010er Jahre zuerst von schwarzen Twitter-Usern benutzt, die problematisches Verhalten von Prominenten kritisierten und vor allem forderten, dass dieses Verhalten nicht länger toleriert werden sollte.

„Cancel Culture“ ist heutzutage ein politischer Begriff, der sich in der Regel gegen linke Politik richtet. In den USA nutzen konservative Sender wie Fox News den Begriff, weil sie fürchten, dass unliebsame Meinungen von einer linken Politik „gecancelt“ werden könnten. In Deutschland versuchte beispielsweise die AfD, die Cancel Culture gegen die Kabarettistin Lisa Eckhart zu instrumentalisieren. Gleichzeitig nutzen aber konservative und rechte Personen und Parteien eben genau die Taktiken der Cancel Culture, vom Aufkündigen des Dialogs bin hin zur Denunziation einzelner Personen oder Organisationen.

Pro & Contra – Cancel Culture in der Kritik

Oft ergeben sich zwei Lager, wenn es um die Kritik an Cancel Culture geht.

Die Gegner der Cancel Culture sehen in ihr eine Gefährdung der Meinungsfreiheit, weil Debatten angeblich eingeschränkt werden sollen, indem Menschen Angst gemacht wird, sich öffentlich zu bestimmten Themen zu äußern. Der Gegenseite wird eine Intoleranz gegenüber „Mainstream-Meinungen“ vorgeworfen, zum Teil steht auch der Vorwurf der Zensur im Raum.

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Der Cancel Culture gehe es nicht darum, Debatten zu führen oder tieferliegende Probleme zu lösen, sondern lediglich um Diskreditierung. Gleichzeitig wird außer Acht gelassen, dass kein Mensch perfekt ist und jeder Fehler machen kann. Einzelne Fehler sollten dann nicht sofort zur öffentlichen Ächtung einer Person führen.

Dem gegenüber stehen diejenigen, die das Thema Cancel Culture entspannter sehen. Die Meinungsfreiheit ist demnach schließlich weiterhin gegeben – in Deutschland kann jeder seine Gedanken ungehindert preisgeben. Cancel Culture wird dabei jedoch als wichtiges Instrument gesehen, diskriminierendes Verhalten anzuprangern und Konsequenzen einzufordern. Insbesondere Minderheiten, die sonst in öffentlichen Debatten oft keine Stimme haben, können dank lautstarker, meist online geführter Cancel-Debatten gehört werden. Diese Debatten schärfen das Bewusstsein für Ungerechtigkeiten, decken Missstände in der Gesellschaft auf und thematisieren wichtige soziale Fragen.

Problematisch wird Cancel Culture sicherlich vor allem dann, wenn das „Canceln“ auf Vermutungen und Gerüchten basiert. Kritik zu äußern, wenn sich jemand problematisch geäußert oder verhalten hat, ist die eine Sache – jemanden aufgrund von Hörensagen an den Pranger zu stellen eine andere.

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Beispiele für Cancel Culture

Im Sommer letzten Jahres sah sich der deutsche Comedian Dieter Nuhr nach eigener Aussage der sogenannten Cancel Culture ausgesetzt. Auslöser waren Äußerungen von Nuhr, durch die er angeblich sowohl die Klimakrise als auch die Corona-Pandemie verharmloste. Ob er wirklich Opfer einer Cancel Culture wurde, ist jedoch fraglich. Im Frühjahr 2021 lief in der ARD weiterhin seine Sendung „Nuhr im Ersten“ und im Sommer diesen Jahres stand er mit einem neuen Comedy-Programm auf der Bühne.

Als ebenfalls „gecancelt“ gilt Joanna K. Rowling, die Autorin der Harry-Potter-Bücher, die sich wiederholt transphob geäußert hat. Online bekunden zwar viele ehemalige Potter-Fans, die Autorin nicht mehr unterstützen zu wollen, ob sich Rowling aber wirklich daran stört, ist unbekannt.

Aber: Gibt es Cancel Culture überhaupt?

Sowohl in den USA als auch in Deutschland gibt es mittlerweile Netzwerke, die sich gegen Cancel Culture aussprechen. Diese Organisationen sind in der Regel eher dem konservativen Spektrum zuzuordnen. In Großbritannien war Anfang 2021 sogar ein Gesetz gegen Cancel Culture im Gespräch.

Doch die Debatten rund um Cancel Culture drehen sich nicht nur darum, ob diese Form der Ächtung nun positiv oder negativ zu bewerten sei. Sie dreht sich oft schon allein darum, ob es Cancel Culture überhaupt gibt.

Denn tatsächlich haben viele Menschen, die von sich behauptet „gecancelt“ worden zu sein, nach einem ersten Shitstorm kaum oder keine negativen Auswirkungen erfahren. Sie werden weiterhin in Talkshows eingeladen, stehen weiterhin auf der Bühne, drehen Filme und so weiter – wie das Beispiel von Dieter Nuhr zeigt. Zum Teil steht deswegen die Vermutung im Raum, dass die angebliche Cancel Culture in Deutschland der Karriere eher einen Schub verpasst anstatt diese zu canceln.

Fest steht: Die Meinungsfreiheit darf niemals in Gefahr geraten. Ob die Cancel Culture die Meinungsfreiheit nun bedroht oder lediglich Raum für notwendige Debatten schafft – da muss sich jeder selbst ein Bild machen.

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