Die Cap-Märkte der Caritas-Tocher Markt und Service in Ober- und Untertürkheim haben eine Bestandsgarantie des Gemeinderats. Das zählt aber offenbar wenig.

Stuttgart - Die Stadt macht sich begründete Sorgen wegen des Niedergangs des Einzelhandels in vielen Stadtbezirken. Blinde Schaufenster sind vielerorts eher die Regel als die Ausnahme. In Untertürkheim, wo die Situation besonders dramatisch erscheint – zuletzt haben zwei weitere Bäckereien zugemacht –, entwickelt sie seit geraumer Zeit mithilfe der Bürger und externer Fachleute einen Masterplan. Das Entwicklungspotenzial steckt demnach vor allem auf dem und rund um das Postareal in der Nähe des Bahnhofs.

 

Nun werden sechs Architekturbüros beauftragt, Ideen für die künftige Nutzung zu entwickeln. Der Technische Ausschuss wird am Dienstag einen Unterausschuss dafür gründen und den Auslobungsentwurf besprechen. Vom Gemeinderat im Juli 2016 mit großer Mehrheit vorgegebene Rahmenbedingungen würden dabei allerdings missachtet mit dem Ziel, unter allen Umständen im Postgebäude dem neuen Eigentümer Aldi Süd die Eröffnung eines Discounters zu ermöglichen.

Spielt die Stadtverwaltung ein falsches Spiel?

Mit dieser harschen Kritik aus dem Nachbarort Obertürkheim wird sich am Mittwoch der verantwortliche Stadtplaner Arnold Maiwald im dortigen Bezirksbeirat konfrontiert sehen; vor allem SÖS/Linke-plus wirft ihm vor, ein falsches Spiel zu spielen. So verzichte die Ratsvorlage für den Masterplan auf wichtige Detailinformationen zu den Auswirkungen einer Aldi-Ansiedlung und bagatellisiere die Problemlage. Das Papier ist auch nach Aufforderung nicht korrigiert worden.

Allerdings muss man mittlerweile davon ausgehen, dass sich zumindest CDU, SPD und FDP im Gemeinderat gar nicht mehr an die Vorgabe erinnern wollen, „die Arbeitsplätze behinderter und nicht behinderter Menschen, die in den Cap-Lebensmittelmärkten Ober- und Untertürkheim beschäftigt sind“, unter allen Umständen zu erhalten. Im Technischen Ausschuss waren am 23. Oktober hinter verschlossenen Türen erste Absetzbewegungen erkennbar. Am nächsten Dienstag müssen die Fraktionen dann Farbe bekennen. Die Bereitschaft, für einen Discounter die Cap-Märkte zu opfern, wäre in den beiden Stadtbezirken ein bedeutendes Thema im anstehenden Kommunalwahlkampf.

Gutachten sagt ganz klar die Pleite voraus

Ein Fortbestand dieser Läden, die Behinderten die Möglichkeit eröffnen, außerhalb von Werkstätten einem Beruf nachzugehen, wäre laut einem von der Stadt selbst in Auftrag gegebenen (und erst nach Protesten veröffentlichten) Gutachten nicht möglich, wenn in der Nachbarschaft des inklusiv arbeitenden Lebensmittelmarkts in Untertürkheim ein Discounter eröffnen würde. Genau dies ist nun aber ausweislich der Gemeinderatsvorlage ebenso angedacht wie ein Drogeriemarkt, eine Postfiliale und ein Ärztehaus. Die Stadt weist allerdings darauf hin, dass nicht zwingend ein Aldi (im Aldi gehörenden Postgebäude) angesiedelt würde. Theoretisch könnte auch der CAP-Markt umziehen, weil der aktuelle Standort Storchenmarkt in schlechtem Zustand sei.

Die Annahme, die von der Stadtverwaltung und Grundstücksbesitzern zu verantwortende Verelendung des Ortskerns sei mit einem überschaubaren Angebot an Billigartikeln aufzuhalten, wofür man auch den einzigen Vollsortimenter samt Lieferservice opfern könnte, ist in Untertürkheim vor allem unter mobilen Meinungsmachern weitverbreitet. Wer Qualitätsprodukte kaufen wolle, könne ja mit dem Auto zum Kaufland fahren. Man geht davon aus, dass preisbewusste Schnäppchenjäger nach ihrem Einkauf bei Aldi das gesparte Geld im Café und – derzeit nicht vorhandenen – anderen Läden ausgeben.

Fassungslosigkeit in Obertürkheim

In Obertürkheim ist man vor allem deshalb wütend auf die Nachbarn, weil das Ende des Cap in Untertürkheim wegen der wirtschaftlichen Verbundenheit auch die Schließung ihres Markts zur Folge hätte, dem einzigen Vollsortimenter weit und breit, außerdem wegen des Cafés ein gesellschaftlicher Treffpunkt im Ortskern. Das regte Oberbürgermeister Fritz Kuhn (Grüne) 2016 an, den Wunsch nach Erhalt mit der Aussage zu begründen: „Damit die soziale Marktwirtschaft in Stuttgart nicht nur ein Lippenbekenntnis ist.“

Im Stadtplanungsamt scheint das nicht zu interessieren, monierte der Leiter von Markt & Service, Gerhard Sohst, nach der Sitzung in Untertürkheim. Man habe versucht, für den personell bedingten Leerstand im Vorkassenbereich den Cap-Markt verantwortlich zu machen. Es sei unwahr, wenn Arnold Maiwald behaupte, die von der Diakonie betriebene Neue Arbeit stehe für den Fall bereit, dass der Cap pleitegehe. Die gemeinnützigen Gesellschaften gegeneinander auszuspielen, sei nicht fair. Unsinnig sei die Forderung, Cap müsse als Aldi-Konkurrent sein Sortiment anpassen. Man habe Verträge mit dem Vollsortimenter Edeka für 10 000 Produkte.

Verwundert reagierte Sohst auf die Feststellung, die Sozialverwaltung und der Behindertenbeauftragte hätten schon Kontakte mit möglichen Betreibern für Boardinghaus und Inklusions-Café geknüpft. Mit ihm habe niemand gesprochen, ärgert sich der Geschäftsführer. Dabei wäre sein Betrieb doch wohl die erste Adresse.