Die neue weltpolitische Lage spielt dem Iran in die Hände, sagen drei Experten im ARD-Talk von Caren Miosga. Und trotzdem gibt es einen Funken Hoffnung.
Wenn der Iran mit seinem historisch ersten direkten Angriff auf Israel den Nahen Osten an den „Rand des Abgrunds geführt“ hat, wie Außenministerin Annalena Baerbock meint, dann muss auch ARD-Moderatorin Caren Miosga ihr Programm ändern. Der geplante Hauptgast, Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU), ist wieder ausgeladen worden, stattdessen nahmen drei Iran-Experten am Sonntagabend im Studio Platz. Aber steht man überhaupt am „Abgrund“, droht ein regionaler Flächenbrand? In der Talkrunde standen alle hinter der Analyse von Guido Steinberg, Nah-Ost-Experte und Islamwissenschaftler, wonach Teheran mit seinem Luftangriff am Samstag zunächst innen und außen Signale setzen wollte: Zum einen sei es darum gegangen, den eigenen Hardliner in der islamischen Republik nach dem tödlichen Luftangriff Israels auf die iranische Botschaft am 1. April ein Gefühl des „Wir-handeln-entschlossen“ zu vermitteln. Nach außen aber habe Teheran in Richtung Israel und USA deutlich gemacht, dass die Sache abgeschlossen sei und man „keinen großen Krieg“ wolle. Wenn der Iran die Eskalation hätte entfesseln wollen, so Steinberg, dann hätte er seine verbündeten Hisbollah-Milizen im Libanon losschicken können. Hat er aber nicht.
Zur früh für eine Entwarnung
Also alles halb so schlimm? Mitnichten. Im Laufe der Debatte – in der es kaum Widersprüche zwischen den Gästen gab – ist doch deutlich geworden, dass Irans Luftattacke vom Samstag, die erste direkte Kriegshandlung gegen Israel – die Spirale des Militärkonfliktes anheizen könnte. Zum einen könnte die Aktion ein Testballon gewesen sein, etwa für die Marschflugkörper, die im Prinzip auch Atomwaffen tragen könnten. Der Iran sei ein „nuklearer Schwellenstart“, er könne binnen Wochen spaltbares Material für Atomwaffen entwickeln, so Steinberg. Der Angriff sei ein Teil der „Zermürbungstaktik“, mit der der Iran die Region und Israel überziehe, so die deutsch-iranische ARD-Journalistin Natalie Amiri. Und Bijan Djir-Sarai, in Teheran geboren und FDP-Generalsekretär, bemerkte, dass der Iran eigentlich „für alle Konflikte in der Region verantwortlich“ sei. Der Iran unterstützt die Hamas, die Hisbollah im Libanon und die Huthi-Rebellen im Jemen, die in jüngster Zeit Frachtschiffe im Roten Meer attackieren. Eine Eskalation ist nicht erwünscht, aber sie ist denkbar: Zum einen erwägt das Kriegskabinett in Israel offenbar einen Vergeltungsschlag gegen den Iran – laut dem zugeschalteten ARD-Korrespondenten Christian Limpert fordern dies die Rechtsextremen in der Regierung – hat dies aber noch nicht entschieden. Zum anderen wird in Israel eine Präventivschlag gegen die Hisbollah im Libanon debattiert, die ein starkes Raketenarsenal haben, immer wieder auf den Norden Israels feuern und dafür verantwortlich sind, dass immer noch 80.000 Israelis evakuiert worden sind.
Solidaritätseffekt für Netanjahu
Denkbar ist auch, dass Israels Premier Netanjahu nun einen gewissen Solidaritätseffekt nutzt und noch rigoroser im Gaza-Streifen vorgeht – etwa mit einem Angriff auf Rafah, der jetzt möglich wird, wenn Israel auf einen Vergeltungsschlag gegen Teheran verzichtet und sich damit das Stillhalten der USA im stark kritisierten Gaza-Krieg erkauft. Einen anderen Nebeneffekt hat die Attacke vom Samstag aber auch gehabt. Bisher habe man in Deutschland seit dem Hamas-Terror vom 7. Oktober über einen palästinensisch-israelischen Konflikt debattiert, so Guido Steinberg: Der Luftangriff auf Israel aber habe eine „andere Konfliktebene“ verdeutlicht, die Hamas seien die „Partner des Iran“ und die Iraner seien eigentlich die „Bösen“, die die Konflikte steuern. Streng ging die gesamte Dreier-Runde mit der westlichen Iran-Politik der letzten Jahre ins Gericht: Trotz der zunehmende Radikalität des Regimes in Teheran, seiner menschenverachtenden Politik, in dessen Rahmen auf Demonstranten geschossen werde, nehme der Handel mit Deutschland noch zu, so Natalie Amiri. Auch die USA wurden von Amiri kritisiert: Seit dem Amtsantritt von Joe Biden als Präsident in den USA seien die illegalen Ölexporte des Iran in Richtung China auf insgesamt 88 Milliarden Dollar gestiegen, unter Donald Trump war der Druck auf den Iran höher gewesen. Die Bürger im Iran fühlten sich angesichts dieser Entwicklung allein gelassen und fragten, „was macht ihr im Westen denn da?“
Lärm in der Schweigeminute
Dabei sei die Ablehnung der Bevölkerung gegen die Regierung enorm. Als in einem Fußballstadion eine Schweigeminute zu den Opfern der Zerstörung der iranischen Botschaft in Damaskus gehalten werden sollte – da habe es kein Schweigen sondern „viel Lärm“ gegeben. Alle Experten verlangten eine harte Linie gegenüber Teheran. Guido Steinberg forderte ein „Eindämmungsbündnis“ und eine „Eindämmungspolitik“ gegen den Iran, getragen von den USA, Großbritannien, Deutschland, Israel sowie Regionalstaaten wie Saudi-Arabien, Ägypten und Jordanien. „Wir brauchen ein attraktives Gegenmodell. Aber für eine Eindämmung ist es fast schon zu spät.“ Jahrelang sei der Iran isoliert gewesen, wegen der neuen weltpolitischen Lage – dem Ukraine-Krieg – stünden jetzt aber Russland und China hinter ihm. Auch auf das ukrainische Charkiw, so bemerkte Caren Miosga, flögen jetzt die gleichen iranischen Marschflugkörper, wie sie nach Israel unterwegs waren. Bitter auch die Analyse von Djir-Sarai: Er habe das viel gerühmte Atomabkommen mit dem Iran spät als Fehler erkannt: „Wir haben dabei völlig ignoriert, dass die Iraner daneben ein eigenes Raketenprogramm laufen lässt.“
„Wir waren naiv“
Auch beim Punkt Menschenrechte habe es eine „komplett verfehlte Iran-Strategie“ der Europäischen Union und Deutschlands gegeben: „Wir haben dieses Regime immer falsch eingeschätzt, wir waren außerordentlich naiv. Wir brauchen eine neue Iran-Strategie.“ Vom Liberalen Djir-Sarai, der noch Familie im Iran hat, mit der er am Telefon aus Sicherheitsgründen aber nicht über Politik spricht, kam an diesem Abend doch ein Funken Hoffnung: Der Iran habe eine sehr starke Zivilgesellschaft, die nicht die Reform des Mullah-Regimes sondern ihre Abschaffung wolle. Er vermute, das 90 Prozent der Iraner gegen die iranischen Luftschläge gegen Israel gewesen seien: „Ich denke, das System in Teheran wird bald scheitern.“ Natalie Amiri konnte das ergänzen: Die Regierung des Iran habe derzeit eigentlich nur ein einziges Interesse: Ihre Existenz zu sichern.