Ohne Worte, sondern nur mit Mimik und Gestik erzählt der weiß geschminkte und schwarz gekleidete Carlos Martinez seine poetischen Geschichten seit 40 Jahren auf Bühnen in der ganzen Welt. Anlässlich der Deutschlandpremiere seines Jubiläumsprogramms „Vitamimo“ in Esslingen berichtet der 66-Jährige im Gespräch mit unserer Zeitung, was ihn an dieser Kunstform so fasziniert.
Herr Martinez, funktioniert Pantomime überall gleich?
Es stimmt, dass jedes Land, jede Kultur und sogar jede Familie ihre eigenen Gesten und ihren eigenen Gesprächsrhythmus hat. Trotzdem begeistert Charlie Chaplin international mit seinen Stummfilmen. Wie bei Chaplin ist das Ziel der Pantomime nicht, ein Wörterbuch von Gesten darzustellen, sondern diese zu kombinieren, um eine Geschichte zu erzählen. Es geht darum, die Geschichte über die Technik zu stellen.
Was reizt Sie auch nach 40 Bühnenjahren noch am Auftritt vor Publikum?
Dass ich etwas zu erzählen habe. Mein Ziel auf der Bühne ist es nicht, zu erklären, was Pantomime ist. Das wäre vergleichbar mit einem Sprecher, der eine Grammatikstunde gibt, statt eine Geschichte zu erzählen. Das Publikum, das zur Pantomime-Vorstellung kommt, kommt nicht, um eine Stunde der Stille zu ertragen, sondern um überrascht zu werden, was die Stille ihm sagen kann.
Am Ende der Performance schminken Sie sich ab und zeigen Ihr Gesicht – was macht diesen Moment für Sie wichtig?
Die Schminke allein macht noch keinen Pantomimen – genauso wenig, wie die Gumminase einen Clown oder der Zauberstab einen Zauberer macht. Wenn ich mich auf der Bühne abschminke, zeige ich den Menschen hinter der Maske. Wie ein Arzt ohne weißen Kittel oder ein Priester ohne seine Soutane.
Woher nehmen Sie Ihre Energie für diese sehr körperbetonte Ausdrucksform?
Ich passe die Stücke meinen Fähigkeiten und meinen Einschränkungen an. Dabei spielen mein Bühnenregisseur, mein Personaltrainer und mein Physiotherapeut eine sehr wichtige Rolle. Die Energie kommt vom Publikum – nicht nur während der Aufführung, sondern auch schon vorher. Zu wissen, dass die Leute Eintrittskarten für meine Vorstellung reserviert haben, ist für mich die beste Motivation, mich wieder zu schminken.
Was hat sich in 40 Jahren verändert?
In diesem Beruf ist alles ständig im Wandel. Das Publikum ist zum Beispiel bei jeder Aufführung anders. Aber die vielleicht wichtigste Veränderung habe ich bei mir selbst festgestellt. Bei meinen ersten Auftritten war ich mir nicht sicher, ob ich ein Poet der Gesten oder ein Komiker ohne Worte sein wollte. Mit der Zeit habe ich die verschiedenen Nuancen dieser Kunst erforscht und erkannt, dass die Pantomime nicht nur eine Stille ist, sondern ein Amalgam von verschiedenen Formen der Stille. Das erlaubt mir auch heute noch, jedem Stück seine eigene Poesie, seine eigene Komik, seine eigene Identität zu geben.
Sind Fernsehen, Streaming und das Handy zur Konkurrenz geworden?
Ich sehe Technologie als gesunden Wettbewerb. Das hat mich gelehrt, das Publikum, das ins Theater kommt, noch mehr zu schätzen. Die Fernbedienung des Fernsehers aus der Hand zu legen, sich vom Computer zu lösen oder das Handy auszuschalten ist – zusätzlich zum Bezahlen der Eintrittskarte – eine gigantische Anstrengung, die die Zuschauer auf sich nehmen, um zu einer Pantomime-Vorführung zu kommen. Meine Verantwortung ist es, auf diese Bemühungen mit der besten Version meiner Kunst zu reagieren.
Ein Pantomime kann mit Menschen auf der ganzen Welt in einen Dialog treten – greifen Sie deshalb immer wieder lebenswichtige Themen auf?
Das ist richtig. Ich habe immer geglaubt, dass eine universelle Sprache wie die Pantomime universelle Themen benötigt. Liebe, Angst, Armut, Vergebung, Hoffnung – das sind Themen, die mit Respekt, Ehrlichkeit und einem gewissen Sinn für Humor alle kulturellen und sprachlichen Barrieren überwinden.
Wie behält man in Zeiten der Pandemie und eines Krieges in Europa seinen Mut?
Wir müssen lernen, mit unseren Ängsten zu leben. Die Pandemie war global, aber sie hat uns alle auf sehr unterschiedliche Weise getroffen. Die leeren Straßen Barcelonas waren ein apokalyptischer Anblick, aber das Beängstigende war, dass man nicht wusste, wie lange der Lockdown andauern würde. Diese Unsicherheit fügt der Seele großen Schaden zu. Man kann die Angst vor dem Krieg nicht mit Lampenfieber vergleichen, aber beides sind Emotionen, mit denen man umgehen können muss. Es bleibt uns nichts anderes übrig, als weiterzumachen, unsere Ängste ein Stück weit in unserer Garderobe zu lassen und auf die Bühne des Lebens zu gehen.
Darf man in diesen Zeiten denn einen Abend lang schmunzeln und lachen?
In der schrecklichen spanischen Nachkriegszeit gab es einen Komiker, der es wagte, dem Land mit Witzen im Radio neue Hoffnung zu geben. Das Überraschendste dabei ist, dass das Witze über den Krieg selbst waren. Es brachte die Leute zwar nicht zum Lachen, aber Spanien lächelte zumindest wieder. Ich bin kein Komiker, aber ich glaube an den therapeutischen Wert von Humor.
Poetische Geschichten aus Gesten
Der Künstler
Der 1955 in Spanien geborene Carlos Martinez entdeckte schon als Teenager in einer Laienspielgruppe seine Liebe zum Theater. Er studierte Pantomime und Schauspiel und schrieb seine Masterarbeit über Körpersprache im Theater. Seit 1982 ist er als Pantomime auf Bühnen in Europa, Afrika, Asien, Nord- und Südamerika unterwegs und erzählt mit Gesten, Mimik und Humor seine preisgekrönten Geschichten ohne Worte. Er hat zehn abendfüllende Soloprogramme gestaltet, ist mit Musikern, Liedermachern und Autoren auf Tour, er fördert den Nachwuchs, leitet Workshops, hält Vorträge über Körpersprache und nonverbale Kommunikation und hat Bücher mit Anekdoten seines Künstlerlebens veröffentlicht.
Das Programm
Von Donnerstag bis Samstag, 7. bis 9. April, feiert Carlos Martinez die Deutschlandpremiere seines Programms „Vitamimo“, das er als „Nahrungsergänzung für die Seele“ versteht. Beginn ist jeweils um 20 Uhr im Esslinger Kabarett der Galgenstricke, Webergasse 9. Karten gibt es unter www.kabarettdergalgenstricke.de sowie unter Telefon 07 11/35 44 44.