Dass auch auf der Seebühne neben aller Plakativität ein Vordringen unter die Oberfläche von Opern möglich ist, hat zuletzt David Pountney in seiner Inszenierung von Mozarts „Zauberflöte“ bewiesen. Hier findet es nicht statt. Man begreift nicht, warum José, der Carmen in der Kerkerszene an einem roten Seil führt, ihr plötzlich verfällt, die Figur der Micaela wirkt wie ein Fremdkörper.

 

Immerhin gönnt Holten dem Womanizer Escamillo einen Auftritt, der auf dem Lager einer anderen Frau beginnt. Und er schickt Carmen auf wirkungsvolle Weise in den Tod: Alleine mit Don José steht sie am Ende knietief im Bodensee, dann packt sie der Eifersüchtige, drückt sie unter Wasser, und so treibt Gaelle Arquez im roten Kleid als Bühnentote auf den Wellen, bis das Orchester endlich, endlich zu Ende gespielt hat.

Der Sprung in den See

Hinterher, nachdem sich die tropfnasse Sängerin lächelnd verbeugt hat, rätselt das Publikum lange, wo sie nach ihrem Ableben bloß den Sauerstoff herbekam. Und ob sie auch die rot gekleidete Frau gewesen ist, die schon bei Carmens Flucht aus dem Kerker in den See sprang – oder ob das nicht doch ein Statistendouble war.

Mehr zu fragen bleibt nicht. Vor allem die Augen der Zuschauer sind nach dieser „Carmen“ glücklich, müde, satt. Sie haben Karten gesehen, auf die ständig neue Motive und Farben projiziert wurden. Sie haben tolle Tänze mit wirbelnden Röcken gesehen. Sie haben zum Stierkampf ein Feuerwerk hinter der Bühne erlebt. Sie haben schöne Kunstmusik mit Naturdonner gehört und viele Regentropfen, die auf Plastik fallen. Und sie sind im letzten Akt trocken geblieben. Das Festspielprogramm bietet unter der Intendantin Elisabeth Sobotka viele kleine Preziosen, Neues, Ungewöhnliches, auch Querständiges. Aber auf der Seebühne war noch nie so viel Musical wie an diesem Abend.