Carmina Burana in Böblingen Konzertereignis in der Kongresshalle
Mehr als 200 Akteure haben am Sonntag in Böblingen die Carmina Burana auf die Bühne gebracht. Sie ernteten stehende Ovationen.
Mehr als 200 Akteure haben am Sonntag in Böblingen die Carmina Burana auf die Bühne gebracht. Sie ernteten stehende Ovationen.
Schon bevor der erste Ton erklingt, ist bereits der Anblick, der sich dem Publikum im fast komplett ausverkauften Europasaal der Kongresshalle bietet, imposant: Die weite Bühne wird allein durch die Mitglieder des Chores eingenommen, die ihren Platz dort auf höhengestaffelten Podesten gefunden haben. Das Orchester braucht angesichts der großen Besetzung zudem jede Menge Raum davor im Parkett.
Musikalisch wird die Zuhörerschaft vom ersten Takt an in den Bann von Carl Orffs bedeutendster Komposition, die zugleich eines der erfolgreichsten Chorwerke des 20. Jahrhunderts ist, gezogen: Kraftvoll, ja geradezu pathetisch, erklingt „O Fortuna“ über die gleichnamige Göttin und das Rad des Schicksals, das sich unaufhaltsam dreht und das menschliche Leben unvorhersehbaren Wendungen unterwirft.
Nachdem der musikalische Weg in all der Orff’schen musikalischen Dynamik und Kraft, der mit Texten in lateinischer, mittelhochdeutscher und altfranzösischer Sprache vom Frühlingserwachen über einen Besuch im Wirtshaus bis zu Liebesabenteuern bei Hofe erzählt und letztendlich in einer noch bombastischeren Version des Eröffnungschores mündet, das Werk nach rund einer Stunde beschließt, folgt lang anhaltender, frenetischer Applaus. Das ganze Publikum im gesamten Parkett und auf weiten Teilen der Empore erheben sich die Menschen dafür von ihren Sitzen.
Über die überaus positive Resonanz der Konzertbesucher und die letztendlich gelungene Aufführung zeigt sich Dirigent Rainer Kropf bei seiner Ansprache vor einer aus den Zuhörerreihen deutlich geforderten Zugabe, merklich erleichtert. Er ruft allen einen kurzen, kritischen Moment im Konzertverlauf erneut ins Gedächtnis: Weil im Publikum eine Person medizinischer Hilfe bedurfte und direkt danach kurzzeitig eine technische Störung auftrat, musste das vierte Stück der szenischen Kantate mehrfach neu angesetzt werden – die rund 200 Aktiven kamen jedoch schnell wieder musikalisch in Tritt.
Neben dem Orchester und dem Jungen Kammerchor der Musikschule Böblingen, Vocalix von der Chorvereinigung Liederkranz Böblingen, Taktvoll aus Ehningen sowie dem Kinderchor Cresc verstärken auch rund 40 Musikbegeisterte aus der Bürgerschaft Böblingens und aus der Region Chor und Musiker. Sie haben sich auf einen entsprechenden Aufruf am Jahresanfang für das Mitmach-Projekt gemeldet. Bald darauf fing die Proben der Chöre und Instrumentalisten, bevor die einzelnen Teile, einem Baukasten gleich, erst beim Probenendspurt wenige Wochen vor der Aufführung zusammengeführt wurden.
Böblingens Oberbürgermeister Stefan Belz ordnete in seinen Begrüßungsworten ein, warum die Carmina Burana sich als musikalischer Höhepunkt nahtlos in das vielfältige Programm des städtischen Gedenkjahres „500 Jahre Bauernkrieg“ einreiht. Die darin enthaltenen Themen wie Schicksal, Ohnmacht, Lust, Macht und Rebellion seien zeitlos und würden es insbesondere in diesem Jahr eine kraftvolle Brücke in damalige Zeit schlagen, in der jene, die gegen die bestehenden Ungerechtigkeiten ihre Stimme erhoben und Veränderungen forderten, zum Schweigen gebracht wurden. Thematisch passe dazu unter anderem das Konzertplakat, in dessen Zentrum eine erhobene Hand symbolisch ein Mikrofon steht, sehr gut, findet der OB. Er sieht dies als „Bild für die Stimme der Freiheit, für das Recht, seine Meinung zu äußern, sich auszudrücken“. Musik werde dadurch selbst zur Sprache „und zur Möglichkeit, Haltung zu zeigen“.
Carmina Burana
Der Titel heißt wörtlich übersetzt „Lieder aus Benediktbeuern”. Die größte und eine der bedeutendsten Sammlung weltlicher und geistlicher Lieder des Mittelalters in Europa, die aus dem 13. Jahrhundert stammt, wurde 1803 bei der Säkularisation in der Klosterbibliothek wiederentdeckt. Die Handschrift enthält – je nach Zählweise – 254 oder 315 Texte – Lieder mit moralischem und satirischem Inhalt, Minne- und Trinklieder sowie geistliche Dramen. Gut zwei Dutzend davon legte Carl Orff seiner Komposition zugrunde.
Carl Orff
Der Komponist (1895-1982 ) war auch als Pädagoge und Theatermacher aktiv. Er erhielt bereits in jungen Jahren Klavier-, Cello- und Orgelunterricht, bevor er 1912 bis 1914 an der Münchner Akademie der Tonkunst studiert. Als Kapellmeister wirkte er danach in München, Mannheim und Darmstadt. Als Mitbegründer der 1924 ins Leben gerufenen Günther-Schule für Gymnastik, Musik und Tanz entwickelte er als deren Leiter der Musikabteilung das Orff-Schulwerk, das auf der Idee beruht, das musikalisch-rhythmische Gefühl aus der Bewegung heraus zu entwickeln.