Die Sozialplanverhandlungen stehen vor der Tür, und die portugiesischen Kollegen werden bereits eingelernt. Doch die Mitarbeiter des Ludwigsburger Nestlé-Werks wollen nichts unversucht lassen, um ihre Fabrik zu retten.

Ludwigsburg: Susanne Mathes (mat)

Ludwigsburg - Es passt zur Lage der Nestlé-Beschäftigten, dass ihnen am Donnerstag an der West-Ecke der evangelischen Stadtkirche ein kalter Wind ins Gesicht bläst. Während Passanten im Herbstnieselregen mit eingezogenem Genick vorbeieilen, harren die Caro-Mitarbeiter stundenlang an einem Info-Stand aus, um die Bürgerschaft aufzurütteln: Nur noch bis Weihnachten soll die Produktion im Unifranck-Werk laufen. Schon jetzt, erzählt Betriebsrat Tiziano Piticco, „ist eine ganze Armada von portugiesischen Kollegen da, die wir einlernen“. Der Landkaffee soll künftig im Portugal hergestellt werden.

 

Am Montag starten die Verhandlungen für einen Sozialplan. Gleichwohl geht der Betriebsrat mit dem Vorschlag ins Rennen, das Werk zu erhalten. Mit einer Wirtschaftsprüferin berechneten die Arbeitnehmervertreter ein Alternativmodell zur Schließung, das zum Beispiel eine Verkleinerung des Geländes und die Verlagerung von Verwaltungsarbeiten in die Deutschland-Zentrale nach Frankfurt vorsieht.

Die Caro-Leute hoffen auf Unterstützung von Verwaltung und Stadträten

„Wenn die Caro-Produktion sowieso rückläufig ist, wie die Zentrale wieder betont“, sagt der Betriebsratsvorsitzende Enes Sedic, „fragt man sich schon, warum Nestlé sie dann nicht hier in Ludwigsburg langsam auslaufen lässt, sondern sie noch für Millionenkosten nach Portugal verlagert.“ Tiziano Piticco ergänzt: „Eine Verlagerung in ein Billiglohnland kommt bei den Aktionären immer gut an. Und Nestlé schlägt zwei Fliegen mit einer Klappe. Es kann ein Filet-Grundstück verkaufen.“ Von der Stadtverwaltung und dem Gemeinderat, sagen die Caro-Leute, würden sie sich mehr Unterstützung für ihren Kampf um den Erhalt ihrer Arbeitsplätze wünschen.

Neben der Kirche haben sie aus Caro-Dosen eine Raute gebaut – das Markenzeichen des Produkts. Daneben stehen Grablichter. Die Passanten, die dort stehen bleiben, sind bestürzt, dass die Kaffeefabrik aus dem Stadtbild verschwinden soll. „Wir brauchen die Arbeitsplätze, die Ludwigsburg über lange Jahre geprägt haben. Und zwar in Ludwigsburg“, findet Sabine Conrad, die sich als hingebungsvolle Caro-Kaffee-Trinkerin entpuppt: „Ich habe damit angefangen, als ich mit meiner Tochter schwanger war“, erzählt die Ludwigsburgerin, „und bin dabeigeblieben.“ Ihre Tochter ist jetzt 16. Sie habe sich auch gefreut, sagt sie, dass das frühere Café beim Stadtmuseum „Zichorie“ geheißen habe. „Weil Zichorie eben zu Ludwigsburg gehört.“

Caro-Männchen auf Sprungstiefeln

Zum Aufwärmen schenken die Unifrack’ler – was sonst? – Caro-Kaffee aus. Isolde Nahnsen aus Steinheim nimmt einen Becher voll. „Das habe ich als Kind manchmal getrunken, jetzt aber schon lange nicht mehr“, sagt die frühere Großhandelskauffrau. Ihr tun die Caro-Mitarbeiter leid, vor allem diejenigen im fortgeschrittenen Alter. „Ich habe Glück gehabt, dass ich es bis zur Rente geschafft habe“, sagt sie.

Das wird Sven Keinath bei seinem jetzigen Arbeitgeber wohl kaum gelingen. Der Vater von drei Kindern zog vor drei Jahren für den Job als Techniker an der Caro-Abfüllung mit seiner Familie von Winnenden nach Ludwigsburg. Die Aussicht, dass er die Prozedur mit Schulwechsel und allem, was noch daran hängt, erneut vor sich haben könnte, lässt ihn aufseufzen. Am Infostand macht er als leibhaftiges Caro-Männchen mit: Er trägt ein samtrotes Karo-Kostüm und hüpft auf Sprungstiefeln über den Platz, in denen er sonst Kondition trainiert.

Frust, Verunsicherung und Aggression

Helmut Zacher von der Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten (NGG) sagt mit Blick auf den Beginn der Sozialplanverhandlungen: „Ich glaube, man muss der Realität ins Auge blicken. Sogar wenn das Ludwigsburger Werk noch effizienter arbeiten würde, denke ich, dass die Manager bei der Entscheidung bleiben.“ Das fürchtet auch Christian Gojowczyk, der die Caro-Belegschaft als Betriebsseelsorger der katholischen Diözese Rottenburg-Stuttgart begleitet und viel Frust, Verunsicherung und Aggression erlebt. „Die Mitarbeiter reden mit einer solchen Begeisterung von ihrer Arbeit. Aber es ist ein Know-How, das außerhalb der Fabrik nichts zählt“, beschreibt er das Dilemma, das nagende Selbstzweifel und Existenzangst auslöst. „Dass man Geld so eindeutig über Menschen und ökologische Ressourcen stellt, ist eine Sünde. Bloß weil es zulässig ist, ist es nicht gerecht.“

Wie viel Geld der Konzern durch die Werksschließung und die Verlagerung einsparen will, dazu gab Nestlé am Donnerstag bis Redaktionsschluss keine Auskunft.