Die Friedenspreisträgerin Carolin Emcke hat im Literaturhaus ihren Essay „Gegen den Hass“ vorgestellt – und dabei Stellung bezogen zur ihrer viel kritisierten Dankesrede bei der Verleihung des Friedenspreises des deutschen Buchhandels.

Stuttgart - Zweieinhalb Wochen, nachdem sie in der Frankfurter Paulskirche den Friedenspreis entgegengenommen hat, ist die Journalistin und Essayistin Carolin Emcke jetzt im Stuttgarter Literaturhaus zu Gast gewesen und hat dort für einen vollen Saal gesorgt. Von der Literaturhaus-Leiterin Stefanie Stegmann als „eine der wichtigsten Intellektuellen der Gegenwart“ begrüßt, wollte sie mit der Moderatorin Insa Wilke über ihren bei S. Fischer erschienenen Essay „Gegen den Hass“ (240 Seiten, 20 Euro) reden. Emckes Dankesrede in der Paulskirche war von einigen Kritikern vorgeworfen worden, sie habe einen pastoralen Ton angeschlagen, sei eine Art „Feldgottesdienst der Zivilgesellschaft“ gewesen, wo das bei solchen Gelegenheiten Erwartbare des Wahren und Guten gesagt wurde. Die Gesprächsform gab ihr hingegen die Möglichkeit, ihre Argumente in einer weniger feierlichen, eher nachdenklichen und teils gar selbstkritischen Form vorzutragen.

 

Emcke, die seit 1998 für die Auslandsredaktion des „Spiegel“ aus vielen Kriegs- und Krisengebieten berichtet hat, erzählte, sie habe ein anderes geplantes Buchprojekt zurückgestellt und diesen Essay über den Hass geschrieben, weil sich hierzulande im Klima der öffentlichen Auseinandersetzungen in den letzten Jahren einiges zum Schlimmeren verändert habe, ein „Zustand der Verrohung“ eingetreten sei. Beispielsweise bekomme sie heute Schmähbriefe zugeschickt, die mit vollem Namen unterzeichnet seien, während sie vor zehn Jahren noch anonym waren. Allerdings könne sie mit ihrem Essay keine schnellen Antworten auf die Frage liefern, woher dieser Hass der Wutbürger komme, wahrscheinlich gebe es dafür auch keine monokausalen Erklärungen.

Stattdessen hält sich Emcke an das, was sie als Journalistin gelernt hat: genau hinsehen und Verhaltensweisen beschreiben. So erzählt sie in einer Passage ihres Buchs detailgenau, was man auf einem Video sieht, das die Festnahme des Afroamerikaners Eric Garner am 17. Juli 2014 in New York durch weiße Polizisten festgehalten hat. Der Fall ging um die Welt, weil der 43-jährige unbewaffnete Mann als Folge der brutalen Behandlung durch die Polizei wenig später starb. Anders als der „heiße Hass“, wie er sich etwa bei Angriffen auf Flüchtlingsheime zeige, sei der Hass hier „erkaltet“, habe sich in eingeschliffenen Polizeipraktiken zu einem „institutionellen Rassismus“ verfestigt.

Entschuldigung für Hassparolen

Misstrauisch ist Emcke gegenüber Redewendungen wie „Man muss die Sorgen der Bürger ernst nehmen“, wenn sie als Entschuldigung für Hassparolen vorgebracht werden. Sie verstehe durchaus den Unmut vieler etwa über Wohnungsmangel oder wachsende soziale Ungleichheit, und auch die Medien dürfe man kritisieren. Aber die Sorge mache auch blind: Statt mühsame Ursachenforschung wegen sozialer Missstände zu betreiben, suche sie nach einem übersichtlichen Objekt, an dem man seinen Unmut auslassen könne. Auf der Ebene der Gefühle stehenzubleiben, ohne sich auf das Für und Wider von Argumenten einzulassen, sei kindisch, wie sie überhaupt eine Mischung aus Selbstmitleid und Brutalität bei den Wutbürgern beobachtet habe.

Man kann vieles von dem, was da von Emcke gesagt wurde, als moralische Selbstverständlichkeit bezeichnen. „Preaching to the saved“ (Predigen zu den schon Bekehrten) nennt man das in den angelsächsischen Ländern. Aber der häufige Szenenapplaus des Publikums im Literaturhaus zeigte, dass viele von denen, die sich oft als naive „Gutmenschen“ beschimpfen lassen müssen, solche moralische Aufmunterung hin und wieder benötigen.