Model-Maße sind keine Bedingung, Jugend und faltenfreie Schönheit ebenso wenig. Denn Boris Cosic, der eine Marketing-Agentur betreibt, sucht „echte Typen für ausdrucksstarke Kampagnen“.

Stuttgart - Öffentliches Casting verkündet ein Schild im Foyer des Metropol-Kinos, das in ein Fotostudio mit weißer Leinwand, Kamera und Scheinwerfer verwandelt ist. „Ah, wird hier Germany’s next Topmodel gesucht? Und wo steckt Heidi Klum“, witzeln einige Beobachter der Szenerie. Aber hier muss niemand eine gnadenlose bis vernichtende Beurteilung fürchten. „Wollen Sie sich casten lassen“, sprechen freundliche junge Damen die Besucher an, die sich an jenem Samstag die Live-Übertragung der Oper „Der Rosenkavalier“ aus der New Yorker Metropolitan-Oper anschauen wollen.

 

Typen von von Eins bis 99

Überwiegend ältere Herrschaften, das übliche Opernpublikum, aber dem Ansinnen eines spontanen und obendrein kostenlosen Foto-Shootings keinesfalls abgeneigt. „Wir konnten an diesem Tag 122 Talents casten“, berichtet Boris Cosic. Seit zwei Jahren betreibt der 40-jährige Stuttgarter die Agentur 0711 Marketing GmbH und beliefert viele namhafte Auftraggeber. „Für alle Werbekampagnen suchen wir Persönlichkeiten mit Ausdruck und einem individuellen Stil. In jedem Alter, von 1 bis 99 Jahre. Echte Typen, unabhängig von den üblichen Klischees, Maßen und Anforderungen, denn wir sind ja keine Modelagentur“, betont Boris Cosic.

Schöne Hände sind gefragt

Jungen hübschen Mädchen weist er deshalb nicht die Tür im Stuttgarter Süden. Jeden Donnerstag findet dort das Casting statt. Gerade wollen sich sechs junge Damen in die Kartei aufnehmen lassen. Da hat Boris leichtes Spiel, denn Lena Kilper (19), Saskia Hanser (25), Mariana Mirkovic (21), Laura Strohmeier (21), Julia Frey (18) und Luisa Eveny (21) sind Schülerinnen einer Schauspielschule und bringen Professionalität mit. Bühnen- und publikumserfahren präsentieren sie sich selbstbewusst vor der Kamera. Ungeschminkt, in schwarzen Hosen und weißen T-Shirts, wie empfohlen, vor der weißen Leinwand als Hintergrund, damit nichts vom Typ ablenkt. Dazu die Hände gut sichtbar, weil, so Boris, „oft auch schöne Hände gebraucht werden.“

Wechsel zum astreinen Schwäbisch

„Wir wollen uns hier mal ausprobieren“, sagt Mariana. Boris nutzt das besondere Talent der Mädels aus und macht noch kurze Video-Aufnahmen, um seinen Kunden einen noch besseren Eindruck zu liefern. „Erzähl’ was oder spiel‘ was“, fordert er auf. Zum Beispiel aus der Performance, die sie demnächst aufführen werden. Luisa lässt sich von der Musik zum Streetdance animieren, Mariana erzählt drauf los und wechselt dabei vom Hochdeutschen in ein astreines Schwäbisch – vielleicht ein überzeugender Pluspunkt für eventuelle Auftraggeber.

Lukrative Model-und Werbeaufträge

Was hat die Sechs auf die Idee gebracht, sich casten zu lassen? „Als Möglichkeit, Geld zu verdienen. Denn Engagements für Schauspiel, Musical, Film oder Fernsehen warten nicht um die nächste Ecke. Da wären Model- oder Werbeaufträge nicht schlecht.“

„Die Tagesgage beginnt bei 200 Euro, nach oben gibt es keine Grenzen“, beziffert Cosic die Verdienstmöglichkeiten. Er hat in der Altersgruppe der 25- bis 30-Jährigen die größte Auswahl zwischen Männern und Frauen, Dicken und Dünnen, Blonden und Brünetten. Der Bedarf seiner Kunden sei groß: „Allein im vergangenen Monat konnten wir 200 Talents casten“, sagt er. Vor allem fehle es an Kindern – und noch mehr an Senioren. Diese Kategorie beginnt bei ihm schon bei 50, ist aber auf der Best-Ager-Skala nach oben offen. Denn jeder Fernsehzuschauer weiß, dass im Zeichen der Alterspyramide Senioren dringend als Werbeträger für die Palette geriatrischer Medikamente gebraucht werden: Von der Creme, die Schmerzen in Knie und Hüfte lindert, bis zum Mittel gegen nächtlichen Harndrang.

Senioren auch gerne mit Hund

Auf der Suche nach mehr Senior-Talents, verrät Boris Cosic, habe er kürzlich den Termin für das öffentliche Shooting im Foyer des Metropol-Kinos ganz bewusst ausgewählt: Weil Opernliebhaber selten unter 50 Jahre alt sind. Der Versuch gelang und soll wiederholt werden. „Nur keine falschen Hemmungen“, bittet er. „Jeder hat das Zeug dazu. Und es darf, sogar hochwillkommen, auch gern der geliebte Hund mit dabei sein.“