An einem geheimen Tag in diesem Jahr soll ein Zug aus Frankreich hochradioaktive Atomabfälle in Castor-Behältern nach Philippsburg bringen. Dorthin, wo derzeit das stillgelegte Kernkraftwerk zurückgebaut wird. Die Stadt klagt, Aktivisten protestieren.

Baden-Württemberg: Florian Dürr (fid)

Hochradioaktiver Atommüll per Zug aus der Normandie, einmal quer durch Frankreich, über die deutsche Grenze und weiter ins Atommüll-Zwischenlager im baden-württembergischen Philippsburg: Aus der französischen Gemeinde La Hague sollen noch in diesem Jahr vier Castor-Behälter auf der Schiene in die knapp 1000 Kilometer entfernte Kleinstadt im Kreis Karlsruhe transportiert werden. Datum und Route streng geheim. Was steckt dahinter?

 

Warum soll überhaupt Atommüll aus Frankreich nach Baden-Württemberg transportiert werden? Bei der hochradioaktiven Ladung aus La Hague handelt es sich um Abfallprodukte aus der Wiederaufarbeitung von Brennelementen, die zu früheren Zeiten nach Frankreich und Großbritannien gebracht wurden. Seit 2005 ist der Transport zur Wiederaufarbeitung im Ausland verboten. Das Material stammt also ursprünglich aus deutschen Kernkraftwerken, deshalb sind die Bundesrepublik (völkerrechtlich) und die AKW-Betreiber (privatrechtlich) dazu verpflichtet, die bei der Wiederaufarbeitung entstandenen Abfälle wieder zurückzunehmen. Im Jahr 2015 wurden vier Standorte für die Rückführung der im Ausland lagernden Atomabfälle festgelegt: Neben Philippsburg in Baden-Württemberg auch die Standorte Biblis in Hessen, Brokdorf in Schleswig-Holstein sowie Isar in Bayern. Laut dem Energieunternehmen EnBW, das als AKW-Betreiber Strom in Philippsburg produziert hat, ist der diesjährige Transport der letzte dieser Art aus Frankreich nach Philippsburg.

Um wie viele Castor-Behälter geht es? Insgesamt vier Castor-Behälter soll das Zwischenlager Philippsburg aus Frankreich aufnehmen. Derzeit lagern dort mehr als 100 Castoren, Platz gibt es für 152.

Wann geht der Transport über die Bühne? Das genaue Datum sowie die Route von La Hague nach Philippsburg bleiben aus Sicherheitsgründen geheim. Der Transport muss aber noch in diesem Jahr erfolgen, denn nur bis zum 31. Dezember 2024 gilt die Transportgenehmigung des Bundesamts für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE). Atomkraftgegner versuchen, rechtzeitig im Vorfeld das genaue Datum herauszufinden. Aus deren Kreisen ist zu hören, dass der Zug die Castor-Behälter wohl noch im November nach Philippsburg bringen könnte. Aufgrund von Protesten, aber auch weil die Castoren ein potenzielles Ziel von Terroristen sein könnten, wird der Transport mit massiver Polizeipräsenz begleitet.

Philippsburgs Bürgermeister Stefan Martus (CDU) sorgt sich um die Sicherheit des Zwischenlagers. Foto: Stadt Philippsburg

Welche Reaktionen gibt es auf den Transport? Atomkraftgegner haben bereits Protest gegen den Castor-Transport angekündigt. An diesem Samstag will die Gruppe „Anti-Atom Südwest“ demonstrieren: Erst am Karlsruher Hauptbahnhof, dann im Zug auf der Fahrt nach Philippsburg – und bei einer Kundgebung auf dem dortigen Marktplatz. Auch die Stadt Philippsburg selbst wehrt sich: Per Eilantrag klagt sie vor dem Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (VGH) – nicht speziell gegen den Transport, sondern gegen generelle Genehmigungen für die Lagerung von hochradioaktiven Atomabfällen im Zwischenlager Philippsburg. „Die geopolitische Lage hat sich geändert, unser Verteidigungsminister betont, wir seien nicht verteidigungsfähig“, sagt Stefan Martus (CDU), der Bürgermeister der Stadt. Deshalb fordert er eine Prüfung des Zwischenlagers im Rahmen einer Neugenehmigung, die beim Schutz des Zwischenlagers auch die Gefahr durch modernste Waffensysteme berücksichtigt. „Wir rechnen uns wenig Chancen aus, aber wir wollen den Finger heben“, sagt Martus. Und wenn die Stadt Erfolg hat mit der Klage? „Dann wird das dieses Jahr nichts mehr mit dem Transport“, ist sich der Bürgermeister sicher.

Wie lange lagert der Atommüll dann im Zwischenlager? Bis ein Atommüll-Endlager gefunden ist, ein unterirdischer Ort in Deutschland, der die sichere Lagerung des Hunderttausende Jahre strahlenden Mülls für eine Million Jahre verspricht. Doch die Suche danach zieht sich, laut Bundesumweltministerium wohl bis ins Jahr 2050 – und nicht wie ursprünglich vorgesehen 2031. Bis dahin bleiben die hochradioaktiven Abfälle in Zwischenlagern wie Philippsburg. Für Bürgermeister Martus sind die Zwischenlager quasi zu Endlagern geworden. Bis der letzte Castor-Transport aus Philippsburg rollt, das wird der 55-Jährige wohl nicht mehr miterleben.