Was ist eigentlich eine Diva? Was macht sie, wie lebt sie, wie wird sie mit dem Älterwerden fertig? Der US-Amerikanerin Catherine Naglestad, die von der Stuttgarter Oper aus eine internationale Karriere machte, kann man viele Fragen stellen. Die meisten beantwortet sie mit einem langen, glockenhellen Lachen. Zwei Mal wird die Sopranistin jetzt Puccinis Tosca in Stuttgart singen.

Stuttgart - Was ist eigentlich eine Diva? Was macht sie, wie lebt sie, wie wird sie mit dem Älterwerden fertig, und wo fühlt sie sich zu Hause? Der US-Amerikanerin Catherine Naglestad kann man viele Fragen stellen. Die meisten beantwortet sie mit einem langen, glockenhellen Lachen – mindestens.

 

Frau Naglestad, letztes Jahr habe ich Sie bei den Münchner Opernfestspielen gehört: als Carlotta in Schrekers „Gezeichneten“.

O Gott . . .

Sollen wir darüber reden?

Nein, müssen wir nicht.

Sie haben in München toll gesungen. Eine wundervolle, klare Höhe. Ich war bezaubert. Dabei sind Sie ja mittlerweile keine dreißig mehr.

Nein, auch keine vierzig (lacht)

Wie schaffen Sie es, Ihre Qualität zu halten? Mit guter Technik? Ökonomie? Oder ist es vor allem das Ergebnis einer guten Work-Life-Balance?

Es ist Technik. Reine Technik. Wobei ich auch immer darum kämpfe, dass zwischen Proben genug Zeit zum Erholen ist. Oft ist es so, dass ich in Probenzeiten um sieben Uhr aufstehe, um zehn Uhr dann bei der Probe bin bis eins oder zwei. Man fährt hin und her zur Probebühne, verliert viel Zeit dabei, besonders in Stuttgart bei dem katastrophalen Verkehr. Wenn dann am späten Nachmittag noch mal Probe ist, bin ich abends erst um zehn oder elf Uhr zu Hause und muss am nächsten Morgen wieder früh raus. Das schaffe ich nicht mehr so gut wie früher.

Und die Wechseljahre?

Ja, da muss man einiges umstellen. Es ist Glückssache, ob man das schafft, aber mit einer guten Technik schafft man Vieles. Man muss allerdings hart arbeiten, und das kostet viel Zeit.

Achten Sie darauf, dass Sie weniger Engagements annehmen? Um mehr Erholung zu haben?

Das fängt jetzt an. Ich habe es seit zehn Jahren mehr oder weniger immer wieder angekündigt, aber nie geschafft. Dann hatte ich vor zwei Jahren ernsthafte gesundheitliche Probleme, musste sogar mein Debüt an der Met absagen. Zum Glück habe ich mich wieder vollständig erholt! Ich gebe auf der Bühne sehr viel – wenn ich dabei bin, dann bin ich voll dabei. Aber ich muss zwischendurch Kraft schöpfen. Ich bin aber dankbar, dass ich noch singe – und das hoffentlich noch lange: Ich habe schon jetzt Verträge bis 2022.

Sind auch neue Partien dabei?

Natürlich. Das brauche ich.

Was machen Sie, wenn Sie zwischendurch ein, zwei Monate Pause haben?

Oh, das weiß ich nicht, ich fange ja erst an…. Wir machen bald wieder ein Interview, dann kann ich Ihnen diese Frage beantworten. Vielleicht. Hoffentlich . . . (hört nicht auf zu lachen)

Sie haben mal mit der Konstanze in Mozarts „Entführung aus dem Serail“ begonnen. Jetzt singen Sie Salome und Sieglinde. Wo ist Ihre Stimme gerade zu Hause?

Ich habe immer die Balance gesucht, um die Stimmbänder flexibel und gesund zu halten. Heute pendle ich zwischen Verismo und Wagner.

Tosca ist eine Ihrer Paradepartien geworden . . .

Ja, das ist lustig. Ich musste damals hier in Stuttgart für die Partie vorsingen, obwohl ich schon am Haus etliche Partien gesungen hatte, und dann entschied man sich für mich mit dem Satz, man wolle mir eine Chance geben. Ich war sehr dankbar, aber irgendwie habe ich die Partie nur als Versuch gesehen. Jetzt aber ist die Tosca so etwas wie mein Fixstern oder mein Korrektiv: Ich komme immer wieder zu dieser Partie zurück, denn wenn ich sie singe, spüre ich sofort, wo ich stehe, woran ich arbeiten muss.

Mögen Sie Willy Deckers Stuttgarter Inszenierung?

Ich war überrascht, wie viel ich vergessen hatte – wahrscheinlich auch weil ich schon sehr, sehr viele „Tosca“-Inszenierungen erlebt habe. Aber ich fühle mich gut hier. Vor zwanzig Jahren hat es mich stark verunsichert, dass die Bühne hier so leer ist, dass man so viel Raum füllen muss. Heute mag ich das.

Haben Sie im Stuttgarter Opernhaus noch das Gefühl von Heimat?

Nein, dafür bin ich zu lange schon weg. 2015 war ich das letzte Mal hier, da habe ich die Butterfly gesungen. Aber es ist toll, wie viele Menschen sich hier freuen, dass ich da bin: im Chor, in der Technik, überall. Ich kenne auch die Wege hier. Ich finde sogar zur Unterbühne. Nur die Kantine finde ich nicht, aber die finde ich in keinem Theater.

Dann müssen Sie einfach häufiger herkommen.

Wer weiß, was die Zukunft bringt! (lächelt vielsagend)

Was machen Sie in den nächsten Wochen?

Nach der „Tosca“ werde ich bis zum 30. Dezember die Sieglinde auffrischen und „Nabucco“ studieren. Ein Korrepetitor hier aus dem Haus, der schon halb in Rente ist, kommt dafür zu uns nach Hause, und wir können dort arbeiten, das genieße ich sehr. Früher habe ich immer einen Platz zum Üben gesucht, das ist echt ein Problem mit zwei Sängern in der Familie. Und zu Hause will uns ja eigentlich niemand singen hören. Sorry, das sollte ich wohl nicht sagen (lacht). Am 2. Januar beginnen die Proben für „Die Walküre“ in Wien.

Gab es Momente, wo Sie einem Regisseur gesagt haben, hier sind meine Grenzen, das mache ich nicht mit?

Ich kann mich an keinen solchen Moment erinnern. Wobei ich mit manchen Regisseuren einfach auch nicht arbeite, weil ich weiß, wir würden nur kämpfen. Probleme gab es eher bei Kostümen und mit Dirigenten. Ein Mal war ich kurz davor, wegen eines Kostüms eine Produktion abzusagen. Wissen Sie, man muss nicht immer schön aussehen. Aber man muss sich wohlfühlen. In der alten „Turandot“ hier zum Beispiel hatte man als Liù dunkle Augenringe und fettige Haare, aber das hat gepasst. Manchmal stehen Kostüme der Figur entgegen, die man auf der Bühne sein will, und dann kann man unmöglich frei singen und spielen. Auch musikalisch kann ich mit fast jedem auskommen, aber was ich nicht ausstehen kann, sind Machtspiele. Es muss nicht immer eine Liebesbeziehung zwischen allen Beteiligten sein, aber Oper ist ein Austausch, und man muss Respekt voreinander haben.

Was war Ihre Lieblingsarbeit?

„La Fanciulla del West“, inszeniert von Barrie Kosky und dirigiert von einem meiner Lieblingsdirigenten, Marco Armiliato, in Zürich. Da hat einfach alles gestimmt. Auch mit Jossi Wieler gab es tolle Produktionen.

Sie spielen als Operndiva in „Tosca“ eine Operndiva: kapriziös . . .

(Pause) . . . Oh, das haben Sie mal über meine Tosca in Baden-Baden geschrieben, da war ich so wütend, denn es ist nicht wahr! (zitiert): „Natürlich kann Catherine Naglestad die kapriziöse Diva spielen, weil sie selbst so eine ist!“

O je, die Wunde ist tief . . .

Ich habe immer gegen dieses Bild gekämpft. Ich empfinde Tosca im ersten Akt auch nicht als Diva, sondern als Privatperson. Sie kommt in die Kirche, ihr Glaube ist ehrlich, ihre Liebe auch, und ihre Eifersucht beruht auf großer Unsicherheit. Die Diva kommt erst im zweiten Akt.

Okay, nach dieser Erklärung nehme das „kapriziös“ gerne zurück.

Müssen Sie nicht.

Einigen wir uns darauf, dass es eigentlich nicht möglich ist, was Puccini am Ende seiner Oper vorschreibt: dass Tosca nämlich von der Engelsburg in den Tiber springt.

Einverstanden.

Nur eine Frage noch: Singen Sie unter dem Weihnachtsbaum?

Nein!

Aber zwei Opernsänger an Heiligabend . . .

Wir backen gemeinsam und hören Loreena McKennitt und George Winston. Alles ganz privat und entspannt.

Ach was?

(lacht) Glauben Sie mir das jetzt wieder nicht?