Nach fast 40 Jahren präsentiert der Stuttgarter Hymnus-Knabenchor wieder eine Einspielung von Bachs „Weihnachtsoratorium“

Lokales: Armin Friedl (dl)

Stuttgart - Weihnachtliche oder adventliche Live-Musik von Musikern und Chören wird es in diesem Jahr nicht geben – das steht inzwischen fest, mal abgesehen von einigen ganz kleinen Darbietungen in der einen oder anderen Kirche. Was es stattdessen geben wird an Online-Formaten, daran arbeiten die Künstler derzeit noch heftig. Da kommt das aktuelle Angebot des Hymnus-Knabenchors zur richtigen Zeit: Eine Gesamteinspielung von Bachs „Weihnachtsoratorium“, dies in einer weitgehend konventionellen Form als CD-Einspielung. Die Entscheidung dafür ist freilich zu einem Zeitpunkt gefallen, als die aktuelle Situation noch nicht absehbar war.

 

Eine Neueinspielung nach bald 40 Jahren

Anfang Januar haben sich die jungen Sänger für fünf Tage in die Christuskirche auf der Gänsheide begeben, um mit der Handel’s Company den Klassiker einzuspielen, dirigiert vom künstlerischen Leiter Rainer Johannes Homburg. Die Oratoriums-Aufführungen von Weihnachten 2019 waren da also noch in frischer Erinnerung. „Die letzte Einspielung des Bach-Klassikers durch den Hymnus Chor war 1983“, erinnerte sich Homburg, „da war es mal wieder an der Zeit, mal wieder zu dokumentieren, was der Chor heute so kann“. Und damit das zusätzlich Eindruck hinterlässt, geschieht dies im Rahmen einer kleinen Edition: Eine Einspielung der Johannes-Passion wurde schon 2016 vorgelegt, jetzt sollen noch die Matthäus-Passion und die h-Moll-Messe folgen. Wann? Dazu macht Homburg heute lieber keine konkreten Aussagen – Gewissheiten gibt es heuer wenig.

Lieber macht Homburg auf die Besonderheiten aufmerksam, die das Arbeiten mit einem Knabenchor so mit sich bringen: „Man muss davon ausgehen, dass ein Drittel das Werk sehr gut kennt, ein Drittel gut und für ein weiteres Drittel ist das weitgehend Neuland.“ Das bedeutet, dass zumindest bei einigen schon früh der Probenprozess beginnen muss, hier im Herbst 2019. Das bedeutet auch, dass der Konzertkalender dann nicht so gut gefüllt sein darf wie sonst, damit die Jungs nicht überfordert werden.

Die besondere Arbeit mit einem Knabenchor

Mit der Christuskirche haben sie immerhin einen vertrauten Ort für die herausforderende Arbeit einer CD-Einspielung, auch schon frühere CD-Aufnahmen wurden dort auf der Gänsheide gemacht. „Das ist für uns der ideale Ort für so ein Projekt“, weiß Homburg, „hier gibt es auch viele große Nebenräumlichkeiten, in denen die Aufnahme-Gerätschaften untergebracht werden können. In denen aber auch Einzelne sich gut aufhalten können, wenn sie Pause haben“. Und was dem einen oder anderen vielleicht auch auffallen wird, der Einspielungen von anderen als Vergleich zur Verfügung hat: Der Gesamtklang des Chores ist da ziemlich leicht und filigran. Homburg ist das wichtig: „Der Gesamtklang muss sehr durchsichtig sein, damit die Kontrapunktik des Stücks zur Geltung kommt. Da gibt es schon Einspielungen, die wuchtiger und monumentaler klingen, aber da gehen ja die Details verloren. Uns ist der leichte Klang lieber und angemessener.“

Einladungen zum Tanz

Davon profitieren auch die Musiker der Handel’s Company, die Homburg 1999 mitgegründet hat. Fast als würden sie zum Tanze auffordern, leiten sie einzelne Arien auf ihren alten Instrumenten ein. Homburg: „Da kommt die Grundidee gut rüber, dass die Ursprünge der einzelnen musikalischen Formen aus dem Tänzerischen kommen.“ Das Anhören dieser Gesamtaufnahme wird so zu einem kurzweiligen Vergnügen. Fast schon zu einem flüchtigen Vergnügen? – Homburg gibt zu: „Im Vergleich mit anderen Einspielungen werden wir in Sachen Tempo wohl im schnelleren Drittel sein. Aber an der Spitze liegen wir auf jeden Fall nicht.“ Das sei auch nie das Anliegen gewesen. „Am Ende entscheiden die Ausführenden selbst über das Tempo. Natürlich sind sie gut darüber informiert, wie einzelne Abschnitte aufgeführt werden müssen, auch aus der geschichtlichen Entwicklung heraus und in der Verantwortung gegenüber dem Komponisten, seinem Wollen gerecht zu werden“, so Homburg, „aber jede Interpretation spiegelt auch die Zeit, in der sie gemacht wird. Und wenn die jungen Leute heute dies so einspielen, sagt dies viel über ihr Lebensgefühl aus“. Mit Leistungsdruck oder dem Streben nach Superlativen habe dies jedenfalls nichts zu tun, so Homburg. Schließlich soll der Hörende möglichst viel Genuss mit der Aufnahme haben. Und das geht nur mit einem Gesang, der möglichst unangestrengt ist.