Hätte jemand Frank Henkel vor gut einem Jahr gesagt, dass er Berlin mitregieren wird, hätte er gelacht. Jetzt ist ihm eher nach Jammern zu Mute.

Berlin - Frank Henkel seufzt. Dann entschließt er sich zum Durchatmen – Luft holen, ruhig bleiben, cool sein. Unterm Tisch wippen die Fußspitzen. Es ist wieder Montag. Berlins Innensenator, der wichtigste Mann nach Klaus Wowereit, der Chef, Retter und Hoffnungsträger der Berliner CDU sieht aus, als würde er am liebsten aufstehen und weggehen.

 

Montags tagt der Innenausschuss des Parlaments. Seit Wochen geht es hier um nichts anderes als Berlins jüngste Skandale und Affären: geschredderte Akten über Neonazis und eine Verfassungsschutzchefin, die seit Monaten davon weiß und ihren Hut nehmen muss. Ein V-Mann des Landeskriminalamtes, der das Zwickauer Terrortrio kannte und Hinweise zu ihnen gab, was dem NSU-Untersuchungsausschuss aber einfach über Monate verschwiegen wird.

Vom Haudrauf aus der Opposition ist nichts mehr übrig

Und vorne sitzt der Innensenator auf seinem Platz und hält ein Blatt Papier in den Händen. Von dem liest er dann Sätze ab. Mal mit getragener Stimme, wenn er die Mordserie des NSU als schlimmsten Sicherheitsskandal der Geschichte beschreibt, mal im Managerton, wenn er davon spricht, dass konsequente Aufklärung nottue, und manchmal mit dieser alten, ehrlich verwunderten Henkel’schen Ehrlichkeit, wenn er sagt, dass er sich das alles hier auch nicht erklären kann.

Seit Wochen schon wundern sich hier im Abgeordnetenhaus alle über diese Blätter. Die Opposition ätzt inzwischen über die „Sprechzettel“ des Herrn Henkel, von denen ihm, wenn die Sitzung weiterläuft, immer mal wieder welche zugesteckt werden. Selbst am Dienstag, als Henkel den neuen Polizeipräsidenten vorstellt, liest er ab. Der Innensenator, der Vizeregierungschef, ein Politroutinier, den alle noch als Haudrauf auf der Oppositionsbank kennen, muss sich an etwas festhalten, und sei es nur an einem Blatt Papier. Und wenn der dann doch mal davon aufschaut und frei spricht, dann kommt als Erstes dieser dicke Seufzer. Frank Henkel sieht in diesen Momenten so aus, als wäre er überall auf der Welt lieber als auf dem Innensenatorsessel von Berlin.

Ohne Henkel steht das Schicksal der CDU auf dem Spiel

Natürlich würde er nicht weggehen, er kann nicht. An Frank Henkel hängt die Große Koalition von Berlin. An ihm hängt das Schicksal seiner Partei in der Hauptstadt. Ein bisschen hängt an ihm sogar das der SPD in Berlin. Ohne ihn würde sich vermutlich einiges verändern.

Henkel hat die CDU konsolidiert, aber die Partei hat keine erkennbare Alternative zu ihm. Träte er zurück, es würde sich sofort die Regierungsfrage stellen. Das weiß auch Klaus Wowereit. Das Bündnis mit den Christdemokraten ist bei der Linken in seiner SPD nicht mit Begeisterung aufgenommen worden. Ihr ehemaliger Sprecher Jan Stöß ist inzwischen Parteichef. Und Frank Henkel? Die Wiederbelebung der Berliner CDU ist sein Erfolg. Dass die Partei ohne ihn einfach ruhig weiteratmen würde, ist sehr unwahrscheinlich.

Kann es sein, dass dieses Wissen unendlich anstrengend ist? Frank Henkel ist blass, er hat zugelegt, er war wochenlang krank. Er wirkt erschöpft – und das schon seit Monaten. Natürlich würde er jeden Anflug von Amtsmüdigkeit abstreiten, wenn man die Chance bekäme, ihn danach zu fragen. Aber vielleicht fehlt im entscheidenden Moment der Raubtierreflex. Vielleicht rächt sich jetzt, was der Politprofi schon früh über sich selbst wusste und früher mal gesagt hat: „Ich bin eigentlich kein Mann für die erste Reihe.“

Macht wider Erwarten

Da war er noch Generalsekretär und innenpolitischer Sprecher der CDU, die nach der Demütigung der Bankenaffäre abgeschlagen auf der Oppositionsbank saß. Henkel stammt aus Ostberlin, seine Familie stellte in den 80er Jahren einen Ausreiseantrag. Wenn man ihn davon erzählen hört, wie es war, auf die Antwort des Regimes zu warten, versteht man, wieso der Freiheitsgedanke der Frontstadt-CDU ihn so bewegte. Das war sein Antrieb für Politik – aber niemals ging es um die Idee, so weit wie möglich nach oben zu kommen. Henkel wurde Büroleiter von Eberhard Diepgen – hätte ihm seinerzeit einer gesagt, dass er mal um die Nachfolge kämpfen würde, er hätte vermutlich nicht mal gelacht über diesen schlechten Scherz.

Henkel erlebte die „CDU der kleinen Leute“ die in alter Subventionsmentalität das Verteilen perfektionierte: von Mitteln, Posten, Vorteilen. Dann kam der Bankenskandal – und mit ihm ging auch die Hauptstadt-CDU bankrott. Er hat diese zehn Jahre der Agonie seiner Partei mit durchlitten – die endlosen Personalquerelen, die so hoffnungslos schienen, dass auch Angela Merkels Bundes-CDU sich mit Grausen abwandte. Die Partei halbierte ihre einstigen Wahlergebnisse und biss ansonsten Aspiranten von außen weg. Binnen fünf Jahren verschliss man vier Vorsitzende. Als dann keiner mehr wollte, wurde Frank Henkel der Landeschef und beendete mit seiner Kandidatur wider Willen für den Fraktionsvorsitz auch dort einen Machtkampf. Henkel schaffte binnen drei Jahren – vielleicht auch, weil er sich nicht als Supermann versteht – die Beruhigung der Berliner CDU.

Zeit zum Ausruhen hatte Henkel bisher nicht

Die Umfragen trieb das nicht nach oben. Und so konnte der Mann, der nicht in der ersten Reihe stehen wollte, beruhigt als Spitzenkandidat antreten. Eine Regierungsbeteiligung im rot-roten Berlin, das allenfalls rot-grün werden sollte, war nicht in Sicht. In den letzten Tagen vor der Wahl konnte man einen Frank Henkel erleben, der vor allem eins war: froh, dass es demnächst vorbei ist und er einen Achtungserfolg errungen haben würde.

Die Macht aber, sie kam dann doch. Da hing der Ex-Kandidat gerade in einem Thüringer Wellnesshotel herum und versuchte, sich den Wahlkampf aus den Knochen zu schlafen. Klaus Wowereit, der soeben die Sondierungsgespräche mit den Grünen hatte platzen lassen, rief an. Und wenig später sah man Frank Henkel mit diesem erstaunten Großer-Junge-Grinsen in Koalitionsverhandlungen treten – immer etwas ungläubig über das, was ihm da gerade widerfährt. „Eigentlich“, sagte er, „wollte ich mal ausruhen jetzt.“ Das ist seitdem nicht gelungen. Die CDU hatte kein gutes erstes Jahr im Regierungslager – und aus dem starken Mann an ihrer Spitze ist ein Politiker geworden, der immer öfter überfordert wirkt und in die Defensive gerät.

Personalien und Skandale in der CDU hinterlassen ihre Spuren

Nach der Rekordzeit von zwölf Tagen verloren die Christdemokraten den Justizsenator wegen einer Immobilienaffäre, dann musste der Fraktionschef seinen Doktortitel zurückgeben. Anschließend trat die Wirtschaftssenatorin zurück – eine Quereinsteigerin, von Henkel persönlich geholt. Zugleich klagen Berliner Wirtschaftsvertreter, sie kämen nicht an den CDU-Vizeregierungschef heran. Im Sicherheitsapparat baute sich ein Skandalberg auf, der mit einem unterschätzten Rohrbombenfund am 1. Mai und einer verratenen Rockerrazzia begann und zurzeit in der NSU-Affäre mit dem Rücktritt der Verfassungsschutzchefin einen Höhepunkt hat. In der Innenverwaltung murren die Beamten über den Chef, den sie als desinteressiert und arm an Gestaltungswillen empfinden. Eine Abteilungsleiterrunde wurde abgeschafft, von Wagenburgmentalität auf der Leitungsebene ist die Rede. Henkel hat Vertraute um sich geschart.

Die einen macht Macht übermütig, die andern arrogant. Und dann gibt es Leute wie Frank Henkel, der so lange nicht in der ersten Reihe stehen wollte. Irgendwann in diesem Sommer, nach einem Termin im sonnenheißen Senatorenbüro, stand er im Gang und wartete auf seinen Fahrer. „Man darf sich an all das hier nicht gewöhnen“, hat Frank Henkel da gesagt. „Es hat nichts mit der eigenen Person zu tun und kann ganz schnell vorbei sein.“