Ein Ministerposten für den konservativen Jens Spahn dient als Beruhigungspille für Angela Merkels Kritiker, kommentiert StZ-Redakteur Armin Käfer.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Berlin - Jetzt hat Deutschland zumindest eine halbe Regierung. Seit Sonntag steht fest, wer für die CDU von Angela Merkels Gnaden am Kabinettstisch Platz nehmen darf. Anders als bei der lädierten SPD, wo die Mitglieder erst dann erfahren sollen, wer Minister wird, wenn sie über die große Koalition abgestimmt haben, schenkt die Kanzlerin ihrem Parteitag vorab reinen Wein ein. Von Autoritätsverlust zeugt beides. Die führenden Genossen befürchten, Personaldebatten könnten die Stimmung gegen eine Groko anheizen. In Merkels Fall war es ein Zugeständnis an Kritiker aus den eigenen Reihen, personalpolitisch mit offenen Karten zu spielen.

 

Die Kanzlerin hat nun die Weichen gestellt für den Beginn ihrer vierten Amtszeit. Der ist zugleich der Anfang vom Ende ihrer Ära. Ihr bleiben noch maximal 1000 Tage an der Macht. Bis spätestens im Herbst 2020 muss die Union Merkels Nachfolge regeln. An diesem Sonntag hatte die CDU-Chefin letztmals Gelegenheit, darauf entscheidenden Einfluss zu nehmen. Nun ist klar, welchem ihrer potenziellen Erben welche Startposition vergönnt sein wird. Merkel war gut beraten, nicht nur Gleichgesinnten eine Karriere zu sichern, sondern auch ihren Gegenspieler Jens Spahn in die Regierung einzubinden. Das Personaltableau ist gut ausbalanciert.

Merkel hat Spahn mit ihrer Personalpolitik eingehegt

Unter den wenigen wichtigen Machtposten, die der CDU noch verblieben sind, ist der für den Parteifrieden wichtigste das Ministeramt von Spahn. Dessen Beförderung dient als Beruhigungspille für Merkel-frustrierte Jungkonservative. Diese Ministerriege spiegelt das Maximum an Erneuerung, zu dem die CDU noch imstande ist. Neue Gesichter können den hohen Preis aber nicht verdecken, den die Unionisten für Merkels verlängerte Regentschaft zu bezahlen haben. Der Unmut darüber ist nicht etwa ausgeknipst. Merkel hat ihn mit ihrer Personalpolitik aber eingehegt.

Helmut Kohl und Konrad Adenauer sind in der CDU-Historie abschreckende Beispiele dafür, wie die politische Thronfolge verunglücken kann. Adenauer wollte mit aller Macht Ludwig Erhard, den Erfinder des Wirtschaftswunders, als Nachfolger verhindern und verhalf ihm vielleicht gerade wegen seiner Sturheit ins Kanzleramt. Kohl hat so lange gezögert, seinen Chefposten für den ewigen Kronprinzen Wolfgang Schäuble zu räumen, bis er selbst von den Wählern abgeräumt wurde.

Merkel hat der CDU vieles zugemutet

Die CDU steht so oder so vor einer Epochenwende. Auch dafür ist das Jahr 1998, in dem Kohls Ära unfreiwillig endete, ein Menetekel. Die Partei hatte schlichtweg abgewirtschaftet, Reformen verschlafen. Eine Mehrheit war ihrer überdrüssig. Es bedarf keines neuen Finanzskandals, um solche Verhältnisse erneut zu fürchten.

So wie Merkel damals als Generalsekretärin ihrer Partei empfohlen hat, sie müsse sich vom Dauerkanzler Kohl emanzipieren, so muss sich die CDU nun allmählich von Merkel emanzipieren. Sie verdankt dieser Frau eine Art Renaissance und zwölf Jahre Regentschaft, aus denen wie zu Kohls Zeiten auch 16 Jahre werden können.

Merkel hat der CDU jedoch vieles zugemutet, was schwer zu verdauen war. Sie hat deren Weltbild auf den Kopf gestellt, ihren Traditionsbestand rücksichtslos entrümpelt. Die Christdemokraten mussten unter ihrer ersten Kanzlerin lernen, dass Familien nicht immer so aussehen müssen wie in der Bibel beschrieben, dass Deutschland trotz langen Leugnens doch ein Einwanderungsland ist, dass Atomstrom und die Wehrpflicht verzichtbar sind. All dies wurde der CDU übergestülpt wie ein fremdes Kleid. Deshalb verwundert es nicht, dass manche sich darin unwohl fühlen und viele sich mit Merkels politischer Mode niemals anfreunden wollten. Diese Entfremdung bleibt Merkels Hinterlassenschaft. Wer auch immer ihr nachfolgt, muss sie überwinden, wenn er der Union den Status als größte Volkspartei bewahren will.