An Realschulen und Gymnasien in Baden-Württemberg bleiben immer mehr Schüler sitzen. Für die CDU im Landtag ist die Ursache klar. Sie hält die veränderte Grundschulempfehlung für die Wurzel allen Übels.

Stuttgart - Die oppositionelle CDU im baden-württembergischen Landtag geht davon aus, dass die Situation an den fünften und sechsten Klassen der weiterführenden Schulen im Land „noch viel schlimmer“ ist, als sie sich anhand der Sitzenbleiberzahlen darstellt, die Kultusminister Andreas Stoch (SPD) kürzlich präsentiert hatte. Georg Wacker, der bildungspolitische Sprecher der CDU-Landtagsfraktion sieht seine Befürchtungen „in vollem Umfang“ bestätigt, nachdem er vonStoch die Antwort auf eine parlamentarische Anfrage der CDU erhalten hat.

 

Das Kultusministerium geht davon aus, dass an den Realschulen 4,4 Prozent der Fünftklässler und 3,8 Prozent der Sechstklässler in diesem Sommer nicht versetzt werden. An den Gymnasien wird in den fünften Klassen mit 1,6 Prozent Sitzenbleibern gerechnet und in den sechsten Klassen mit 2,6 Prozent.

Sitzenbleiben sollte überflüssig werden

Für die CDU ist dies „nur die Spitze des Eisbergs“. In die Zahlen seien die Schüler gar nicht eingerechnet, die bereits während des Schuljahrs die Schule gewechselt hätten, auch die Anzahl der Versetzungen auf Probe bleibe unberücksichtigt. Allerdings gibt das Ministerium in seiner Antwort auf die CDU-Anfrage darüber keine konkreten Auskünfte. Die Opposition weist süffisant darauf hin, dass Kultusminister Stoch eigentlich das Sitzenbleiben überflüssig machen wollte. Innerhalb von zwei Jahren hätten sich die Sitzenbleiberzahlen an Realschulen jedoch versechsfacht, an Gymnasien vervierfacht.

Der Wegfall der Verbindlichkeit der Grundschulempfehlung ist für die CDU die Wurzel allen Übels. Jetzt fehle ein systematisches Beratungskonzept. Daran arbeitet das Kultusministerium jedoch nach eigenen Angaben. Von Anfang an seien verbindliche Gespräche mit den Eltern vorgesehen. Damit diese auch erfolgreich verlaufen, wird es in Zukunft Fortbildungen für Grundschullehrer geben.

Grundlage soll das „Schwäbisch Gmünder Gesprächsmodell zur Gesprächsführung mit Eltern“ sein. Jedoch müssen dafür zunächst Trainer ausgebildet werden, die vom Schuljahr 2015/16 an die Lehrer fortbilden. Unabhängig davon verlangt die CDU, dass die Realschulen sofort 500 weitere Lehrerstellen bekommen. Sie seien vom freien Elternwahlrecht am stärksten betroffen, und hätte es mit einer großen Bandbreite an Begabungen zu tun.

In diese Forderung stimmt der Realschullehrerverband vehement ein. „Sitzenbleiber, Probeversetzte und Überwechsler aus anderen Schularten sind bereits jetzt eine Hypothek für das neue Schuljahr“, klagt Irmtrud Dethleffs-Niess, die Vorsitzende des Verbands. Bereits für das neue Schuljahr seien neue Ressourcen notwendig. Sie verlangt Möglichkeiten zur Differenzierung und für die individuelle Förderung ebenso wie einen höheren Sachkostenbeitrag. Außerdem müsse für leistungsschwächere Schüler an Realschulen ein Hauptschulbildungsgang eingerichtet werden. Ressourcen und Lehrerstellen aus aufgelösten Haupt- und Werkrealschulen müssten in die Realschulen fließen.

Verbesserungen fordern auch die Berufsschullehrer. Auch sie hätten an den zweijährigen Berufsfachschulen deutlich mehr förderbedürftige Schüler, nachdem das bisherige Unterstützungssystem, besonders das Berufseinstiegsjahr, geschwächt worden sei.

Arbeitgeber in Sorge

Für die Opposition jedenfalls ist „die ideologische Bildungspolitik von Grün-Rot krachend gescheitert.“ Auch die Arbeitgeber Baden-Württemberg sehen die aktuellen bildungspolitischen Debatten mit Sorge. Allerdings sind sie mit Regierung wie Opposition unzufrieden. Sie kritisieren, dass etwa die Landtags-SPD „ohne Not die Rückabwicklung des achtjährigen Gymnasiums“ forciere. Die CDU kündige, genauso ohne Not, nun ab, dass sie im Falle eines Wahlsiegs die Schulstruktur erneut verändern wolle. Das hatte Guido Wolf als möglicher Spitzenkandidat für die Landtagswahl ins Gespräch gebracht. Die Arbeitgeber sehen die Landespolitik damit auf dem besten Weg, Eltern, Schüler und Ausbildungsbetriebe zu verunsichern und Lehrer zu demotivieren. Es sei Zeit, dass sich die Parteien auf Eckpfeiler der Schulstruktur verständigten. Die Wirtschaft plädiert für ein Zwei-Säulen-Modell. Dabei sollte in der zweiten Säule Platz sein für Real- und Verbundschulprofile ebenso wie für Gemeinschaftsschulen. Auch der Landeshandwerkspräsident Joachim Möhrle fordert, dass die Politik Ideologien beiseite schiebt.