Fünf Jahre Opposition hat die CDU in Baden-Württemberg gerade noch ertragen. Nun muss sie dringend wieder regieren. Andreas Müller beschreibt den Zustand der Partei sechs Wochen vor der Landtagswahl.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Es ist ein Satz, der viel über die baden-württembergische CDU aussagt. Der Ludwigsburger Landtagsabgeordnete Klaus Hermann sagte ihn vor fast drei Jahren, steht aber immer noch dazu. „Wir alle können nicht Opposition, wollen sie auch nicht können“, konstatierte Hermann. „Wir können besser regieren.“

 

Heute ergänzt er zwar, damit sei jene Art von Opposition gemeint gewesen, die alles und jedes verlange, weil sie es ja doch nie umsetzen müsse. Doch sein Befund beschreibt treffend das Selbstverständnis der Partei: Folgenloses Fordern, also Ohnmacht, passt einfach nicht zu den Christdemokraten, die sich in 58 langen Regierungsjahren an die Macht gewöhnt hatten. Bis heute erscheint es vielen von ihnen als historischer Irrtum, bedingt durch einen Atomunfall im fernen Japan, dass „ihr“ Land seit bald fünf Jahren von anderen regiert wird – ein Irrtum, den es am 13. März zu korrigieren gilt. Dann will die CDU mit Guido Wolf an die glorreiche Vergangenheit anschließen und Grün-Rot zu einer Episode in der Landesgeschichte machen.

Was die Oppositionszeit mit der CDU gemacht hat

„Opposition ist Mist“ – diesen Satz des einstigen SPD-Fraktionschefs Franz Müntefering zitierten CDU-Leute seit der Abwahl 2011 immer wieder. Oft kam er wie ein Stoßseufzer aus tiefster Seele: Man habe es sich ja nie vorstellen können, wie sich das anfühle, aber es sei noch schlimmer als befürchtet. Kaum noch Gestaltungsmöglichkeiten, fast keine Ämter mehr, keine Dienstwagen und keine persönlichen Referenten, kein zuarbeitender Ministerialapparat – es war ein Schock für die erfolgsverwöhnte einstige Staatspartei. Bis 2011 hatte sie sich vor allem über die Macht definiert, nun musste sie sich völlig neu finden.

Was hat die Oppositionszeit mit der CDU gemacht, wie hat sie die Zwangspause genutzt? Fragt man den Landesvorsitzenden Thomas Strobl, dann erzählt er die Geschichte einer Erneuerung. Abgehakt ist das unrühmliche Kapitel um Stefan Mappus, der die Macht verspielte und trotzig verkündete: „Lieber 15 Monate MP (Ministerpräsident) als gar nie MP.“ Einsame Entscheidungen wie Mappus’ EnBW-Deal sollen passé sein, heute schildert Strobl die CDU als eine lebendige Partei, die diskutiert und ihr Programm mit allen fast 70 000 Mitgliedern gemeinsam erarbeitet – natürlich kein Wahl-, sondern ein „Regierungsprogramm“. Die neue, moderne CDU will auch beim skeptischen städtischen Publikum punkten und bei den von Mappus besonders verschreckten Frauen, für die sie ein eigenes Förderprogramm („Frauen im Fokus“) aufgelegt hat. Nur wenn es um Posten ging, kamen noch immer meist Männer zum Zuge – zuletzt bei der Wahl des Landtagspräsidenten. Dafür hat Guido Wolf, der nun die Früchte von Strobls Mühen ernten soll, schon mal einen Frauenanteil von 50 Prozent im nächsten Kabinett versprochen.

Alles neu – oder nicht?

Oder ist die CDU gar nicht so neu? Steckt unter der frisch polierten Oberfläche noch viel von der alten Partei? So sehen das, natürlich, die Wahlkämpfer von Grünen und SPD, die genüsslich das Andenken an Mappus pflegen. Aber auch manche nachdenklichere Christdemokraten sind von der Modernisierung noch nicht restlos überzeugt. Wenn es klappe mit der Rückeroberung der Macht, ahnen sie, könne die Partei rasch wieder in die früheren Muster zurückfallen. Dann werde, nach einer Phase des „Überwinterns“, nahtlos an 2011 angeknüpft. Noch immer gibt es Christdemokraten, die die Abwahl als Betriebsunfall betrachten und die grün-roten Minister als „Urlaubsvertreter“, die bald wieder den Schreibtisch räumen müssen. Vor einigen Wochen war die Zuversicht da noch groß, inzwischen keimen angesichts der Flüchtlingskrise zunehmend Zweifel. Schon bangen manche um ihre Karrierepläne.

Besonders hart traf es die CDU, dass sie nach der Abwahl kaum noch Ämter vergeben konnte. Gewohnte Annehmlichkeiten wie Dienstwagen samt Chauffeur oder persönliche Referenten bot nebst dem Posten des Fraktionschefs nur der des Landtagspräsidenten. Prompt rangelten im ersten Anlauf gleich fünf Abgeordnete um das Amt. Der Sieger, Ex-Finanzminister Willi Stächele, verlor es später wieder wegen seiner Rolle beim EnBW-Deal, sein Nachfolger Guido Wolf nutzte es emsig zur Profilierung für die Spitzenkandidatur. So wurde ein freundlicher Hinterbänkler, Wilfried Klenk, unverhofft oberster Repräsentant des Parlaments. Peter Hauk konnte den Posten des Fraktionschefs zwar 2011 noch gegen Ex-Umweltministerin Tanja Gönner verteidigen, musste ihn aber voriges Jahr an Wolf abgeben.

Karrieren, die zu Ende sind

Viele landespolitische Karrieren waren mindestens unterbrochen, andere ganz beendet. Mappus und Gönner etwa blieben nicht allzu lange Abgeordnete: der eine wechselte, mit holperigem Anlauf, in die Wirtschaft, die andere an die Spitze der staatsnahen Entwicklungshilfegesellschaft für internationale Zusammenarbeit, GIZ. Immerhin zwei Jahre hielt ein einstiger Hoffnungsträger, der frühere Wissenschaftsstaatssekretär Dietrich Birk, noch im Landtag durch. Dann ergriff er die Chance, Landesgeschäftsführer beim Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) zu werden. Wieder war die mit Talenten nicht überbesetzte Fraktion um einen ministrablen Kopf ärmer. Wie Birk war auch Ex-Europaminister Wolfgang Reinhardt beim Rennen um die Landtagsspitze leer ausgegangen. Neben dem Abgeordnetenmandat – seit 2011 offiziell ein Vollzeitjob – fand der Anwalt inzwischen eine neue Bühne, als politischer Geschäftsführer beim Bundesverband Mittelständische Wirtschaft in Berlin. Für das nächste Kabinett, hört man, stehe er gleichwohl bereit. An Aspiranten mangelt es in der Fraktion freilich nicht: Mindestens jeder Zweite, wird gespöttelt, halte sich dort für regierungstauglich.

Nicht mehr kandidieren werden die Ex-Minister Heribert Rech und Helmut Rau, die ihre Jahre eher freudlos auf den Hinterbänken fristeten, aber auch der baden-württembergische Sparkassenpräsident Peter Schneider. Der Biberacher Abgeordnete machte nie einen Hehl daraus, wie unerquicklich er das Oppositionsdasein fand: Im Wahlkreis mit mehr als 50 Prozent gewählt zu sein, aber in Stuttgart kaum etwas bewirken zu können – damit könne er „nur schwer leben“, gestand Schneider einmal. Wie er litten viele Kollegen darunter, dass das bewährte Zusammenspiel mit der Regierung abrupt beendet war: Gute Nachrichten aus Stuttgart verkündeten die CDU-Parlamentarier daheim oft als Erste; die Konkurrenz konnte nur hinterherklappern. Nun waren die Verbindungen in die Ministerien jäh gekappt.

Klappt es mit der Rückeroberung der Macht, lassen sie sich freilich schnell reaktivieren. Überall sitzen schließlich noch Beamte, die zu CDU-Zeiten ge- und befördert wurden. Die Personalentwicklung gilt als eines der Erfolgsgeheimnisse der langen CDU-Regentschaft: Von der Jungen Union nach dem Studium (im Zweifel Jura) ins Ministerium, dann als Berater zur Fraktion, später eine Kandidatur als Abgeordneter – so begann manche politische Karriere. Im Großen und Ganzen zeigten sich die Ministerialen loyal gegenüber den neuen Chefs; Obstruktion blieb die Ausnahme. Manch einer, der seine Aufstiegshoffnungen zunächst begraben musste, schöpft nun indes neue Hoffnung.

Munding hofft auf den 13. März

Am erfolgreichsten wehrte sich just der Landesrechnungshof gegen einen Farbwechsel an der Spitze. Zweimal verlängerte der Präsident und einstige Chefstratege des Staatsministeriums, Max Munding (CDU), seine Dienstzeit über die Altersgrenze hinaus. In den Ruhestand geht er nun erst in der nächsten Legislaturperiode, wenn – aus seiner Sicht hoffentlich – die CDU den Nachfolger bestimmen kann. Offiziell wies er solches Kalkül stets weit von sich. Der einzige einst von der SPD vorgeschlagene Chefprüfer wurde übrigens durch einen CDU-Mann ersetzt. Einen Grünen gab es in der Chefetage der Kontrollbehörde ohnehin noch nie.

Viele Karrieren hängen also davon ab, ob Guido Wolf die CDU aus der Opposition zurück an die Macht führen kann. Gelingt ihm das, ist er auf lange Sicht der Held der Partei. Scheitert er, bliebe sein Name eine Fußnote, als tragische Figur. Nach den fünf mühsam überstandenen Jahren stünden der Partei dann wirklich schwere Zeiten bevor. Man spreche ja stets von einer Schicksalswahl, flachst der Spitzenkandidat gerne. Oft sei das übertrieben. „Aber diesmal stimmt es wirklich.“