Es war ein gewagter Vorstoß von Andreas Jung, dem Stellvertreter vom CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz: Der Konstanzer Abgeordnete schlug vor, angesichts der Ölknappheit ein befristetes Tempolimit einzuführen. „Jeder Beitrag zum Klimaschutz zählt“, sagt er. 1,9 Millionen Tonnen Kohlendioxid könnten eingespart werden. Am Sonntag wurde der Vorschlag von Merz im ZDF-Sommerinterview kassiert: „Das löst werde die ökologischen noch verkehrstechnischen Probleme.“
Nur eine Randnotiz, Jung und Merz arbeiten sonst gut zusammen. Doch die Zeiten, in denen die Südwest-CDU in der Gesamtpartei den Ton angab, sind vorbei. Das hängt mit dem Machtverlust zusammen: Früher hatte die Landespartei einen medial präsenten Ministerpräsidenten, es gab Regierungsposten in Berlin: Annette Schavan galt als Vertraute der Kanzlerin, Wolfgang Schäuble war eine Schlüsselfigur im Kabinett. Oder es gab Strippenzieher Vertraute Volker Kauder und der langjährige Landesgruppenchef Georg Brunnhuber, der später Bahn-Vorstand wurde. In der Opposition wird außer Merz kaum jemand öffentlich wahrgenommen. Zumal es den Christdemokraten aus Baden-Württemberg an bundesweit bekannten Gesichtern fehlt. Das wird auch vom politischen Gegner attestiert.: „Der Schwund an Bedeutung ist sichtbar“, sagt der SPD-Landeschef Andreas Stoch, „die CDU hat ihre Attraktivität immer daraus geschöpft, an der Macht zu sein.“
Der Landesvorsitzende ist nicht mehr Vizechef der Bundespartei
Ein weiteres Problem: Der Landesvorsitzende Thomas Strobl hat seinen Posten als Vizechef der Bundespartei an Andreas Jung abgegeben. Zwar ist er qua Amt weiterhin im Präsidium der Partei, aber ohne den Amtsbonus als Landesfürst. Andere gewichtige Präsidiumsmitglieder wie Hendrik Wüst oder Daniel Günther sind nicht nur Landeschefs, sondern regieren ein Bundesland.
Und doch darf der Einfluss der Landespartei nicht unterschätzt werden. Denn schaut man in den organisatorischen Unterbau von Partei und Fraktion, ist man recht gut vertreten. Jenseits der Generation Schäuble/Strobl sind vor allem zwei Personen wichtig: Andreas Jung (47), der seit 2005 im Parlament sitzt und sich vom Vorsitzenden der Jungen Gruppe bis zum Landesgruppenchef hochgearbeitet hat, drei Jahre war er auch Fraktionsvize. Unter Friedrich Merz wurde er Vizeparteichef – und hat sich einen Namen als Experte für Energie- und Klimapolitik gemacht. „Wir müssen definieren, wofür das C der Partei dabei steht“, sagt Jung, verweist auf das Grundsatzprogramm.
Andreas Jung und Thorsten Frei haben wichtige Posten inne
So erklärt sich auch sein Vorstoß zum Tempolimit, der in der Partei auch als eine Brücke für die Grünen gesehen wird, um im Gegenzug verlängerten AKW-Laufzeiten zuzustimmen. Der zweite Mann mit Einfluss ist Thorsten Frei (48), einstmals OB von Donaueschingen und seit 2013 im Bundestag. Auch er hat sich schnell nach oben gearbeitet – und ist als Parlamentarischer Geschäftsführer der Unionsfraktion an allen organisatorischen Fragen der Fraktion beteiligt. „Wir haben in der Opposition die Chance auf eine inhaltliche Erneuerung“, sagt er, „und eine neue Generation an Politikern, die sich etablieren kann.“ Darauf verweist auch Ex-Ministerpräsident Günther Oettinger: „Auch ein Wolfgang Schäuble hat einmal als Fraktionsgeschäftsführer angefangen.“
Zu dieser neuen Generation gehören zum Beispiel die Präsidiumsmitglieder Ronja Kemmer (33) aus Esslingen, die von der Jungen Union ins Präsidium gewählt wurde, oder der Europaabgeordnete Daniel Caspary (46) aus Karlsruhe. Nicht zu vergessen die frischgebackene Abgeordnete Christina Stumpp (34) aus Waiblingen, die zumindest auf dem Papier eine Blitzkarriere zur Vizegeneralsekretärin hingelegt hat. Auch frühere Staatssekretäre wie Thomas Bareiß, der im Bundesvorstand sitzt, oder Steffen Bilger stehen bereit. Nominell betrachtet stellt die Südwest-CDU also recht viele Posten in Partei- und Fraktionsgremien. Geborene Nachfolger mit dem Charisma von Wolfgang Schäuble oder Günther Oettinger fehlen indes. Immerhin darf die Südwest-Union darauf setzen, sich schon für Friedrich Merz eingesetzt zu haben, als dieser 2018 und 2020 Parteichef werden wollte.
Die Karten werden 2023 neu gemischt
Andreas Jung betont seinen „guten Draht“ zum Parteichef. Das gelte auch in die andere Richtung zwischen Strobl und Jung – der baden-württembergische Innenminister etwa stützt Jungs Tempolimitvorstoß. Nach dem Gasgipfel von Grün-Schwarz mit Strobls Beteiligung in Stuttgart griff Jung die Idee auf – und forderte ein solches Treffen auch in Berlin. Zum Schwur kommt es 2023, wenn in der Südwest-CDU der Landesvorsitz gewählt wird – diese Personalie könnte auch Auswirkung auf den Einfluss in Berlin haben.