Die baden-württembergische CDU wählt am Samstag in Ludwigsburg ihren neuen Vorsitzenden. Erstmals stehen zwei Bewerber zur Wahl.

Stuttgart - Wir sind gerade dabei, uns zu zerlegen." So fatal sieht ein ehemals in der Machtzentrale des Landes tätiger Christdemokrat die Lage der CDU. Der Vertrauensverlust bei der Landtagswahl vom 27. März in Baden-Württemberg ist dabei ein Moment; die Schwindel erregenden politischen Handstandüberschläge der im Bund Regierenden ein zweites.

 

Bei der Südwest-CDU kann keine Rede davon sein, dass sie die Konsequenzen ihrer historischen Abwahl vor vier Monaten vollständig erfasst hätte - geschweige denn, dass sie die neue Oppositionsrolle bereits ausfüllen würde. Immerhin macht sie jetzt einen Schnitt: Beim Landesparteitag in Ludwigsburg wird am Samstag ein neuer Landesvorsitzender gewählt.

Das war lange nicht klar. Nach seinem Scheitern als Ministerpräsident wollte Stefan Mappus auch die Bürde des Landesvorsitzes seiner Partei loswerden. Möglichst sofort. Der Plan, bereits Anfang Mai einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin zu bestimmen, musste aber aufgegeben werden. Zu groß war der Furor an der Parteibasis. Sie fühlte sich überrumpelt und hatte genug davon. Allerdings zerschlug sich auch ihr Wunsch, die neue Spitzenfigur per Mitgliederbefragung ausfindig zu machen. Das hätte zu lange gedauert, war eines der wichtigeren Gegenargumente. Im Herbst müsse die CDU auf jeden Fall personell aufgestellt sein. Dann nämlich, wenn es im Südwesten darum gehen könnte, bei einer Volksabstimmung für oder gegen Stuttgart 21 klare Kante zu zeigen.

Darum wird am Samstag entschieden.

Auch das Teufel-Lager hat gelitten

Die Union hat damit eine Chance, die Lagertheorie vergessen zu machen. Beharrlich wird die Landes-CDU in ein Oettinger-Lager - die Modernisierer - und ein Teufel-Schavan-Mappus-Lager - die Konservativen - auseinanderdividiert. Manche in der Union halten dieses Konzept freilich für überholt. Das Oettinger-Lager existiere nicht mehr, seit dieser nach Brüssel verzog und seine Gefolgsleute eigenen Interessen folgten: Peter Hauk etwa, der Fraktionschef wurde, oder Willi Stächele, der sich die Landtagspräsidentschaft sicherte.

Auch das Teufel-Lager hat gelitten. Keine seiner Leitfiguren hat im Land noch eine führende Position inne. Helmut Rau nicht, der frühere Kultus- und Staatsminister; Stefan Mappus nicht, der jüngst sogar seine Mentorin Annette Schavan scharf angriff: Sich jahrelang nicht bei Gremiensitzungen im heimischen Verband sehen zu lassen und dann ohne Absprache Schulpolitik gegen die Baden-Württemberg-Linie zu machen, das gehe nicht, so Mappus.

Persönliche Bande und auch Verletzungen mögen überdauern. Die Grundlage für die Lagerbildung freilich ist entfallen - die Machtposition. Man dürfe sich nicht zu lange an der Macht festkrallen, meinten die einen - die um Günther Oettinger. Und sie fingen an, den damals fast seit 13 Jahren amtierenden Regierungschef Erwin Teufel mürbe zu machen und letztlich zum Rücktritt zu bewegen. Die Wählerinnen und Wähler haben den Punkt auf ihre Art aufgegriffen und bei der Landtagswahl im März die Union nach 57 Jahren Machtausübung in die Opposition geschickt. Vielleicht als Chance für die Partei, sich zu sammeln.

Zwei Bewerber um den Vorsitz

Erste Ansätze einer Erneuerung sind erkennbar - in der Fläche. Nach dem Abgang von Willi Stächele als südbadischer Unionsfürst gibt es dort mit dem Konstanzer Bundestagsabgeordneten Andreas Jung einen unbefleckten neuen Bezirksvorsitzenden. Auch in Südwürttemberg wird ein Wechsel an der Spitze kommen. Der Bundestagsabgeordnete Thomas Bareiß interessiert sich für den Posten. Vielleicht löst aber die in der Warteschleife verharrende Ex-Ministerin (und Mappus-Gefolgsfrau) Tanja Gönner Andreas Schockenhoff ab und leitet ihr Comeback ein. Und auch der nordwürttembergische Spitzenkopf (und Oettinger-Gefolgsmann), der Ex-Minister Wolfgang Reinhart, hat avisiert, sein Amt abzugeben. Er will künftig in der freien Wirtschaft arbeiten. In der erst vor 40 Jahren aus vier Bezirksverbänden entstandenen Landespartei sind solche Posten durchaus wichtig.

Welches Gesicht den Wechsel an der Landesspitze verkörpern wird, weiß man am Samstagabend. Immerhin: erstmals in der Geschichte der Südwest-CDU gibt es zwei Bewerber um den Vorsitz. Thomas Strobl ist der eine, Winfried Mack der andere. Beide lösen nicht gerade Begeisterungsstürme unter den Mitgliedern aus.

Strobl, 51, ist Bundestagsabgeordneter, Chef der CDU-Landesgruppe und Schwiegersohn von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble. Der Heilbronner galt als Oettinger-Mann und wurde unter dessen Parteiführung Generalsekretär im Land. Mappus behielt Strobl aber auf diesem Posten, als er Vorsitzender wurde. Strobl bewies tatkräftige Loyalität zu Mappus, die nun aber von Nachteil für ihn sein könnte. So wird ihm der erfolglose Wahlkampf angelastet. Zudem erscheint Strobl vielen an der Basis zu eng mit der alten Parteispitze verflochten. Seine Wahl zum Landeschef wäre kein Signal des Wechsels, heißt es. Er habe zu wenig neue Ideen und eigene Ziele in den vier Regionalkonferenzen präsentiert.

Winfried Mack ist erst sehr spät gestartet

Bisher galt als Strobls Pfund, dass er die Landes-CDU herausgehoben in Berlin vertritt. Diesen Einfluss gelte es zu wahren, mahnt Strobl. Freilich ist die Südwestbasis auf Berlin derzeit nicht gut zu sprechen. Zu unvermittelt wurden die Wendemanöver von oben her eingesteuert; der Ausstieg aus dem Atomausstieg, die Aufgabe der Wehrpflicht oder jüngst der bundespolitische Bruch mit der Hauptschule. Mühsam setzt sich Strobl hiervon ab.

Der zweite Kandidat, Winfried Mack, 45, aus Ellwangen, hat es mit anderen Schwierigkeiten zu tun. Er ist erst sehr spät gestartet, hat erst kurz vor der ersten Regionalkonferenz, bei der sich Thomas Strobl als der Bewerber um den Vorsitz vorzustellen gedachte, seine Kandidatur erklärt. Da entsteht schnell der Eindruck, er sei geschickt worden. Mack sitzt seit zehn Jahren im Landtag und arbeitet daran, sein Image als imageloser Landespolitiker (und Mappus-Mann) zu korrigieren. Es sei kein Fehler, wenn man auf die Leute zugehen könne - wie er. Programmatisch ist Mack nicht sehr in Erscheinung getreten. Jüngst hat er sich für einen - dem in der Energiepolitik vergleichbaren - Kurswechsel in der Familien- und Frauenpolitik starkgemacht und damit Punkte gesammelt.

Chancen haben beide. Wer immer es wird, der neue Chef muss vor allem als Integrationsfigur gewinnen, wenn die Zerlegung nicht weitergehen soll.

Die Kennzahlen einer Volkspartei

Parteichefs: Ministerpräsidenten hatte die CDU im Südwesten sieben, Parteivorsitzende bisher erst fünf. Nach der Gründung des Landesverbandes 1971 führte ihn Karl Filbinger bis 1978. Es folgten Lothar Späth bis 1991 und Erwin Teufel bis 2005. Günther Oettinger amtierte bis 2009. Seither war Stefan Mappus der Frontmann.

Partei: Die CDU in Land hat rund 72.000 Mitglieder. Vor knapp 20 Jahren waren es schon mal fast 100.000. Nach wie vor stellt der Südwesten den zweitgrößten Verband in der Republik. Auch der Abstand zu den anderen ist groß: Die Grünen stellen jetzt den Ministerpräsidenten, haben aber nur 8500 Mitglieder, die SPD hat rund 38.000.