Trotz des Wahldebakels beharrt Bundeskanzlerin Angela Merkel auf ihrem Kurs in der Flüchtlingspolitik. In den Spitzengremien der CDU bleibt ihr ein Scherbengericht erspart. Kritik richtet sich gegen die bayerische Schwesterpartei.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Berlin - Das C spielt in der von Angela Merkel runderneuerten Christenunion nur noch eine Nebenrolle. Offenbar hat sich aber zumindest ein Rest von Frömmigkeit erhalten. Darauf deuten Erklärungsmuster für die Wahlergebnisse des Wahlsonntags hin. Welchem Umstand der grüne Sonnenkönig Winfried Kretschmann seinen Triumph in Baden-Württemberg verdanke, das lässt sich nach Ansicht von Thomas Strobl, Vorsitzender der Südwest-CDU, mit einem Satz zusammenfassen: „Er hat für Merkel gebetet.“

 

Das ist schon die tiefgründigste Wahlanalyse, die am Tag nach dem Debakel aus dem Adenauerhaus verlautet. Mit Blick auf die eigenen Verluste gebärdet sich die Partei der Kanzlerin wie eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Das beginnt mit der Chefin selbst. Sie spricht von einem „schweren Tag für die CDU“. Ihr Anteil an der Verantwortung beschränkt sich allerdings auf das Eingeständnis, dass die Flüchtlingskrise im Wahlkampf das „alles dominierende Thema“ gewesen sei und es dafür „noch keine abschließende Lösung“ gebe. Merkel ergänzt ihre milde Manöverkritik mit dem entlastenden Hinweis, in den Führungsgremien sei „nicht in Frage gestellt“ worden, dass die von ihr propagierte europäische Lösung noch etwas Zeit brauche. Von Kehrtwenden, die im Falle eines Wahlfiaskos für unerlässlich erklärt worden waren, ist nicht die Rede.

Korrekturen nur „auf kommunikativer Ebene“

Korrekturbedarf, so ein Mitglied des CDU-Präsidiums, gebe es allenfalls „auf kommunikativer Ebene“. Selbst für Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff, einen notorischen Kritiker des Merkel-Kurses, ist der Grund für die Massenflucht von CDU-Wählern zur AfD nur „ein Kommunikationsproblem“. Die Kanzlerin formuliert es so: „Wir müssen die Veränderungen in der Welt so darstellen, dass die Menschen uns folgen können.“

Ungeachtet des Misstrauensvotums der Wähler hat nach Ansicht des abgestraften CDU-Spitzenkandidaten Guido Wolf „jetzt nicht die Stunde der Schuldzuweisungen“ geschlagen. „Wir haben gemeinsam gekämpft“, sagt er mit Blick auf Merkel, „es ist unser gemeinsames Ergebnis.“ So viel zur Mithaftung der Kanzlerin. Härtere Kritik an ihrem Kurs in der Flüchtlingspolitik wird öffentlich nicht geäußert.

Kein Scherbengericht für Merkel

Auch hinter den Kulissen habe es „kein Scherbengericht“ gegeben, berichten Teilnehmer aus den Sitzungen der Spitzengremien, „keine persönlichen Attacken“, allerdings pauschale Rügen für den Versuch der Wahlkämpfer Wolf & Co, sich von der Linie der Kanzlerin abzusetzen. Ein entsprechender Vorstoß zwei Wochen vor dem Wahlsonntag sei „alles andere als hilfreich“ gewesen, habe zum Beispiel Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier bemängelt. Er habe auch die konfrontative Politik der CSU beanstandet. „Streit schadet nur“, so wird Bouffier zitiert. „Wenn die uns ruinieren wollen, sollen sie so weiter machen.“

CSU-Chef Horst Seehofer ist schon dabei. Er sieht die beiden C-Parteien vor einer „gewaltigen Belastungsprobe“. Aus München mahnt er: „Es geht schon um den Bestand der Union.“ Merkel müsse „der Bevölkerung sagen, dass wir verstanden haben“, verlangt der bayerische Ministerpräsident. „Es kann nicht sein“, so kritisiert er, „dass nach so einem Wahlergebnis die Antwort ist: Es geht alles so weiter wie bisher.“ So in etwa lassen sich Merkels Aussagen aber zusammenfassen. Für Seehofer hat sie eine schlichte Botschaft, ohne ihn namentlich zu erwähnen: Die Anhänger der Union schätzten innerparteilichen Streit nicht. Differenzen, wie sie die CSU beständig schürt, seien für konservative Wähler „immer schwer auszuhalten“. Anders als Seehofer erachtet sie die Wahlschlappe „nicht als existenzielles Problem der CDU“. Was den Umgang mit der rechtspopulistischen Konkurrenz betrifft, rät sie zu „argumentativer Auseinandersetzung“, inhaltlich aber „klarer Abgrenzung“.

Kanzlerin zufrieden, CDU-Chefin nicht

Vor dem Adenauerhaus hatten sich am Montagmorgen Demonstranten versammelt. Ihr Protest richtete sich gegen das Freihandelsabkommen mit den USA. „Wir sind der Souverän“, war auf ihren Tafeln zu lesen, „Volksentscheid“. Den gab es tags zuvor in anderer Frage. Merkel-Freunde lesen die Wahlergebnisse wie ein Plebiszit zu Gunsten der Flüchtlingspolitik der Kanzlerin. 80 Prozent der Stimmen seien so zu verstehen. Nur die Protestwähler, die bei der AfD ihr Kreuz gemacht haben, hätten sich gegen Merkel ausgesprochen. So schlicht sehen das freilich nicht alle in der CDU. Von Merkels Politik profitierte offenkundig nur die politische Konkurrenz. Die Kanzlerin selbst drückt sich diplomatisch aus. Es sei „schön, dass es gesamtgesellschaftliche Zustimmung gibt“ für ihre Flüchtlingspolitik, betont sie. In dieser Frage sei ein möglichst breiter Konsens hilfreich. Der Spagat zwischen Adenauerhaus und Kanzleramt ist nach solchen Wahlergebnissen allerdings schwierig. Merkel versichert: „Als CDU-Vorsitzende ist es nicht so, dass ich zufrieden wäre.“