Die Unternehmerin Diana Kinnert (28) betreibt eine Nachrichtenplattform für grüne Innovationen – und ist CDU-Mitglied. Sie fordert von der Union neue Konzepte, um junge Zielgruppen zu gewinnen.

Berlin - Diana Kinnert ist 28 und war Mitglied der CDU-Reformkommission unter Generalsekretär Peter Tauber. Sie ist entsetzt darüber, wie wenig ihre Partei von jungen Wählern versteht.

 

Frau Kinnert, nur noch elf Prozent der unter 40-Jährigen haben die Union gewählt. Hat die Partei dieses Ergebnis verdient?

Ja, dieser Misserfolg ist verdient. Sich darüber zu freuen, Bremen zu gewinnen und stärkste Kraft bei der Europawahl zu bleiben, suggeriert eine Zufriedenheit, die man nicht haben darf. Eine Volkspartei muss den Anspruch haben, in jede Alterskohorte und jedes gesellschaftliche Milieu hinein Bindewirkung zu entfalten. Davon sind wir weit entfernt. Bei jungen, urbanen und liberalen Milieus kommen wir nicht an. Das ist selbst verschuldet.

Offenbar verorten die jungen Wähler gerade das Thema Klimaschutz überhaupt nicht bei der Union.

Es gibt viele Zukunftsherausforderungen, die junge Menschen betreffen und mit der Union nicht verbunden werden. Da geht es um den Klimawandel und um Nachhaltigkeit, aber es geht auch um Bildungspolitik. Aspekte der Chancengerechtigkeit spielen bei der Union eine zu geringe Rolle. Stattdessen diskutieren wir in der Partei allen Ernstes, ob die Partei nach rechts rücken muss und behandeln folkloristische Themen wie Leitkultur. Sicherheit gilt in der CDU als fundamentaler Wert. Aber die eigentliche Sicherheitsfrage – nicht nur für junge Menschen – heißt: Wie kann man ein Morgen möglich machen, in dem wir leben können. So käme man zu Themen wie digitale Infrastruktur, Chancengerechtigkeit in der Schule, Weiterbildung und demografischer Wandel, saubere Energie und nachhaltiges Bauen. Ich bin in die Union eingetreten, weil die soziale Marktwirtschaft immer offen und liberal ist und Innovationen willkommen heißt. Davon hat sich die Union ein gutes Stück entfernt.

Beim Klimaschutz steht die Union ja nicht blank da – siehe Atomausstieg. Aber was immer sie sagt, kommt in den von Ihnen benannten Milieus gar nicht mehr an.

Die Union macht oft nicht lesbar, warum sie manchmal so zögerlich wirkt. Sie muss besser erklären, warum sie zum Beispiel gegen eine einfache CO2-Steuer ist, weil die nämlich gerade die Schwachen in der Gesellschaft trifft. Es entsteht das falsche Bild, die CDU wolle irgendwelche Alt-Lobbyisten schützen. Aber es reicht auch nicht, Vorschläge etwa der Grünen nur abzulehnen. Wir brauchen pragmatische Alternativen, die wir erklären.

In einem Blogbeitrag haben Sie geschrieben: „Nicht das Handeln, das Unterlassen ist reaktionär.“

Konservativ sein heißt für mich, auf Verlässlichkeit und Stabilität zu setzen, weil das die Voraussetzungen für sozialen Frieden sind. Mit dem Klimawandel droht die Vernichtung ganzer Landstriche, die Zerstörung von Heimat, der Anstieg von epidemischen Krankheiten und das Entstehen riesiger Flüchtlingsströme. Konservativ sein heißt, das nicht zuzulassen. Es hinzunehmen ist reaktionär.

Die Antworten der CDU auf das Video des Youtubers „Rezo“ zeigten, dass die Union den Ton nicht getroffen hat.

Nichts wird dadurch besser, dass die Partei nun fünf Youtuber ins Adenauerhaus holt, die den Jugendslang drauf haben. Das größte Versäumnis liegt darin, dass die CDU eine alte Partei ist, die habituell die Jugend einfach nicht widerspiegelt. Hätten wir automatisch junge Mitglieder und Politiker, fände die Partei auch den Ton. Aber wenn sie fehlen, kann man diesen Mangel nicht dadurch überspielen, dass man so tut als ob. Die ungeschickten Rezo-Reaktionen waren eben nicht nur ein kleines Kommunikationsdebakel, das man schnell auch wieder ausbügeln kann. Die CDU muss insgesamt ihre Strukturen so ändern, dass sie für junge Leute einladend ist. Sie muss aber eben auch bereit zu einer jugendkonformeren und liberaleren Politik sein. Paternalistische Beschwichtigungen per Youtube sind abwegig. So waren aber leider unsere Antworten. Die jungen Leute wollen einen Dialog auf Augenhöhe.

Welche Angebote wären denn attraktiv für junge Menschen?

Junge Leute wollen sich punktuell in Kampagnen engagieren, themenspezifisch arbeiten. Dabei wollen sie das Internet nutzen und digitaler arbeiten. Was sie stört ist das Hierarchiedenken in den Parteien und der Anwesenheitszwang in den Sitzungen der Kreisverbände. Vor allem aber finden junge Leute dieses dauernde Abgrenzen in Links und Rechts abstoßend. Das trifft nicht die Geisteshaltung junger bürgerlicher und liberaler Menschen. Die können gleichzeitig mit FDP und Grünen in einem Boot sitzen, wenn es um technische Innovationen geht, und sie können auch mal der SPD zustimmen, wenn es um eine Arbeitsmarktreform geht. Dieses alte Denken in Blöcken ist überholt. CDU gleich rechts, Grüne gleich links – das ist Quatsch. Wenn etwa der CDU-Bundestagsabgeordnete Marco Wanderwitz die Youtuber pauschal als linke Aktivisten bezeichnet, dann hat er nichts verstanden.

In den von Ihnen angesprochenen städtischen Milieus kommt die Union auch nicht mehr gut an. Warum?

Wir haben in der Union das uralte Problem, dass der Köder nicht dem Angler schmecken muss, sondern dem Fisch. Wir transportieren natürlich das Gesellschaftsmodell nach außen, das wir in unserer eigenen sehr homogenen Mitgliedschaft vorfinden. Aber die ist eben nicht typisch für ein ganzes Land, erst recht nicht für die Städte. Dort gibt es eben zahlreiche verschiedene Lebens- und Beziehungsmodelle, Orientierungen und vielerlei Minderheiten. Das spiegelt sich in der Partei personell und habituell und programmatisch nicht wieder. Es reicht eben für die Union nicht, nur die eigene Mitgliedschaft zu bespaßen. Wir brauchen mehr Diversität.

Stattdessen gibt es in der CDU eher die Debatte, den konservativen Markenkern zu stärken.

Wahlen werden in der Mitte gewonnen, nicht am rechten Rand. Das zeigen doch auch die aktuellen Zuwächse der Grünen. Wer rechts blinkt, verstärkt nur die Narrative der Rechten. Abgesehen davon glaube ich nicht, dass man AfD-Wähler mit AfD-Politik glücklich macht. Das Beschwören erzkonservativer Sicherheitsbilder bringt keine konstruktiven Lösungen. Deshalb orientiere ich mich nicht daran.