In der Landes-CDU heulen sie nicht mehr mit dem Leitwolf, sondern aus Verzweiflung. Die Situation wird immer ungemütlicher für Guido Wolf. Wird der CDU-Spitzenkandidat das Opfer eines politischen Königsmords?

Stuttgart - Als sich Guido Wolf vor einer Woche als Vorsitzender der CDU-Landtagsfraktion bestätigen ließ, wertete er dieses für ihn erfreuliche Ereignis in einer Pressemitteilung erstens als Vertrauensbeweis nach einer „schwierigen Landtagswahl“ und zweitens als Auftrag „als Verhandlungsführer in die anstehenden Gespräche über die Bildung einer neuen Regierung für Baden-Württemberg zu gehen“. Folgerichtig lief Wolf bereits anderntags neben Landesparteichef Thomas Strobl an der Spitze einer CDU-Delegation im Stuttgarter Haus der Architekten ein, um dort ein erstes Sondierungsgespräch mit dem Wahlsieger Winfried Kretschmann zu absolvieren.

 

Für Wolf verlief alles nach Plan. Geschlossenheit gilt in der CDU schon immer als hohes Gut. Wer sollte ihn also hindern, den Landesverband in die nächste Landesregierung – wie immer diese konfiguriert sein würde – zu führen? CDU-Landeschef Strobl laboriert entgegen seinen Beteuerungen immer noch an dem Trauma, das seine Niederlage gegen Wolf im Kampf um die Spitzenkandidatur hinterließ. Jedenfalls lässt der Chef der CDU-Landesgruppe im Bundestag keinerlei Ambitionen auf eine Ganztagsbeschäftigung in Stuttgart erkennen. Sollte er solche dennoch hegen, dann handelte es sich bei Strobl um einen ganz ausgebufften Politprofi, der es glänzend verstünde, aus seinem Herzen eine Mördergrube zu machen.

Frage: Also heulen in der CDU alle mit dem Leitwolf Guido?

Antwort: Es heulen immer mehr, aber nicht für Wolf, sondern aus Verzweiflung.

Tage des Nachdenkens

Es bedurfte einiger Tage des Nachdenkens und Nachschmeckens, um in der CDU eine Debatte über die Verantwortlichkeiten für das Wahldesaster einzuleiten. Die Nonchalance, mit welcher der Spitzenkandidat über die Pleite hinwegging, stand der Unerschütterlichkeit, mit der die Bundesvorsitzende Angela Merkel das Ergebnis quittierte, in nichts nach. Wolf, so schien es, bezog sein Selbstbewusstsein aus der Schuldzuweisung für die Niederlage an die Kanzlerin, und diese wiederum konnte sich damit trösten, dass schließlich ihr engster Mitarbeiter im Südwesten die Wahl gewonnen hatte: Winfried Kretschmann.

Inzwischen aber wird die Lage für Wolf ungemütlich. Die Vorwürfe mehren sich. Wie lauten sie? Erstens habe der Spitzenkandidat Schaden angerichtet, als er sich im Wahlkampf von der Kanzlerin absetzte. „Wenn er Angela Merkel mit der gleichen Leidenschaft verteidigt hätte wie Kretschmann, lägen wir vor den Grünen“, sagt ein Abgeordneter. Zweitens habe er es an Demut fehlen lassen, wie die Auftritte am Wahlabend und danach gezeigt hätten. Drittens sei es zwar richtig, Grün-Schwarz zu verhandeln; dies aber nicht mit Wolf, der im Wahlkampf zwar Schwarz-Grün befürwortet, Grün-Schwarz aber ausgeschlossen habe. Die Wähler hätten dies als Machtarroganz bewertet. Ein Mitglied des Landesvorstands sieht dies so: „Er hat Grün-Schwarz abgelehnt, wie kein anderer, dann kann er jetzt nicht unter das grün-schwarze Mäntelchen schlüpfen.“

Es fehlt ein Gravitationszentrum

Wolf wankt, aber er fällt er auch? Zum Königsmord fehlt jedenfalls eine Voraussetzung: der Königsmörder. Das zeigen schon die Namen, die bei Nachfrage zögerlich und eher gequält aus den Kulissen gehaucht werden. Etwa jener von Thorsten Frei, des vormaligen Oberbürgermeisters von Donaueschingen, der ob seines entschlossenen Lächelns gern als „Kennedy von der Baar“ bezeichnet wurde. Allein: der Bundestagsabgeordnete managte den Landtagwahlkampf; Wolfs Niederlage ist auch die Seine.

Oder Annette Widmann-Mauz. Die Berliner Staatssekretärin und Bundesvorsitzende der Frauen Union erfüllt ein Kriterium, das der Landesvorstand der Frauenunion für die Besetzungsliste einer künftigen Landesregierung aufstellte, nämlich „das höchste von der CDU zu besetzende Amt einer Frau anzuvertrauen“.

Auch der Name des Böblinger CDU-Bundestagsabgeordneten Clemens Binninger fällt. Binninger, Vorsitzender des zweiten NSU-Untersuchungsausschusses des Bundestags, gilt indes als Anwärter auf das Innenministerium, weniger als Anführer einer CDU-Regierungstruppe. Aus der Jungen Union ertönen harsche, gegen Wolf gerichtete Töne – die Ludwigsburger Jungunionisten fordern nach der „dilettantischen Landtagswahlkampagne“ dessen Rücktritt, JU-Landeschef Nikolas Löbel betont Strobls Führungsrolle –, doch auch der Nachwuchs nennt keinen Retter respektive keine Retterin. Also doch Strobl? Über ihn heißt es, er habe den Auftrag der Kanzlerin, eine arbeits- und regierungsfähige grün-schwarze Landesregierung ins Amt zu bringen, um ihr den Rücken im Bundesrat freizuhalten. Strobl-Fans sagen, ihr Favorit habe bis jetzt jedenfalls nicht ausgeschlossen, doch in die Landesregierung zu gehen. Die Diskussion dreht sich im Kreis. Der CDU fehlt ein Gravitationszentrum. „Es ist etwas irre, was da läuft“, sagt einer aus dem Parteivorstand.