Angela Merkel kündigt ihren Rückzug auf Raten an - nicht nur in Deutschland ist das Medienecho groß. Die internationale Presse sieht vor allem die Trennung von Parteispitze und Kanzlerschaft kritisch.

Berlin - Die „letzte Gelegenheit“ oder das Verpassen eines „glanzvollen Abgangs“? Angela Merkels angekündigter Rückzug von der CDU-Spitze ist auch im Ausland ein großes Kommentarthema in den Zeitungen. Viele Kommentatoren erwarten unsichere Zeiten für die deutsche Politik.

 

Die britische „Times“ spricht von Instabilität in der Bundesrepublik:

„Ihr langer Abschied - angekündigt, nachdem ihre Partei in landesweiten Umfragen abgesackt ist und bei den Wahlen in Hessen Prügel bezogen hat - läutet eine Periode der Instabilität in der größten Volkswirtschaft Europas ein. (...) Der Machtkampf um ihre Nachfolge als Parteivorsitzende - sowie als Regierungschef - wird wahrscheinlich chaotisch. Innerhalb von wenigen Minuten nach ihrer Erklärung meldeten sich bereits drei Anwärter.“

Die russische Tageszeitung „Iswestija“ schreibt:

„Was Merkel anbetrifft, ist die Entscheidung wohl der notwendige Kompromiss, um ihr für die kommenden Jahre den Posten der Kanzlerin zu sichern. Denn es folgte sogleich die Ankündigung, dass sie bei der Wahl 2021 nicht mehr kandidieren wird. Mit anderen Worten, Merkel hat ihr Angebot in einem politischen Handel gemacht: Sie gibt die Parteiführung ab und tritt bei der Wahl nicht mehr an und bekommt dafür, dass sie die Wahlperiode als Kanzlerin beenden darf.“

Der Schweizer „Tagesanzeiger“ sieht in der Ankündigung Merkels Rettung in letzter Minute:

„Es war die wohl letzte Gelegenheit, bevor ihre Kritiker beim Parteitag Anfang Dezember vielleicht zum Sturz des Denkmals aufgerufen hätten. Anders als Konrad Adenauer und vor allem Helmut Kohl kam Merkel damit einem demütigenden politischen Ende knapp zuvor.“

In der niederländischen Zeitung „de Volkskrant“ heißt es dazu:

„Merkel gibt den Parteivorsitz bestimmt nicht aus freien Stücken ab. Aber ihre Entscheidung ist keine Panikreaktion. Es ist ein letzter Versuch, nach vorn zu schauen und ihrer Partei den erforderlichen Freiraum für eventuelle vorgezogene Neuwahlen zu verschaffen. Nach 18 Jahren hält die angeschlagene „Mutti“ Merkel ihre Kinder für erwachsen genug, um über die Zukunft der Partei zu bestimmen - und sie nimmt in Kauf, dass sich dabei eines ihrer Kinder als Muttermörder entpuppen könnte.“

Die „Neue Zürcher Zeitung“ hingegen ist sich sicher:

„Die Kanzlerin hat mit ihrem Entscheid, weiterhin am Kanzleramt festzuhalten, die Chance eines glanzvollen Abgangs endgültig verpasst. (...) Der Verzicht auf das Parteiamt ist ein Blitzableiter. An der neuen Person an der Parteispitze und an den Kämpfen um die nächste Kanzlerkandidatur sollen sich in den kommenden Jahren die Medien und die politische Konkurrenz innerhalb und außerhalb der Partei abarbeiten, während die Grand Old Lady im Kanzleramt noch drei Jahre lang weiter die Fäden zieht.“

„Die Presse“ aus Österreich erinnert an Merkels eigene Worte vor einigen Jahren:

„Die Trennung von Kanzlerschaft und Parteivorsitz ist ein fataler Fehler. Sie bedeutet einen „Autoritätsverlust auf ganzer Linie“ und den „Anfang vom Ende“ einer Kanzlerschaft. Es ist eine brutale Analyse. Sie stammt von Angela Merkel, aus dem Jahr 2004. Parteivorsitz und Kanzlerschaft gehören zusammen: Das war ein ehernes Prinzip der deutschen Regierungschefin. Sie wiederholte es immer wieder.“

Der britische „Guardian“ findet, dass Merkel an der Flüchtlingspolitik gescheitert ist:

„Die wirtschaftliche Stärke ihres Landes hat vielen Deutschen Belastungen erspart, unter denen andere Nationen zu leiden hatten. Doch die Flüchtlingskrise des Jahres 2015 - zu der sie eine liberale und pragmatische Haltung einnahm - brachte Konsequenzen mit sich, die sie nicht gemeistert hat. Ihr Nachfolger wird bei der bedeutenden Aufgabe, unserem verängstigten Kontinent wieder Zuversicht zu geben, aus ihren Stärken ebenso wie aus ihren Schwächen lernen müssen.“

Die belgische Zeitung „De Standaard“ sieht mit Merkels Ankündigung keine Entspannung auf die deutsche Politik zukommen:

„Es ist fraglich, ob Merkel all die Probleme lediglich mit Übergabe des Parteivorsitzes plötzlich lösen kann und dann damit anfängt, „tatkräftig“ zu regieren. Die Kritik innerhalb der Partei wird nicht plötzlich aufhören, nur weil ein neuer Vorsitzender gewählt wird. Die Koalition mit einer SPD, die vielleicht noch schlechter dasteht als CDU und CSU, ist brüchig. (...) Und wenn Merkel als CDU-Vorsitzende zurücktritt, sollte nicht auch Horst Seehofer das in der bayerischen CSU tun?“