Bei den Salzburger Pfingstfestspielen hat Cecilia Bartoli als Händels Alcina bezaubert – neben ihr glänzen Philippe Jaroussky und Sandrine Piau.

Salzburg - Alcina ist eine starke Frau. Eine Zauberin. Männer, die es auf ihre Insel verschlägt, verwandelt sie in Steine oder Tiere. Händels Oper von 1735 steht in diesem Jahr im Mittelpunkt der Salzburger Pfingstfestspiele, aber schon, wenn deren künstlerische Leiterin Cecilia Bartoliin der Titelpartie ihre erste Arie singt, ist von Stärke kaum etwas zu hören. Das „Di‘, cor mio“ Alcinas klingt, vor allem wenn in barocker Arien-Manier der erste Teil am Ende nochmals ertönt, schon nach einem Ende: nach Schwäche, Verlust, Verzweiflung, Tod. Am Schluss des dritten Aktes, nachdem ihr letzter Geliebter ihren großen Spiegel zertrümmert hat, wird die Titelheldin von „Alcina“ im Salzburger Haus für Mozart ohne Kleid und Perücke starr auf dem Bühnenboden liegen; aller wirkungsvoller Tanz- und Video-Zauber ist dann vorbei, und auf der leeren Bühne wagen die restlichen Personen unter großen Spiegelscherben, die glitzernd vom Schnürboden hängen, vorsichtig und unsicher Abschied und Aufbruch.

 

Seit 2012 (und, wie aktuell bekannt wurde, bis mindestens 2026) leitet Cecilia Bartoli die Salzburger Pfingstfestspiele, die erst ein (von Herbert von Karajan initiiertes) verlängertes Oster-Konzertfestival waren und seit gut zwanzig Jahren eine Heimat für die Oper, besonders die barocke, geworden sind. Vor zwei Jahren ist die Sopranistin auf hinreißende Weise in die Hosenrolle von Händels „Ariodante“ geschlüpft, und nun singt sie dessen Alcina so, wie nur sie sie singen kann: mit einer zwar kleinen, aber extrem sauber und koloratursicher geführten Stimme, die vor allem in den Feinstschattierungen des Leisen zu Hause ist und die Arien wie das (hier an den Schluss gestellte) „Mi restano le lagrime“ zu intimen Schauplätzen großer Gefühle macht. Allein für das ergreifende „Sì, son quella“ lohnt die Wiederbegegnung mit einer Sängerin, die trotz ihrer mittlerweile 53 Jahre wie keine andere Technik und Ausdruck zusammenbringt.

Die Tatsache, dass ihre Höhe, wenn sie laut sein muss, oft scharf wirkt, verbindet Cecilia Bartoli mit Philippe Jaroussky. Bei diesem Countertenor ist das typische Zickige seines Stimmfachs in oberen Regionen allerdings deutlich ausgeprägter. Wenn Jaroussky, als Ruggiero unsicher hin- und hergerissen zwischen zwei Frauen, im Bereich des Leisen bleiben darf, vernimmt man allerdings einen empathischen, agilen Gestalter mit Empathie, Geschmack und einem ausgeprägten Sinn für die textnahe Formung von Phrasen und Klängen. Sandrine Piau als Morgana ergänzt das Terzett der prominenten Stimmen mit intensiver Bühnenpräsenz wie mit virtuos geführter Stimme – spätestens mit ihrer hingebungsvoll gesungenen Arie „Ama, sospira“ erobert sie die Herzen eines Publikums, dessen ausgeprägte Beifallfreude oft schon (nervig!) in die Schlusstöne der Nummern hinein tönt.

Ein Wiener Sängerknabe singt den vaterlosen Oberto

Für zusätzlichen Zauber sorgt ein Wiener Sängerknabe – nicht nur, weil Sheen Park einen strahlenden, sicher geführten Sopran hat, sondern weil die (ungewöhnliche!) Besetzung des vaterlosen Oberto mit einem Knaben etwas sehr Berührendes (und Logisches!) hat. Außerdem verweist der Knabe auf das Thema des diesjährigen Festivals: An die Musik großer Kastraten des 18. Jahrhunderts erinnerten neben der szenischen „Alcina“ Konzerte sowie eine konzertante Oper von Nicola Porpora, und Sheen Park wäre bei seiner Begabung im 18. Jahrhundert gewiss ein Opfer des legendären „Messerchens“ geworden.

Gut singen auch Kristina Hammarström (Bradamante) und Alastair Miles (Melisso); der unsichere Christoph Strehl als Oronte fällt dagegen stark ab. Gianluca Capuano beweist am Pult des Barockorchesters Les Musiciens du Prince-Monaco einen ausgeprägten Sinn für klangfarblich raffiniertes und dynamisch differenziertes Sängergeleit wie für dramatisch aufgeraute Instrumentalstrecken (in der Ballettmusik). Eine stärkere Differenzierung der Tempi wäre manchem Sänger und mancher Arie ebenfalls entgegengekommen.

Der Bühnenbildner Paolo Fantin hat die Drehbühne mittig mit einer Wand in zwei Teile getrennt – mal ist sie Projektionsfläche für Slow-Motion-Video-Assoziationen über verzauberte Männer und Natur, mal trennt sie Spiel- und Traumebene. Zu sehen ist das Hotel Alcina mit Hausdame (Morgana) und Oberkellner (Oronte), aber das Etablissement ist nur der Hintergrund, vor dem der Regisseur Damiano Michieletto die Figuren sensibel in der Schwebe hält und auf vielfältige Weise zueinander oder wieder voneinander wegführt. Viele intensive Momente sind so bei den langen Arien zu erleben, manches schöne, sprechende Bild findet sich auf beiden Seiten der rotierenden Bühne. Eine nicht spektakuläre, aber feine Inszenierung, die vor allem eines ist: eine Plattform für ein exzellentes Sängertrio und für eine der packendsten Opern, die Händel komponiert hat.

„Alcina“ ist nochmals bei den Salzburger Festspielen im Sommer zu erleben: am 8., 10., 13., 16. Und 18. August.