Lange schon träumte Cecilia Bartoli davon, einmal als Maria die Ohrwürmer von Leonard Bernsteins „West Side Story“ zu singen. Das erste Musical im Opern-Mekka Salzburg kam gut an, aber die Mezzosopranistin selbst blieb darin ein Fremdkörper.

Salzburg - Auftritt des Intendanten. Unruhiges Raunen im Saal. Die Sängerin ist krank, sagt der Intendant. Hat sich das Bein gebrochen, den Hals verrenkt, kann heute also leider nicht spielen. Enttäuschtes Raunen im Saal. Der Intendant aber lächelt. Die Diva, sagt er (beglücktes Raunen im Saal), lässt uns natürlich nicht im Stich, sie wird von der Seite singen, und . . . (der Name der einspringenden Regieassistentin bleibt unverständlich) wird an ihrer Stelle auf der Bühne spielen. Applaus!

 

Derartige Szenen sind dem gemeinen Operngänger immer mal wieder begegnet, und er kann sie jetzt auch in Salzburg erleben. Allerdings muss er sich dazu in die populären Niederungen des Musicals begeben, und eine Ansage des Intendanten kann es schon deshalb nicht geben, weil der Intendant hier weiblich ist und selbst von der Seite singt. Außerdem ist die Zweiteilung der prominenten Frauen-Partie beim Eröffnungsabend der Pfingstfestspiele Konzept. Zwar sieht Cecilia Bartoli, wenn sie auf der Bühne mal das Tanzbein schwingt, noch ziemlich klasse aus, aber den verliebten Teenager nimmt man der in wenigen Tagen 50-Jährigen dann doch nicht mehr ab, und musicalquirlig bewegt sie sich auch nicht mehr.

Die Diva sitzt betroffen am Rand

Der Regisseur Philip Wm. McKinley hat aus dieser Not eine Tugend zu machen versucht, indem er Leonard Bernsteins „West Side Story“ als schlichten Rückblick inszenierte: In einem stummen Vorspiel sehen wir die Mezzosopranistin, wie sie im Obergeschoss einer zweistöckigen Stahlkonstruktion in einem Brautmodengeschäft arbeitet. Sie erinnert sich – und die Stahlwand schiebt sich auseinander, gibt den Blick frei auf die beiden rivalisierenden Teenagerbanden, die sich in den kommenden zweieinhalb Stunden vor vollgesprayten Graffitiwänden bekämpfen werden.

Cecilia Bartoli selbst wird 95 Prozent dieser Zeit betroffen am Rande sitzen oder ihrem jungen zweiten Ich Michelle Veintimilla folgen wie ein Schatten. Was sie singt, ist nicht viel, findet vor allem im Duett und im Ensemble statt, ist aber auf ohrwürmelnde Weise schön. Die Mikrofonierung kommt der eher kleinen Stimme der Sängerin entgegen, und der anfängliche Eindruck, dass die Bartoli mit ihrer edlen Kunst der Vokal-Abtönung und ihrer hohen technischen Souveränität für die Maria überqualifiziert ist, verflüchtigt sich mit der Zeit. Außerdem muss man sich daran erinnern, dass der Komponist selbst bei Aufführungen der „West Side Story“ Opernsänger bevorzugte.

Dass die Salzburger Maria künstlicher wirkt, als sie wirken sollte, und das Musical hybrider, als es ihm guttut, liegt an der Trennung von Körper und Stimme, Gesang und Aktion, die dem Musical nicht entspricht – und die sich zudem an den exzellent gecasteten Ensembles, vor allem an deren rasanten und minuziös einstudierten Tanzszenen (Choreografie: Liam Steel) reibt. An Norman Reinhardt als Tony reibt sich Cecilia Bartoli weniger, aber der kommt ebenfalls von der Oper, muss wenig tanzen, schmust eher mit der jungen Maria und singt sich immer besser ein.

Die Musik zündet nach wie vor

Am Ende, nachdem er (wie Romeo in Shakespeares Schauspiel-Vorlage zum Musical) seinen Tod selbst eingefordert hat, taucht Tony nochmals auf, stellt sich neben die zurückblickende ältere Maria. Glaubt man der Regie und dem vom Band eingespielten lauten Quietschen von Bremsen, dann hat sich diese, obwohl Bernstein sie in seinem Stück eigentlich davonkommen ließ, gerade vor einen Zug geworfen – was das abschließende „Irgendwann, irgendwo, irgendwie“ noch ein wenig utopischer wirken lässt als ohnehin (und auch ein wenig kitschiger).

Der Song heißt natürlich nicht „Irgendwo“, sondern „Somewhere“, es wird auf Englisch gesungen und (sehr amerikanisch) gesprochen; Verständlichkeit setzen die Macher voraus, verzichten also auf Übertitel, wie sie das Opernpublikum gewohnt ist. Manche der langen Sprechstrecken wirken sehr lang. Aber die Musik selbst hat seit ihrer Uraufführung 1957 nichts an Lebendigkeit und Wirkung eingebüßt. Zumindest nicht jetzt in der Salzburger Felsenreitschule, denn dort steht der Mann am Pult, der bei dieser Produktion alle in ihn gesetzten Erwartungen vollends einlöst. Gustavo Dudamel verleiht gemeinsam mit dem venezolanischen Simón Bolívar Symphony Orchestra den Hits von „America“ über „Maria“, „I Feel Pretty“, „Officer Krupke“ und „Tonight“ bis hin zu „One Hand, One Heart“ glänzende Politur, und vor allem in den zahlreichen Stücken, die auf lateinamerikanischen Rhythmen fußen, muss man glatt Angst haben, dass es den temperamentvollen Dirigenten von seinem Pult weg auf die Bühne treiben könnte. Wäre schon dumm, wenn er sich da beim Tanzbeinschwingen verletzte. Der Dirigent, müsste die Intendantin dann ansagen, hat sich das Bein gebrochen, den Hals verrenkt. Deshalb muss die Vorstellung ausfallen, und wissen Sie was: Kommen Sie einfach nächste Pfingsten zu Händels „Ariodante“ wieder, da schaffen wir’s auch ohne Dudamel.

„West Side Story“ ist wieder bei den Salzburger Festspielen am 20., 21., 23., 25., 27. und 29. August zu erleben.