Trüffelpizza, Champagner und fliegende Servietten: Unterwegs zwischen H’ugo’s, Amici und Cavos. Eine Champagnerreportage im Herzen der Stuttgarter Schickeria samt Beobachtungen zu deren unerfüllter Sehnsucht nach München.

Freizeit & Unterhaltung : Ingmar Volkmann (ivo)

Stuttgart - Als Prominenter hat man es in Stuttgart nicht leicht. Das gastronomische Angebot, das dem Stande eines VfB-Profis angemessen wäre, beschränkt sich auf ein Bermudadreieck in Bahnhofsnähe. Zwischen den Lokalen H’ugo’s – nur echt mit den zwei falschen Apostrophen und als Herausforderer derzeit der Star der Schickeria –, dem Partygriechen Cavos und dem Dauerbrenner Amici befindet sich das Areal der Reichen und Schönen, in dem man sich ausschließlich von Champagner ernährt. Also fast. Ein stark perlender Rundgang.

 

H’ugo’s: Abluftrohre für den Trüffel

Der Maserati mit dem H’ugo’s-Logo parkt direkt vor dem Eingang. Der Blick schweift über den nächsten Porsche hinweg in Richtung Hauptbahnhof. Für einen kurzen Moment könnte man meinen, Stuttgart sei eine Großstadt, mit hell erleuchteten Kränen über Verkehrschaos am späten Freitagabend, einem Bahnhofs-Torso, der durch den Mond morbide in Szene gesetzt ist. In dessen Vordergrund leuchten jede Menge blaue Rohre, die wahrscheinlich nur dazu dienen, den penetranten Trüffelgeruch aus dem H’ugo’s und aus dem Kessel zu pusten.

Es sind spektakuläre Kleider anwesend oder wenigstens Teile von Textilien, die nur wenige Stellen weiblicher Körper bedecken und dabei teilweise goldener als barocker Christbaumschmuck glänzen. Früher war mehr Lametta? Sie waren noch nie im H’ugo’s. Zwischen den Tischen verteilt Romulo Feliciano Kuranyi – von Beruf Bruder – Küsschen an ausgewählte Gäste. Kuranyi Junior ist der Geschäftsführer des H’ugo’s, das er dem Vernehmen nach mit dem Geld eröffnet hat, das sein Bruder bei Dynamo Moskau mit Toren erwirtschaftet hat.

Stuttgarter Faible für Münchner Konzepte

Das Konzept ist der neueste Export-Schlager aus München, nachdem vor drei Jahren bereits der Partygrieche Cavos begleitet von einer Busladung Stammgäste aus der bayerischen Landeshauptstadt in Stuttgart gelandet war. Woher kommt die Stuttgarter Faszination für Konzepte aus München? Es scheint hier in einem bestimmten Klientel einen Minderwertigkeitskomplex zu geben, der den ein oder anderen Schwaben von bayerischer Extravaganz träumen lässt. Von der kollektiven Oktoberfest-Verkleidung zum Wasen wollen wir an dieser Stelle gar nicht anfangen.

Erfunden hat das H’ugo’s-Konzept Ugo Crocamo. Der Wirt hat einst als Sandwich-Maker in der Münchner Promi-Disco P1 angefangen, ehe er dort seine gefürchtete Trüffelpizza erfunden hat, mit der er sich schließlich in seinem eigenen Lokal selbstständig machte. Die Promi-Gäste aus dem P1 folgten ihm in sein erstes eigenes Lokal, allen voran der Bayern-Spieler Frank Ribéry. So konnte die Trüffel-Pizza zum Synonym für Dekadenz werden, nach der scheinbar auch in Stuttgart gelechzt wird – siehe oben. Leider gibt es in Stuttgart rund zehn Lokale, die eine bessere Pizza backen. Leider trifft der Spruch „viel hilft viel“ auf die Trüffel-Idee nicht zu. Und leider ist der Service genauso wenig eindrucksvoll wie die Inneneinrichtung, bei der auch im Jahr 2015 noch Kaminfeuer auf Flachbildschirmen brennen darf. Wir brennen auf einen Ortswechsel.

Amici: weniger los, aber gastronomisch besser

Das verbindende Element von H’ugo’s und Amici ist der penetrante Geruch. Hier riecht es nach Käse. Damit haben die Gemeinsamkeiten aber schon ein Ende. Das Amici übertrifft das Lokal mit den zwei seltsamen Apostrophen gastronomisch um Längen. Kein Wunder, kocht hier mit Russell Pirrit doch eine ausgewiesene Granate. Pirrit hatte im Lokal 5 an der Bolzstraße einen Stern erkocht, in der offenen Küche des Amici zeigt er bei der euroasiatischen Küche zwischen Thunfisch und Babyspinat, was er kann.

Man könnte sich im Amici also vielleicht wohlfühlen, würde das Lokal nicht aussehen wie eine Mischung aus Sparkassen-Akademie und voll verglastem Autohaus. Die Parabolspiegel-artigen Elemente, die wie Damoklesschwerter über den Tischen hängen, sollen die Raumhöhe erträglicher machen. Der wirklich ausgesucht freundliche und fähige Service – auch hier ein klarer Punktsieg gegenüber dem H’ugo’s – muss auf dem Rücken das aufdringliche W der Betreiber-Familie Wilhelmer tragen, das ein wenig aussieht wie das Wappen eines Adelsgeschlechtes – und zwar kein verarmtes. Ein Stuttgarter Berater, der sich im Bermuda-Dreieck der Reichen und Schönen bestens auskennt, erzählt gerne von seinem letzten Besuch in Wilhelmers Loge in dessen Festzelt Schwabenwelt auf dem Wasen. „Heute Abend musst du dich ranhalten“, sagte Wirt Michael Wilhelmer laut dem Berater, „auf deinem Platz hat gestern Abend einer für 32 000 Euro Champagner bestellt“.

Metrosexuelle Irokesenfrisur ist en vogue

Das schaffen wir Spesenritter bei unserem Besuch nicht mehr ganz, was auch an den Rahmenbedingungen des vorzüglichen Essens liegt. Die Beleuchtung wird beim Hauptgang zu einem Disco-kompatiblem Schwarzlicht, der Café-del-Mar-Sampler 48 wird von dezent auf aufdringlich hochgefahren. Wir stellen anerkennend fest, dass am Nebentisch der David-Beckham-Gedächtnis-Look, die metrosexuelle Irokesenfrisur, noch en vogue ist. Während es im H’ugo’s allerdings gerammelt voll ist an diesem Abend, ist das Amici nicht einmal zur Hälfte gefüllt. „Herr Wilhelmer hätte das Lokal umbenennen sollen, als er es übernommen hat“, sagt der Vertreter einer Getränkemarke. Welche Auswirkungen das H’ugo’s auf das Cavos hat?

Cavos: es ist voll und riecht trotzdem gut

Scheinbar keine. Der Partygrieche ist gerammelt voll. Wir kämpfen uns bis zum Büro des Lokals vor, in dem Hiki Shikano Ohlenmacher wartet, Mitglied der Geschäftsleitung, den alle nur Hiki nennen, was schade ist, weil der volle Name ein kleines Kunstwerk ist. Hiki hat früher das Amici mitgeleitet. Neben ihm sitzt Florian Faltenbacher, der das Konzept Cavos einst in München erfunden hat. Auf dem Computer-Monitor wird der Reservierungsplan des Abends angezeigt, mit Kommentaren zu den Gästen, die reserviert haben – zum Beispiel „wichtiger Mann bei Boss, bitte guter Tisch“. Im Regal hinter dem Schreibtisch befindet sich unter anderem „Das große Käse-Kochbuch“. Vielleicht riecht es im Cavos ja besser als in den anderen beiden Lokalen, weil das Kochbuch schon lange nicht mehr in Gebrauch war.

„Natürlich haben wir die Eröffnung des H’ugo’s’ bemerkt. Das Neueröffnungspublikum ist aber ein sehr flüchtiges, es kommt und sickert dann wieder weg“, sagt Florian Faltenbacher. Damit meint er eine faszinierende Klientel gesättigter Menschen, die ein Lokal nur so lange gut finden, bis ein neueres eröffnet, das ihrer momentanen Laune gerade eher entspricht. Dann zieht dieses Publikum weiter und nimmt leider sehr viel Geld mit zum nächsten Wirt.

In München ist unter der Woche mehr los als in Stuttgart

„Mehr Wettbewerb bedeutet aber nicht unbedingt das Aus“, fährt Faltenbacher fort. „Je mehr Qualität sich in einer Stadt ansiedelt, desto mehr Leute ziehst du in diese Stadt“, sagt Faltenbacher weiter. Allerdings gibt es wieder andere Gastronomie-Experten, die sich sicher sind, dass die Zielgruppe mit unerfülltem München-Wunsch im Herzen selbst mit dem Speckgürtel um Stuttgart irgendwann erschöpft ist. „Das mag sein“, erwidert Faltenbacher, „wir haben an einem guten Abend aber bis zu zehn Prozent Gäste aus der Schweiz, dazu viele aus Ulm“, so Faltenbacher. „An den letzten Samstagen vor Weihnachten waren wir komplett ausgebucht“, ergänzt Hiki Shikano Ohlenmacher. Das Cavos hat 340 Sitzplätze und ist damit deutlich größer als das Amici und etwas größer als das H’ugo’s.

Dass aber auch der Cavos-Kosmos endlich ist, hat Faltenbacher in München spüren müssen. Das Mutterschiff hat er schließen müssen wegen Problemen mit den Nachbarn, am letzten Öffnungstag rückte die Polizei zum wiederholten Mal an und fand zum wiederholten Male kleinere Mengen an Drogen. Faltenbacher betreibt aber noch drei andere Lokale in der bayerischen Landeshauptstadt, die nach wie vor sehr gut gehen. Wie unterscheidet sich Stuttgart also nun von München? „In München haben wir unter der Woche deutlich bessere Umsätze, in Stuttgart ist unter der Woche Totentanz, dafür habt Ihr mehr Verkehr, scheinbar leben hier alle hinter den Bergen von Stuttgart. Das Wochenende läuft aber einfach bombastisch, weil hier viel mehr „-ingens“ drumherum sind.“ Die oberen 10 000 aus den „-ingens“ rund um die Landeshauptstadt: sie zieht es ins Bermudadreieck der Reichen und Schönen in Stuttgart, Wochenende für Wochenende.