1899 Hoffenheim schöpft trotz der 1:2-Niederlage im Hinspiel Mut für das Play-off-Rückspiel beim FC Liverpool.

Sport: Marco Seliger (sem)

Hoffenheim - Da saß er nun auf dem Podium, mittendrin im Scheinwerferlicht, und er redete so, wie seine Mannschaft vorher in ihrem ersten internationalen Spiel aufgetreten war: forsch, mutig, draufgängerisch. Komplett von sich überzeugt. Julian Nagelsmann (30) drückte die Brust raus. Dass es trotz des mutigen Auftritts gegen den großen FC Liverpool eine 1:2-Niederlage für die TSG Hoffenheim setzte, dass der große Traum von der Champions League nun zu platzen droht, bevor er überhaupt begonnen hat, all das war Nagelsmann in diesem Moment egal. Am liebsten hätte der Trainer das Play-off-Rückspiel gegen die Reds wohl sofort ausgetragen. An Ort und Stelle. In Sinsheim, nachts um zwölf, um die Sache zu drehen, und vielleicht hätte Nagelsmann sich gleich selbst aufgestellt und die Gegner weggebissen, so sehr packte ihn der Ehrgeiz.

 

„Die schlechtere Mannschaft hat nicht verloren“, sagte Nagelsmann also und widmete sich sofort dem Rückspiel, das dem Vernehmen nach immer noch am Mittwoch an der Anfield Road ausgetragen wird. „Unsere Herangehensweise wird genau die Gleiche sein wie jetzt im Hinspiel, ob Heimspiel oder Auswärtsspiel – das ist mir egal, da wird mir zu viel Tamtam gemacht“, meinte Nagelsmann. Und: „Wir werden auch in Liverpool ein gutes Spiel machen, das kann ich versprechen.“ Und: „Ich hätte es uns auch zugtraut, in Liverpool ein 0:2 aufzuholen, mit dem 1:2 ist es jetzt leichter, das ist einfache Mathematik.“ Stärke zeigen, frech sein und extrem selbstbewusst auftreten: Nagelsmann war voll in seinem Element.

„Das sehe ich komplett anders“

Am Ende bot er auch noch seinem Kollegen Jürgen Klopp die Stirn. Der war ein paar Minuten früher auf Nagelsmanns Stuhl gesessen und hatte doch tatsächlich zu behaupten gewagt, dass seine Liverpooler die Hoffenheimer meist nur in jenen Räumen hätten spielen lassen, die seinem, also Klopps Team, nicht wehtaten. Nagelsmanns Brust drohte nun das Mikrofon und die Getränkeflaschen vor ihm abzuräumen. Er sagte: „Das sehe ich komplett anders, wir waren in den bedeutenden Räumen, wir hatten allein in der ersten Halbzeit fünf Riesenchancen.“ Dann entspannte sich der Coach ein wenig und lachte über sich selbst: „Jetzt habe ich die Sache auch noch begründet. Wahnsinn!“

Dass ein Trainer sein Team nach einer unglücklichen Niederlage und eine Woche vor dem entscheidenden Rückspiel im Europapapokal starkredet – geschenkt. In diesem Fall aber wirkte der Auftritt Nagelsmanns nicht aufgesetzt. Da sprach einer und glaubte daran, was er sagte. Weil Nagelsmann ohnehin ein schlechter Schauspieler ist und stets authentisch bleibt, wie das dann immer so schön heißt. Und weil seine Mannschaft ihm auch die Vorlage dazu gegeben hatte. Denn Hoffenheim zog gegen Liverpool sein Ding durch, als wäre es gegen den FSV Mainz 05 oder den FC Augsburg in der Bundesliga gegangen. Die TSG agierte wie immer unter Nagelsmann: extrem mutig im Spielaufbau, griffig und aggressiv, taktisch flexibel. Die Nagelprobe auf der internationalen Bühne war bestanden. Trotz der Niederlage. Und einiger Phasen im Spiel, in denen die Hoffenheimer Emporkömmlinge gegen abgezockte Liverpooler an ihre Grenzen stießen.

Eine schwere Hypothek

Wie auch immer: Das 1:2 ist nun eine schwere Hypothek vor dem Wiedersehen an der Anfield Road. Dort, wo noch nie eine deutsche Mannschaft gewonnen hat. Hoffenheim muss nun in Liverpool mindestens zwei Tore erzielen und siegen, um doch noch in die Gruppenphase der Königsklasse einzuziehen. Ansonsten geht es in die Europa League. Natürlich wollen sie das nicht in Hoffenheim – obwohl es am Dienstagabend noch keiner aussprach. Denn wer zum ersten Mal die berühmte Hymne der europäischen Edelklasse hört, will sie immer wieder hören. Nicht die aus der Europa League, die kein Mensch kennt.

In diesem Wettbewerb droht internationale Hausmannskost gegen unattraktivere Gegner, womöglich vor halb leeren Rängen. Das Heimspiel gegen Liverpool dagegen war ein Festtag, der den Hoffenheimern Lust machte auf mehr. Wohl noch nie war die Atmosphäre so ausgelassen, noch nie gab es so eine Euphorie im Kraichgau.

Die positive Stimmung will die TSG nun nach Liverpool transportieren, wo am Mittwoch das Rückspiel steigt. Vorher aber müssen die Hoffenheimer am ersten Bundesliga-Spieltag am Samstag noch gegen Werder Bremen ran. Eigentlich ein Spiel zur Unzeit, zwischen den größten Partien der Vereinsgeschichte. Julian Nagelsmann sagt: „Auch wenn wir in den Play-offs zur Champions League spielen, ist das Größte, was man in Deutschland spielen kann, die Bundesliga. Darauf freue ich mich sehr.“