Inter Mailand, der Champions-League-Sieger von 2010 steckt in einer schweren Krise - und muss am Mittwoch zum Achtelfinalspiel nach Marseille.

Mailand - Es gibt tausend gute Gründe, Fan von Inter Mailand zu sein. Man findet beispielsweise oft Geld auf der Straße, weil man immer mit hängendem Kopf herumläuft. Und bei den Frauen hat man Erfolg, da ein Interista in ihnen mütterliche Schutzgefühle auslöst. Jahrzehntelang mussten die Anhänger Kalauer dieser Art ertragen, denn kein italienischer Club kam der Tragikomödie näher als die Schwarz-Blauen. In einem ungewohnten Intermezzo entledigte sich der Verein mit fünf Meisterschaften nacheinander und einem Tripel vor einigen Jahren des Verliererdaseins - nun ist der Rückfall perfekt.

 

Am Wochenende hielt in San Siro ein verzweifelter Neunjähriger das Plakat hoch: "Könnt ihr bitte gewinnen? Ansonsten werde ich in der Schule wieder durch den Kakao gezogen. Grazie!" Die Juventus-Kurve antwortete tags drauf hämisch: "Wechsel die Schule oder den Verein."

Inters aktuelle Schreckensbilanz: ein Unentschieden, fünf Niederlagen und 4:15 Tore aus sechs Partien. Den Tiefpunkt erreichte die Mannschaft am vergangenen Freitag daheim bei der 0:3-Demütigung gegen den Abstiegskandidaten Bologna - die abstrusen Gegentore allein waren das Eintrittsgeld wert, wenn man Sinn für Satire besaß. Der Trainer Claudio Ranieri darf sein diffuses System am Mittwoch Abend noch einmal im Achtelfinalhinspiel der Champions League bei Olympique Marseille auftischen. Sollte die Reise schieflaufen, wird er den Posten wohl räumen müssen.

Trainer kamen und gingen wieder

Ranieris Assistent Beppe Baresi in Union mit Luis Figo aus dem technischen Stab stehen als Interimsduo parat, um zumindest die nächste Königsklasse zu garantieren. Zurzeit ist das Team nach zehn Pleiten aus 24 Spielen Siebter - die schlechteste Bilanz seit 65 Jahren. Im Mailänder Trainerzirkus würden die neuen Bankdrücker als fünfte Verantwortliche seit 2010 in die Vereinsgeschichte eingehen.

Doch das Scheitern der Nachfolger José Mourinhos ist fast zwangsläufig. Der portugiesische Messias beendete seine letzte Inter-Saison mit dem Champions-League-Erfolg gegen die Bayern und verabschiedete sich am selben Abend in einer königlichen Präsidentenlimousine stillos in Richtung Real Madrid. Der entnervte Nachfolger Rafael Benitez entließ sich ein halbes Jahr später per Pressekonferenz selbst. Es kam Leonardo, der dann zu den Scheichmillionen von Paris St. Germain flüchtete. Giampiero Gasperini wollte den Laden systematisch umkrempeln und verabschiedete sich nach drei Spieltagen. Dann sollte Ranieri retten, was nicht mehr zu retten war.

Seit dem glorreichen Tripel vor zwei Jahren verpflichtete der Club für 68,7 Millionen Euro 20 Spieler, von denen keiner dem Verein essenziell half. Hierin liegt das eigentliche Symptom der laufenden Inter Horror Picture Show. Der müde Kern der Tripel-Elf bleibt dazu verdammt, sich Woche für Woche als burleske Eigenimitation zu präsentieren. 

Personelle Fehlentscheidungen bei Inter Mailand

1,2 Milliarden Euro Verluste hat der Verein während der Dynastie des Präsidenten Massimo Moratti geschrieben. Der Ölmagnat deckte aus eigener Tasche 735 Millionen. Aktuell verpustet er 145 Millionen Euro in Spielergehälter und fantasiert dennoch wieder einmal von Renovierungsarbeiten am Saisonende. Zuallererst sollte er dabei jedoch die Position von Marco Branca überdenken, Kopf der nebulösen Akquise-Kampagnen.

Der Brasilianer Jonathan Cicero beispielsweise kostete 4,5 Millionen Euro und stellte sich als "der neue Maicon" vor - nach wenigen Monaten wurde er flugs nach Parma abgeschoben. Der Argentinier Ricardo Alvarez (sechs Millionen Euro) hat hübsche Tricks parat, benötigt zum Durchschreiten des Mittelfeldes allerdings gefühlt eine Halbzeit.

Der WM-Torschützenkönig Diego Forlan (fünf Millionen Euro) sollte auch in der Champions League brillieren - erst nach Meldeschluss fand Inter heraus, dass der Uruguayer bis Januar gar nicht spielberechtigt war. Aber das ist kein Beinbruch, die meiste Zeit verbrachte der Uruguayer ohnehin angeschlagen auf der Tribüne. Dort sitzt auch der Kolumbianer Fredy Guarin. Der dringend benötigte Außenverteidiger kam im Januar aus Porto - bereits verletzt, gestand der Verein ein.

Inmitten der schiffbrüchigen Personalplanungen enteilt jedoch der wichtige dritte Platz, der zur Champions-League-Qualifikation berechtigt. "Ohne die Millionen aus der Königsklasse wird eine Transferoffensive natürlich schwierig", sagt Moratti. Am Wochenende verließ er das Stadion zum ersten Mal in seiner 16-jährigen Präsidentenvita 30 Minuten vor Spielschluss, während die Tifosi im San Siro lauthals "José Mourinho" skandierten. Und Moratti bekannte: "Das Schicksal des Inter-Fans lautet seit über 100 Jahren: zu leiden."