Sechs Finalniederlagen musste Liverpools Trainer Jürgen Klopp in den vergangenen Jahren hinnehmen. Jetzt soll endlich der Pokal her – im Champions-League-Endspiel gegen Tottenham.

Madrid - Manchmal kann es dauern, über eine Enttäuschung hinwegzukommen, das gilt im Sport genauso wie im echten Leben. Bei Jürgen Klopp ging es angeblich ganz schnell, vor einem Jahr, nach dem 1:3 des FC Liverpool im Finale der Champions League gegen Real Madrid in Kiew. In einem Interview mit dem „Independent“ hat der deutsche Trainer gerade berichtet, wie er in den Morgenstunden nach der Partie am Flughafen der ukrainischen Hauptstadt gestanden habe, in der Schlange für den Check-in, um ihn herum nur hängende Köpfe. In dieser Situation reifte in ihm offenbar der Entschluss, die Niederlage so schnell wie möglich zu vergessen.

 

Das hat hervorragend funktioniert, wenn man ihm glauben darf. „Natürlich, ich war enttäuscht und traurig. Aber als wir wieder in England gelandet waren, war ich schon darüber hinweg“, sagte er. Mehr noch: Er war hoch motiviert, so schnell wie möglich wieder das Finale zu erreichen und die Aufgabe zu erledigen, an der er in Kiew noch gescheitert war – nämlich, Liverpool zum sechsten Mal zu den Königen Europas zu machen. Und tatsächlich besteht ein Jahr später wieder die Chance darauf, und zwar an diesem Samstag (21 Uhr/DAZN), im Metropolitano-Stadion von Madrid gegen Tottenham Hotspur.

Treibstoff für das Finale

Klopp und seine Mannschaft haben die Niederlage aus der Vorsaison als Motivation genutzt, als Treibstoff auf dem Weg ins nächste Endspiel. „Sie war der Startschuss für die Entwicklung dieses Teams, zu 100 Prozent“, sagt er. „Wir hatten das Gefühl, dass wir zurückkommen müssen. Wir konnten es nicht so stehen lassen.“

Die Partie gegen Real Madrid war damals höchst unglücklich verloren gegangen. Torjäger Mohamed Salah musste früh mit einer Schulterverletzung ausgewechselt werden. Torwart Loris Karius erlitt eine Gehirnerschütterung und patzte doppelt. Das Gefühl, dass die Mannschaft kurz vor dem Triumph stand, dass sie die Partie unter normalen Umständen möglicherweise gewonnen hätte, begleitete sie durch die Saison.

Doch der Wunsch nach Wiedergutmachung genügt natürlich nicht als Erklärung dafür, dass Liverpool zum zweiten Mal nacheinander im Endspiel um Europas Krone steht. Der Verein hat viel Geld investiert. Torwart Karius machte nach seiner Horrornacht von Kiew kein Pflichtspiel mehr. Er wurde durch den Brasilianer Alisson ersetzt, der für mehr als 60 Millionen Euro vom AS Rom kam. Die Investition hat sich gelohnt: Der neue Mann strahlt mehr Ruhe aus und hatte mit seinen Paraden großen Anteil daran, dass Liverpool in der Liga die wenigsten Gegentore kassiert hat. In der Champions League bewahrte er seinen Arbeitgeber im Vorrundenfinale gegen Neapel mit einer Rettungstat in der Nachspielzeit vor dem Aus. Die weiteren Zugänge Fabinho, Naby Keïta und Xherdan Shaqiri haben dazu geführt, dass Klopp mehr Optionen hat als in der vergangenen Saison.

Der Fokus liegt auf Standards

Außerdem hat der Trainer in dieser Spielzeit verstärkt an Details gearbeitet. Er ließ noch intensiver Standardsituationen üben, mit dem Ergebnis, dass Liverpool zur besten Standard-Mannschaft der Premier League wurde. Er engagierte den dänischen Einwurf-Spezialisten Thomas Gronnemark, der dem Team 18 verschiedene Varianten dieser Disziplin beibrachte. Und er erkannte, dass auch die Balljungen zum Erfolg beitragen können. Klopp ließ sie vor der wundersamen Auferstehung gegen den FC Barcelona im Halbfinal-Rückspiel instruieren, den Ball bei Einwürfen und Ecken noch schneller zurückzugeben.

Nur so war es möglich, dass Trent Alexander-Arnold mit seiner Ecke vor dem entscheidenden 4:0 die komplette Defensive des Gegners lächerlich machte. Auch ein Fußballwunder lässt sich planen. Und so hat Klopp, der vor allem über seine Künste als Motivator und über seinen krachenden Spielstil definiert wird, in dieser Saison eine neue Seite an sich gezeigt. Er kann auch ein Tüftler sein, ein Mann mit dem Blick für Kleinigkeiten.

Jetzt folgt in Madrid das Duell mit Tottenham. Es ist ein besonderes Spiel für Klopp, er hat so viel Druck wie noch nie. Seine Finalbilanz ist durchwachsen, er verlor die jüngsten sechs Endspiele mit Borussia Dortmund und Liverpool. In der Liga wurde seine Mannschaft in dieser Saison Vizemeister hinter Manchester City, der beste Vizemeister in der englischen Geschichte. So langsam droht dem Trainer der Ruf des ewigen Zweiten. Um das zu verhindern, braucht er diesen Sieg.

Klarer Favorit

Außerdem ist seine Mannschaft diesmal klarer Favorit – anders als 2013 im deutschen Endspiel von Wembley gegen den FC Bayern oder im vergangenen Jahr gegen Real Madrid. Liverpool landete in der Liga 26 Punkte vor Tottenham, beide Spiele in dieser Saison wurden gewonnen, jeweils mit 2:1. Eine Niederlage in Madrid wäre ein heftiger Schlag. Doch Jürgen Klopp ist zuversichtlich. „Ich war nie mit einer besseren Mannschaft als mit dieser in einem Finale“, sagt er.

Jetzt muss diese Mannschaft nur noch gewinnen. Die Erinnerungen an Kiew vor einem Jahr werden ihr dabei als Motivation dienen.

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