Nach dem 2:1-Heimsieg gegen Real Madrid wollen sie beim FC Bayern stärker denn je an den Finaleinzug am 19. Mai in München glauben.

Sport: Carlos Ubina (cu)

München - José Mourinho kann einen immer wieder überraschen. Fast so beweglich wie eine Ballerina präsentierte sich der Trainer von Real Madrid während der Schlussoffensive des FC Bayern – was eine beachtliche Leistung für einen 49-Jährigen ist. Immer wieder also begleitete Mourinho die Münchner Angriffe mit gymnastisch-tänzerischen Einlagen an der Seitenlinie. Und immer wieder beorderte der Chefcoach per Zuruf oder Fingerzeig einen seiner Fußballprofis nach hinten, und noch einen, und noch einen.

 

Doch die Bayern fanden noch einmal eine Lücke im Madrider Defensivnetz, besser sie rissen sich eine, die Mario Gomez zum 2:1-Siegtreffer nutzte. Aber nicht einen Moment der Fassungslosigkeit löste die späte Niederlage bei Mourinho aus. Als sei ein entscheidendes Gegentor in der 90. Minute eines Champions-League-Halbfinales nichts Besonderes, als wäre das Wunschergebnis des Portugiesen nach dem Ausgleichstreffer durch Mesut Özil (53.) nicht gerade zerstört worden.

Und nein, er werde nach diesem Spiel nicht groß über die Schiedsrichterleistung sprechen. Er doch nicht! Obwohl die meisten Leute im spanischen Lager meinten, Howard Webb hätte das erste Bayern-Tor durch Franck Ribéry wegen einer Abseitsstellung von Luiz Gustavo nicht anerkennen dürfen.

Alles normal bei Real

Dabei schimpft Mourinho nach Niederlagen systematisch auf die Unparteiischen, oder er spinnt Verschwörungstheorien über die vermeintlichen Benachteiligungen seiner Teams. Aber diesmal nicht, nada. Alles normal bei Real. „Es wird keiner historischen Aufholjagd im Rückspiel bedürfen“, sagte Mourinho, „wir brauchen einen gewöhnlichen Sieg, 1:0, 2:0 oder 3:1.“ Vermutlich bedarf es aber auf Bayern-Seite einer außergewöhnlichen Leistung, um am nächsten Mittwoch im Bernabéustadion zu bestehen.

Denn wenn die Real-Elf in Madrid konsequent zu Ende spielt, was sie in der Anfangsviertelstunde von München an Tempo und Technik, Präzision und Potenzial angedeutet hat, dann werden die Gäste aus Deutschland wohl in der Defensive über sich hinauswachsen müssen, um in das Finale der europäischen Königsklasse einzuziehen.

Bis dahin schweben die Bayern zwischen Himmel und Hölle, zwischen der Hoffnung, der Saison noch einen edlen Anstrich geben zu können – und der Befürchtung, die Runde vollends zu verbeuteln. Denn einerseits fühlen sie sich nach der enormen Willensleistung gegen Real dem Endspiel am 19. Mai in der eigenen Arena in Fröttmaning so nahe, andererseits steht der ersehnte Erfolg doch sehr auf wackligen Beinen.

Erleichterung bei Jupp Heynckes

Schwer lastet noch das 0:1 von Dortmund und das damit verbundene Verspielen der deutschen Meisterschaft auf der Seele der Mannschaft, ja des ganzen Clubs. Wie groß die Erleichterung auch beim Trainer Jupp Heynckes war, zeigte sich an dessen Jubelsprüngen nach dem Siegtor. Sie fielen nicht so hoch aus wie beim BVB-Coach Jürgen Klopp, aber für einen 66-Jährigen war diese Vorstellung fulminant.

„Ich hatte vor dem Spiel gegen Real Leidenschaft, Gier und Erfolgshunger bei uns angemahnt“, sagte Heynckes, „und die Mannschaft hat das umgesetzt.“ Vor allem die beiden Torschützen: Ribéry dribbelte und kämpfte wie aufgedreht; Gomez warf sich mit allem, was er hatte, in offensive wie defensive Zweikämpfe. „Ich bin einfach blind durchgelaufen, weil ich mir dachte, der Ball wird reinkommen. Ich weiß gar nicht, mit welchem Körperteil ich den reingemacht habe“, sagte der Stürmer.

Es war in diesem Fall das Knie. Aber mit jeder Faser ihrer Körper wollen sie an der Säbener Straße nach dem Titel-K.-o. in der Bundesliga nun an die internationale Auferstehung des FC Bayern glauben, an die Wiederbelebung der alten Stärke und an das Schöpfen von neuem Selbstvertrauen.

Gierige schwarze Bestie

„Bestia negra“ nennen sie die Bayern in Madrid – die schwarze Bestie oder frei übersetzt: der Angstgegner. Und nun soll das Schreckgespenst aus der Vergangenheit auch in der Gegenwart seinen Dienst tun. Es waren Spieler wie Karl-Heinz Rummenigge, Klaus Augenthaler und Oliver Kahn, die diesen Ruf begründeten. Jetzt sind hinten Spieler wie Jérôme Boateng oder Luiz Gustavo gefordert, nach vorne Arjen Robben oder Thomas Müller, die zuletzt jedoch mehr mit sich selbst zu kämpfen hatten als mit den Gegenspielern.

Helfen soll auch der FC Barcelona. Am Samstag spielt Real beim Erzrivalen. Es ist eine Begegnung, in der die Madrilenen ihren Vierpunktevorsprung in der Liga verteidigen wollen, aber auch eine Begegnung, die viel Kraft und Konzentration kosten könnte. Madrids großen Meister kümmert das allerdings nicht. „Die Mannschaft wird gegen Bayern da sein – und sie wird die passende Antwort liefern“, sagte Mourinho. Ein kleiner Hauch von Selbstzweifel wäre auch eine große Überraschung gewesen.