Reportage: Robin Szuttor (szu)

2010 mietete der Saulgauer Hilfsverein ein Haus im ungarischen Teil des Dorfs – das Bukihaus. Hier bekommen die Romakinder Frühstück, ein Vesper für die Schule und ein Mittagessen. An den Nachmittagen gibt es Nachhilfestunden, weil die Defizite noch riesengroß sind. Die Schulsachen bleiben über Nacht im Kinderhaus – eine Maßnahme, um sie in einigermaßen ordentlichem Zustand zu erhalten.

 

Gut 80 schulpflichtige Kinder gibt es bei den Roma, 25 kommen regelmäßig in das Bukihaus. Die Sprösslinge der Reichen bleiben daheim, weil Gusti und die anderen Kinder vom Europaplatz da sind. Auch zwischen den Roma klaffen tiefe Gräben. Wenn Gusti beim Waffelnbacken geholfen hat, will sie keiner essen.

„Das ist oft deprimierend und kein Sonnenscheinprojekt“, sagt Heidi Haller, Restauratorin von Beruf. Anfangs kamen die Kinder verlaust und total verschmutzt an, man musste ihnen den Umgang mit Seife beibringen. Beim Essen konnten sie keine Sekunde still sitzen. Inzwischen hätten manche schon ein kleines inneres Gerüst. Früher nahm Gusti keiner ernst, keiner spielte mit ihm. Nach den ersten Lernerfolgen hat sich das geändert. „Jetzt, nach der Augenoperation, wird das noch besser“, sagt Heidi Haller. Gusti, der Hoffnungsträger. „Wir müssen die Jugend aktivieren, nur dann ändert sich was.“

Puma-Schuhe und Pepitahut

Die meisten Roma in Cidreag sind Analphabeten. Wenn sie überhaupt Arbeit bekommen, dann im Frühsommer bei der Erdbeerernte oder bei der Ziegelei im Ort. Wer einen Job in der Stadt sucht, muss seine Herkunft verleugnen. Roma kriegen keine Stelle. Sie leben von staatlicher Hilfe, 22 Euro im Monat.

Die besser gestellten Roma haben ein paar Hühner, ab und zu sieht man auch mal eine Sau, aber im Grunde sind Kartoffeln das einzige Nahrungsmittel. Manche Kinder leiden wegen der Mangelernährung an Knochenschäden. Auch Gusti ist etwas schief in die Welt gebaut.

Zudem machte eine Augenfehlstellung ihn zum Verlierer. Das extreme Schielen wirkte sich auf die Motorik aus, Gusti taumelte mehr als dass er ging. Und weil er ohne spezielle Förderung keine Buchstaben lesen lernen konnte, galt er als dumm. „Dabei ist er ein richtig kluges Kerlchen“, sagt Stefan Zell, 47, der die Idee hatte, den Jungen in Deutschland operieren zu lassen.

Zells Einsatz für die Roma begann vor vier Jahren. Damals begleiteten er und seine Partnerin Heidi Haller, 46, einen Bekannten nach Cidreag. Bald interessierten sie sich für diesen rätselhaften Ortsteil, den kein ungarischer Rumäne freiwillig betreten wollte. Als Zell und Haller die Zustände dort sahen, wusste das kinderlose Paar: hier wartet eine Aufgabe. Zunächst organisierten sie von Oberschwaben aus Kleiderspenden. Schließlich wurde ihnen klar, dass es auf ganz andere Dinge ankommt. „Das mit den Kleidern war gut gemeint, aber Blödsinn“, sagt der Marketingmanager Zell. „Mildtätigkeit bringt nichts, weil sie nichts verändert.“

Hilfe aus Oberschwaben

2010 mietete der Saulgauer Hilfsverein ein Haus im ungarischen Teil des Dorfs – das Bukihaus. Hier bekommen die Romakinder Frühstück, ein Vesper für die Schule und ein Mittagessen. An den Nachmittagen gibt es Nachhilfestunden, weil die Defizite noch riesengroß sind. Die Schulsachen bleiben über Nacht im Kinderhaus – eine Maßnahme, um sie in einigermaßen ordentlichem Zustand zu erhalten.

Gut 80 schulpflichtige Kinder gibt es bei den Roma, 25 kommen regelmäßig in das Bukihaus. Die Sprösslinge der Reichen bleiben daheim, weil Gusti und die anderen Kinder vom Europaplatz da sind. Auch zwischen den Roma klaffen tiefe Gräben. Wenn Gusti beim Waffelnbacken geholfen hat, will sie keiner essen.

„Das ist oft deprimierend und kein Sonnenscheinprojekt“, sagt Heidi Haller, Restauratorin von Beruf. Anfangs kamen die Kinder verlaust und total verschmutzt an, man musste ihnen den Umgang mit Seife beibringen. Beim Essen konnten sie keine Sekunde still sitzen. Inzwischen hätten manche schon ein kleines inneres Gerüst. Früher nahm Gusti keiner ernst, keiner spielte mit ihm. Nach den ersten Lernerfolgen hat sich das geändert. „Jetzt, nach der Augenoperation, wird das noch besser“, sagt Heidi Haller. Gusti, der Hoffnungsträger. „Wir müssen die Jugend aktivieren, nur dann ändert sich was.“

Puma-Schuhe und Pepitahut

Die meisten Roma in Cidreag sind Analphabeten. Wenn sie überhaupt Arbeit bekommen, dann im Frühsommer bei der Erdbeerernte oder bei der Ziegelei im Ort. Wer einen Job in der Stadt sucht, muss seine Herkunft verleugnen. Roma kriegen keine Stelle. Sie leben von staatlicher Hilfe, 22 Euro im Monat.

Bilder aus Cidreag: vor einem Haus ein schwangeres Mädchen, sie ist noch keine 14 ( und der Erzeuger noch keine 15). In einer Hütte eine Mutter mit Säugling im Arm und Zigarette im Mund. In einem Bett ein Baby mit kratzigem Wollpulli auf der Haut und funkelnd schwarzen Turmalinaugen. Auf der Straße ein Mann mit verwegenem Modemix aus Puma-Turnschuhen, Stoffhose im Sowjetlook, US-Rangerweste und Pepitahut. Er schlurft mit vier anderen Männern bis zur imaginären Grenze, wo der ungarische Teil beginnt. Dort machen sie kehrt, gehen zurück zum Europaplatz. Ein Schwenk, und wieder bis zur Grenze. So geht das den ganzen Tag. Langeweile in Kilometern. Was an Arbeit im und ums Haus anfällt, erledigen die Frauen. Abends sitzt man daheim bei Kerzenlicht und dämmert vor sich hin. Keine Zerstreuung. Nicht mal Alkohol. Im Magazin gibt es Bier, aber das ist viel zu teuer. Bleibt nur das Bett. „Die meisten ergeben sich ihrem Los, sie machen nichts aus sich, sie haben keine Initiative“, sagt Janos Bogar.

Bogar, 43, ist mit nach Saulgau gefahren. Er sitzt bei Gusti in der guten Stube von Stefan Zell und Heidi Haller, trägt ein Olymphemd über seinem mächtigen Bauch, seine Hände sind Bärenpranken, sein Bart gleicht dem eines Tataren. Bogar ist Romachef von Cidreag. Der Patriarch. Ihm gehört die Ziegelei, er ist Hüter der ungeschriebenen Gesetze, Richter bei Konflikten. Er sagt, welche Hochzeiten erlaubt, welche Geschäfte verboten sind. Alle respektieren ihn, auch die Reicheren. Bogar beschönigt nichts. Er meint es ernst, er will seine Leute aus dem Dreck holen. Auch im Kinderhaus macht er mit. Neben zwei angestellten Frauen, die sich um Essen und Betreuung kümmern, unterrichten er und seine Frau sowie das ungarische Dorflehrerpaar die Kinder am Nachmittag. Welche Perspektive sieht er? – „Keine große!“ Er hofft, dass sich die Jugend durch Bildung aus dem Elend rausarbeitet – oder wenigstens der nächsten Generation so viel beibringt, dass die sich rausarbeiten kann.

Eine Plastikfigur als Kuscheltier

Eine Plastikfigur als Kuscheltier

Bogar hat auch ein Machtwort gesprochen, als Gustis Vater sich weigerte, seine Frau und den Sohn nach Deutschland zu lassen. Dann ging’s doch. „Und die Ungarn im Dorf fragen sich, warum ausgerechnet einem Romakind geholfen wird“, sagt er. Gustis bisher größtes Abenteuer begann mit einer Schrecksekunde auf der Autobahnraststätte. Da musste er im Waschraum vor einem Ungeheuer flüchten, das ihm heiße Luft ins Gesicht blies, als er zu nahe kam. Seine Mutter war überfordert mit der Wasserspülung in der Pension, wo sie eine Woche wohnten.

1300 Euro sammelte der Saulgauer Verein für die Operation. Sie dauerte eine Stunde. Gusti war sehr aufgeregt und sehr tapfer. Zu Hause wird er der König sein. Was kann er nicht alles erzählen: von dem Formel-eins-Auto aus Lego, das er zusammengebaut hat. Von den schwierigen Puzzles, die er geschafft hat. Der Junge übertrifft sich selbst mit immer neuen Spiel- und Basteleinfällen. „Dass seine Mutter so lange bei ihm sitzt und sich so intensiv mit ihm beschäftigt, ist für beide eine neue Erfahrung“, sagt Janos Bogar. „So hab ich Maria noch nie gesehen.“

Bei McDonald’s bekam Gusti einen Plastik-Spongebob, der heißt jetzt Miguel und ist sein Kuscheltier. Im Saulgauer Kindergarten hat er mit Lorenz gespielt. Die beiden verstanden sich. Mit den neuen Augen ist Gusti ein Junge wie jeder andere – bis auf den chronischen Husten. „Nach der OP habe ich ihn heimlich vor dem Spiegel beobachtet“, sagt Heidi Haller. „Er hat sich eine Viertelstunde lang angesehen.“