Influencerin Hülya Marquardt, Handbiker Florian Sitzmann, Bands, die den Saal zum Beben bringen: Nach Corona meldet sich die Lange Nacht der Inklusion in Ludwigsburg live und in Farbe zurück. Mit prominenten Gästen.

Ludwigsburg: Susanne Mathes (mat)

Mehr als 2200 Menschen gefällt Hülya Marquardts Sonnenanbeterinnen-Foto im Blühenden Barock. „Dabei ist es erst ein paar Tage alt“, meint sie am Telefon zwischen Tür und Angel – sie steckt gerade mitten in einem Workshop. Ihr Instagram-Account hat allerdings weit mehr Follower: rund 160 000 Menschen folgen der attraktiven Frau und jungen Mutter aus dem Rems-Murr-Kreis. Sie schauen sich ihre Fotos an oder gucken Videos zu, auf denen sie im Rollstuhl, ihren Sohn auf dem Schoß, durch den Baumarkt fährt oder im Frühlingswald unterwegs ist. Sie bestärken Hülya Marquardt und überhäufen sie mit Komplimenten und Ermutigungen.

 

Hülya Marquardt ist Influencerin – manche sagen auch Inkluencerin. Mit ihrer Dysmelie – einer genetisch bedingten Krankheit, deretwegen ihre Beine amputiert wurden – geht sie offensiv um. Sie zeigt sich im Rolli, auf dem Skateboard, mit Prothesen, lässt viele Menschen daran teilhaben, was für ein positives Leben sie mit ihrem Mann Dennis und ihrem Sohn lebt, und macht so auch vielen anderen Menschen Mut.

Dass Hülya Marquardt am 22. April wieder in Ludwigsburg sein wird, darüber sind die Organisatoren der Langen Nacht der Inklusion richtig glücklich, zumal neben Marquardt ein zweiter Mutmacher mit dabei ist. Der Sportler, Autor und Moderator Florian Sitzmann, der bei einem Motorradunfall beide Beine verlor, kommt ebenfalls nach Ludwigsburg. Der international erfolgreiche Handbiker radelte vergangenes Jahr für ein Kinderhilfsprojekt von Hamburg bis zur Zugspitze. „Das sind sensationelle Moderatoren. Die zwei zeigen, wie viel Motivation man nach so schwierigen Ereignissen wiederfinden kann“, sagt Silke Rapp vom Ludwigsburger Verein Tragwerk für Chancengleichheit und freut sich.

Rapp gehört zum Organisationsteam der Langen Nacht der Inklusion, die nach zwei in den virtuellen Raum verlegten Online-Versionen jetzt ihre Wiederkehr in den realen Raum feiert und seit Monaten vorbereitet wird. Das ist bei einem Fest, das gezielt auf Einbindung aller gesellschaftlichen Gruppen, also auch von Menschen mit Handicaps, abzielt, ein noch mal höherer Aufwand als bei einem gängigen Musik-, Film-, Theater-, Tanz-, Kunst- und Begegnungsabend. „Es müssen zum Beispiel Fahrdienste organisiert werden, und Einrichtungen müssen ihre Dienstpläne darauf abstimmen“, sagt Silke Rapp. Denn wenn Teilnehmer aus einem Heim viel später als normalerweise nach Hause kommen und dann noch Hilfe benötigen, um ins Bett zu kommen, geht das nur mit entsprechender, mit Vorlauf geplanter Personal-Jonglage.

Das inklusive Fest, das an die lange Nacht der Museen angelehnt ist, wird diesmal nicht auf mehrere Orte verteilt, sondern findet komplett in der Reithalle der Karlskaserne statt. „Alle Beteiligten sind nach der Pandemie sehr mit sich und damit beschäftigt, ihre Angebote wieder ins Leben zu bringen. Das bindet Energien. Wir sind megaglücklich, dass wir die Lange Nacht dieses Jahr wieder in Präsenz hinkriegen, aber wir bündeln unsere Kapazitäten an dem einem Standort“, erklärt Silke Rapp. Zumal das Menschen mit Assistenzbedarf den Besuch erleichtere und mehr Begegnung schaffe.

Wenn die Generalprobe auch die Premiere ist

Wenn man bedenkt, dass mehr als 30 Institutionen, Gruppierungen, Netzwerke, Vereine und Behörden mitmachen, kann man sich vorstellen, dass mächtig etwas los sein wird. Allein musikalisch. Zum Beispiel kommen die Brenz Band, Lubu Beatz, die Cool Chickpeas, der Miteinander Chor Marbach oder die Formation Groove Inklusion („Wenn die im Big-Band-Sound loslegen, haut’s einem die Ohren weg“, meint Silke Rapp lachend). Auch der Chor „Einfach singen“ von Christiane Hähnle aus Sachsenheim ist dabei, bei dem Menschen aus dem ganzen Landkreis mitmachen – vom neunjährigen Mädchen aus der Ukraine bis zur 91-jährigen Seniorin. Hähnle singt auch mit Menschen in Pflegeheimen der Evangelischen Altenheimat oder auf der Karlshöhe. Bei der Inklusions-Nacht werden alle zusammengeführt, denn weil in den Einrichtungen noch bis zum 7. April Corona-Beschränkungen gelten und alle vorsichtig sind – und auch, weil es vom Aufwand her fast nicht machbar wäre – konnten bisher nicht alle zusammen proben. Aber alle üben dieselben Songs. „Eine Inklusions-Version des Wellermann-Songs zum Beispiel. Aber es singen auch Achtzigjährige ,Ein Hoch auf uns’“ von Andreas Bourani“, erzählt Hähnle. Es wird dann ein Chor aus mehr als 100 Sängerinnen und Sängern sein, „die Generalprobe ist gleichzeitig die Premiere“, so die Chorleiterin. „Alle fiebern dieser Langen Nacht der Inklusion entgegen.“

Warum es diese Lange Nacht überhaupt braucht? „Damit Vielfalt ein Gesicht bekommt und alle sehen, wie toll sie ist“, sagt Silke Rapp. „Und damit so viele Leute wie möglich erleben, wie vielfältig die Welt ist und dass alle daran teilhaben können.“

Den Abend gibt es auch Live-Stream

Das Ereignis
 Die Lange Nacht der Inklusion wird vom Scala und dem Verein Tragwerk in Kooperation mit dem Netzwerk Inklusion im Landkreis Ludwigsburg veranstaltet. Sie findet am Samstag, 22. April, von etwa 17 Uhr bis Mitternacht in der Reithalle/Karlskaserne statt.

Das Ziel
 Das Fest soll zeigen, dass Inklusion die gleichberechtigte Teilhabe aller am gesellschaftlichen Leben bedeutet, unabhängig von Alter, Herkunft, Geschlecht, Religion und Assistenzbedarf. Der Abend wird aus Fördermitteln und über Sponsoring finanziert.

Das Programm
 Bands, Chöre, Poetry Slam, Rollstuhltanz, Diskussionen, gutes Essen, Ausprobier-Stationen wie Altersanzüge oder Rollstuhlparcours: Es gibt viel zu erleben. Auch von daheim aus. Das Scala streamt für alle, die nicht live dabei sein können.